„…Seit den frühen achtziger Jahren blickt der Hochschulforscher Tino Bargel in die Seele der deutschen Studenten, er erforscht ihre Werte und Wünsche und erhebt repräsentative Umfragen wie den Studierendensurvey, an dem regelmäßig Zehntausende teilnehmen. „Studenten erwarten von ihrem Studium heute in erster Line die Befähigung zu einem Beruf zu erlangen“, sagt er. Diese sogenannte employability, die maßgeschneiderte Ertüchtigung für den Arbeitsmarkt, sei wichtiger als alles andere und ein sehr neues Phänomen. Normalerweise scheut Bargel Etikettierungen, aber nun wählt er Begriffe, die die heute Immatrikulierten sehr fade erscheinen lassen: „Ohne spezifisches Profil, ohne Kanten, ohne besondere Farbe“ seien sie. Eine „unauffällige Generation“.
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Zu dieser Mentalität, einer Mischung aus Sicherheitsdenken und Willfährigkeit, passen auch die Beschwerden dieser Generation. Sie stöhnen, ächzen und brechen zusammen wie sonst nur Büroangestellte, deren Nine-to-Five-Routine und Gehorsam durch Gehaltsabrechnungen erkauft wurde und bislang das Gegenmodell zum Campusleben war. Nun finden sich die Studenten im selben Hamsterrad wieder. Bei einer Umfrage der TU Chemnitz unter Psychologen von Studentenwerken kam heraus, dass 61 Prozent der Beratungsstellen vor allem in den vergangenen fünf Jahren „einen deutlichen Anstieg von Burn-out im engeren Sinne“ registriert haben. In die Gefühlswelten vieler deutscher Hochschüler hat sich eine Verstörung eingeschlichen, die das Studium zu einer Last macht.
Überall Rationalisierung
Natürlich hat die Einführung der Bachelor-/Master-Studiengänge etwas mit diesen Stresssymptomen zu tun. Universitäten haben sich vielerorts in Lernfabriken verwandelt, in denen Studenten Referate und Hausarbeiten ausbrüten wie Legehennen, getrieben von den Credit Points. Das Studium ist schneller, verschulter, leistungsorientierter geworden. Diese Rationalisierung folgt der Marschroute, die die europäischen Bildungsminister ausriefen, als sie den Bologna-Prozess einleiteten. In einer Deklaration formulierten sie als Ziel, „die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen der europäischen Bürger (…) zu fördern“. Aus Sorge, die Volkswirtschaften könnten im global verschärften Wettstreit um das beste Humankapital den Anschluss verlieren, wurde Abschied genommen vom traditionellen Studentenbild und seiner altehrwürdigen Rahmung, dem Humboldt’schen Bildungsideal. Zweckmäßig sollte sie nun sein, die Lehre an Hochschulen, organisiert in straffen Stundenplänen, ausgerichtet nach den Bedürfnissen der Personalabteilungen in den Unternehmen. Wenn junge Menschen ihre Vita nun also nüchtern durchplanen wie ein Consultant eine PR-Strategie, aufgepeppt mit Praktika und Auslandssemestern, machen sie nichts anderes, als dieser ökonomischen Logik zu gehorchen. Kollektiv frönen sie der employability.
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Quelle und gesamter Text: http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-kinder-der-krise