Die Kieferninseln von Marion Poschmann

Die Kieferninseln von Marion PoschmannIch bin nie in Japan gewesen und doch voller Sehnsucht nach diesem Land, seiner Natur und seinen Menschen. Ganz selbstverständlich finde ich es deshalb (wenn auch nicht mit dem Flugzeug), so doch ab und zu im Kopf dorthin zu reisen. Wozu sonst gibt es Romane?
Und so träume ich mich mit Die Kieferninseln nach Japan. Eine erste Begegnung mit der Autorin konnte ich bereits auf dem Suhrkamp-Sommerfest genießen. Gemeinsam saßen sie und Professor Thomas Macho auf der Bühne am Wannsee, um über ihre neuen Bücher zu reden, in denen es (auch) um Selbstmord geht (Thomas Macho. Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne. Suhrkamp 2017).
Dort hörte ich zum ersten Mal von den vielen Kultorten, die es ganz besonders in Japan gibt. Magische Orte, zu denen unzählige Menschen jedes Jahr reisen, um sich in den Tod zu stürzen. Und von denen auch Die Kieferninseln erzählt. Dieses schmale Buch – das so alles zugleich ist: Liebesgeschichte, Reiseroman und Hommage für Japan. Philosophisch, klug unterhaltend und geheimnisumwoben spannend. 

Gilbert träumt in der Nacht davon, dass seine Frau ihn betrügen würde. Reale Beweise gibt es nicht, doch da er es irgendwie immer geahnt hatte, lässt Gilbert sich von dieser Phantasie leiten und reist spontan nach Japan. In einer Bahnstation in Tokyo begegnet er einem jungen Mann mit einem kleinen modischen Ziegenbart – Yosa. Dieser hatte beschlossen, sich das Leben zu nehmen. Gilbert verwickelt ihn zunächst in ein Gespräch und lädt ihn dann zu einem gemeinsamen Bier ein. Hier gibt Yosa zu, dass die von ihm gewählten Gleise nicht die beste Wahl seien. Es gibt bessere Orte! Und die unterliegen in Japan einer strengen Hierarchie:

Gut waren die Nishikigaura-Klippen an der Pazifik-Küste, sehr gut eignete sich der Krater des Mihara-Vulkans … aber natürlich träumte er, wie jeder es in seiner Lage tun würde, von einer bestimmten Klippe am Pazifik. Diese Klippe, mit Kiefern bestanden, war von zernagender Schönheit, und man mußte den richtigen Moment erwischen, in dem die Sonne in einem genau festgelegten Winkel auf den Felsen fiel (Seite 33).

All dies hatte Yosa dem Buch The Complete Manual of Suicide entnommen. Er trägt es immer bei sich. Standardlektüre für einen wie ihn!
Gilberts Lektüre ist eine komplett andere. Am Flughafen hatte er sich Bücher japanischer Haiku-Dichter wie Basho und Saigyo gekauft. Beide verzehrten sich in ihrer Dichtung nach dem Mond über Matsushima (Bucht der Kieferninseln). Und nun, da er davon gelesen hatte, verzehrt auch Gilbert sich danach.
Vorerst aber reist er auf Yosas Wunsch mit ihm nach Aokigahara und zum Mihara-Vulkan. Während das Bild eines sich vom Rand des Vulkankraters stürzenden Selbstmörders etwas Mutiges, Stolzes und Pathetisches hat, wird es in Aokigahara echt gruselig. Die Wege des dichten schwarzen Waldes sind gesäumt von verrottenden Blumenbuketts, aufgequollenen Exemplaren des Suicide-Manuals und schließlich … einem Paar laubgefüllter Schuhe auf einem Moospolster, über welchem ein abgeschnittener Strick pendelt. Gilbert gelingt es dennoch immer wieder, die Erhabenheit der Natur zu genießen, sich umhüllen zu lassen von all dem Grün, der Farbe des Unspektakulären. Und so kommt es, dass ich Passagen wie diese im Wald von Aokigahara ganz besonders langsam lese, dass ich innehalte und eintauche in die Schatten, in das Zikadengrün, das Meergrün, das unproblematische Azaleengrün, das postive Moosgrün und das einfache Bambusgrün (Seite 62). Purer Lesegenuss!

Die Kieferninseln von Marion Poschmann

Am Ende dieser Reise ist Gilbert ein anderer. Er kann wieder lieben und er kann vergeben. Und er sehnt sich ganz sicher nach Mathilda. Nicht sicher ist, ob Yosa ihn wirklich auf dieser Reise begleitet hat, oder nur eine weitere Phantasie in Gilberts Kopf gewesen ist. Bevor Yosa im Gewimmel des Zuges nach Matsushima endgültig verloren geht, hatte Gilbert ihn im Hotel bereits als eine Erscheinung im Ungewissen zwischen weiß und weiß wahrgenommen. Durchsichtig, dünnflüssig, kaum noch vorhanden (Seite 83).

Aber dieses Verschwimmen der Grenzen und das Eintauchen in Parallelwelten, ist ja was einen japanischen Roman auf ganz besondere Weise auszeichnet. Ich finde es in den Geschichten von Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, Yoko Ogawa und Hiromi Kawakami. Und so bleibt auch von dieser traumwandlerischen Geschichte ein ganz zartes durchlässiges, lichtdurchflutetes Gefühl.
Weitere Besprechungen auf den Blogs von bookster HRO,  literaturleuchtet und pinkfisch.net sowie im Video-Blog BuchGeschichten

Marion Poschmann. Die Kieferninseln. Suhrkamp Verlag. Berlin 2017. 168 Seiten. 20 €



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