Kapitel 1
Mitten in der Wüste stand eine Schlange aus Menschen. Gelbes Ödland erstreckte sich meilenweit um sie herum, ohne einen Baum, oder einen Berg in Sicht. Die einzige Spur von Leben war etwas ausgeblichenes Gras, das in dürren Büscheln in der Weite verstreut wuchs. Die Schlange zog sich endlos durch das Nichts. Ihr Anfang und ihre Ende lagen im Nirgendwo hinter dem Horizont. Mit hängenden Köpfen standen die Gestalten im Staub und warteten, während die Sonne auf sie niederbrannte. Sie wirkten krank und schwach; manche husteten schwer, andere zitterten trotz der Hitze. Ihre Körper waren völlig und allumfassend kahl geschoren: Haare, Augenbrauen, Wimpern, Scham – bis auf die grauen Kutten, die sie trugen, waren sie nackt.
Dumpfer Schmerz pochte durch Dereks Glieder. Sein Fleisch und seine Muskeln fühlten sich ekelhaft wund an, als wäre er gerade aus einem Fleischwolf gekrochen. Unter seinen Zehen prickelte der Wüstenboden, doch trotzdem fror er, von innen. Er öffnete die Augen, blinzelte benommen in die Sonne und zuckte sofort vor Schmerz zusammen. Das helle Licht stach Messer durch seinen Kopf. Schnell blickte er zu Boden, in den kühlen Schatten unter ihm. Da bemerkte er den grauen Fetzen, der von seinen Schultern hing, ein schmutziger Putzlappen, an den Rändern halb zerrissen. Wo hatte er den her?
Er konnte sich nicht erinnern. Wie in Trance glotzte er auf seine Hände, die so frisch und feucht glänzten, als kämen sie gerade aus dem Kühlregal. Feucht, hier in der Wüste? Wo befand er sich hier? Was machten sie hier? Wohin führte die Schlange? Was hatte er vorher gemacht? Es fiel ihm nicht ein. Hinter seiner Stirn, da wo seine Erinnerung sein sollte, klebte eine schwarze Leere.
Als er sich an die Helligkeit gewöhnte, wagte er ein paar vorsichtige Blicke nach links und rechts. Vergeblich suchte er nach etwas Greifbarem in der Einöde, einem Punkt am Horizont, der ihm verriet wo er sich befand, etwas um sich zu orientieren. Doch er fand nichts. Nur Meile um Meile Staub und Dreck und der dünne Strich, wo der braune Sand den blauen Himmel traf.
Lediglich ein paar schwarze Flecken erkannte er in der Ferne. Mit der Hand über der Stirn schaute er genauer hin: Hunde, ein ganzes Rudel. Gelangweilt trotteten sie durch die Wüste und schienen wie die kranken Gestalten in der Menschenschlange darauf zu warten, dass sich etwas bewegte. Es waren große, brutale Tiere. Ihr kurzes Fell glänzte wie frischer Teer und aus ihren Kiefern ragten Zähne gemacht um damit Knochen zu zermahlen. Etwas an der Art, wie sie den Zug beobachteten und bei jedem Husten die Ohren spitzten, sandte einen Schauer über seinen Rücken.
Die Frau, die vor Derek stand, stöhnte auf. Ihre dünnen Beine zitterten, sie hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Knochen ragten unter ihrer Haut hervor, schwarze Pusteln wucherten auf ihrem Schädel. In einem heftigen Hustenanfall fiel sie zu Boden, wo sie keuchend liegen blieb.
Der Mann vor ihr versuchte ihr zu helfen. Er packte sie an den Armen und zog sie hoch, aber ihre Beine knickten gleich wieder ein; sie fiel wie ein Skelett in sich zusammen. Der Mann sah zu ihm rüber, doch Derek stand nur regungslos da und und schielte auf die Hunde. Das Rudel spitzte die Ohren. Langsam erhoben sie sich, schüttelten den Staub aus dem Fell und beobachteten aufmerksam das Geschehen.
Ein Anfall nach dem anderen durchzuckte die Frau; der Husten hielt sie umklammert. Blind krallte sie durch die vertrocknete Erde, auf der Suche nach Halt, etwas Festem, und bekam Dereks Fuß zu fassen. Er schreckte zurück, zog sein Bein von ihr weg und schaute wieder zu den Hunden. Mittlerweile waren sie aufgestanden und kamen mit gesenkten Köpfen langsam näher.
Der andere Mann hatte sie nun auch gesehen. Er ließ die Frau los, drehte sich zurück in die Reihe und tat so gut er konnte, als sei nichts passiert. Ihr dürrer Körper krümmte sich zu Dereks Füßen. “Bitte”, bettelte sie heiser, “hilf mir, ich kann nicht…”, aber der Husten schnitt ihr das Wort an. Derek riss seinen Fuß endgültig aus ihrem Griff und machte zwei Schritte zurück. Er hörte die Hunde knurren. Mit gefletschten Zähnen und angelegten Ohren, kreisten sie die Frau ein, wie einen verwundeten Vogel. Geiler Speichel tropfte von ihren Lefzen. “Bitte”, jammerte die Frau, “ich kann…” – doch zu spät. Die Hunde stürzten sich auf sie, versenkten ihre Zähne in den Hals, ihre Armen, und rissen das Fleisch von ihren Knochen. Blut quoll aus den schwarzen Schnauzen hervor und formte eine Lache im Sand. Sie brachte kein Wort heraus, nur ein langgezogenes, gurgelndes Stöhnen. Sie starrte reglos in den Himmel, als die Hunde sie weg zerrten, um in der Ferne mit ihr zu spielen.