Bernat Estanyol, ein unfreier Leibeigener, muss mit seinem neugeborenen Sohn Arnau vor seinem Feudalherren de Bellera fliehen, da er um sein Leben und das Leben seines Sohnes fürchten muss. Sein Weg führt ihn nach Barcelona, in die Stadt der Träume, wo ein Leibeigener freier Bürger werden kann, wenn er ein Jahr und einen Tag in der Stadt gelebt hat. Die beiden kommen bei der Familie von Bernats Schwester unter und so vergehen die Jahre wie im Flug. Arnaus Lebensweg führt ihn von Kind an zu der Kirche Santa Maria del Mar, die von einem großen Baumeister seiner Zeit neu gebaut wird. Arnau ist fasziniert von der Kirche und den Bastaixos, den Lastenträgern, die unentgeltlich Steine vom königlichen Steinbruch zur Baustelle schleppen, um etwas zum Bau der Kirche des Volkes beizutragen. Nach einem Schicksalsschlag wird Arnau in die Zunft der Bastaixos aufgenommen und sein angenommener Bruder Joan wird Schüler an der Domschule. Bald trennen sich die Wege der beiden Brüder und das Schicksal im Schatten der stetig wachsenden Kirche Santa Maria del Mar wartet auf Arnau…
Mir ist es sehr schwer gefallen eine adäquate Inhaltszusammenfassung zu schreiben, denn in diesem Historienepos passiert über viele, viele Jahre hinweg unglaublich viel. Ein Ereignis jagt das Nächste, ein Schicksalsschlag folgt auf den Vorherigen, nie ist es Arnau vergönnt wirklich mal zur Ruhe zu kommen. Sein Bruder Joan und er sind früh auf sich allein gestellt, aber sie finden immer wieder nette Menschen und Freunde, die ihnen helfen. Frisch gestärkt gehen die beiden Jungen aus den Schicksalsschlägen hervor. Auch Arnau findet später meistens einen Weg aus der Misere, in der er gerade steckt und die er sich meistens nicht selbst zuzuschreiben hat. Oder jemand hilft ihm aus der Klemme. An Dramatik fehlt es diesem Buch wahrlich nicht! Was ich aber sehr schade fand, war die Detailarmut, die leider fast die gesamte Geschichte über vorherrschte. Mich hätten viel mehr das Leben und der Alltag der Menschen oder Beschreibungen des mittelalterlichen Barcelonas im 14. Jahrhundert interessiert. Und natürlich der Bau der Kirche, welcher leider nur eine Randfigur einnimmt, immer mal wieder einfließt in die Geschichte, aber nicht so im Mittelpunkt steht, wie ich es mir erhofft hatte.
Der Schreibstil des Autors hat diese typisch spanische Note, die mir sofort aufgefallen ist. Er ist anders als bei englischen oder deutschen Schriftstellern, irgendwie ein wenig ruhiger und gesetzter, nicht so sehr auf Spannungsaufbau aus, sondern eher erzählender Natur. Ich habe mich jedoch schnell mit dem Schreibstil angefreundet und konnte mich dann voll auf das Buch einlassen und ins Barcelona um 1330 eintauchen. Der Lebensweg Arnaus wurde interessant beschrieben, ich wollte auch immer wissen, wie es mit dem jungen, später dann älteren Mann, weitergeht. Trotzdem hatte das Buch auch seine Längen und ich bin ein wenig festgehangen, als es nicht so richtig vorangehen wollte mit der Story. In allen Kapiteln und jedem der vier großen Abschnitten, in die das Buch unterteilt ist, ist wahnsinnig viel passiert und ich hätte mir manchmal gewünscht, dass weniger geballtes Geschehen auf einen hereinbrechen würde, als mehr Details aus der Umwelt Arnaus preisgegeben würden.
Die Charaktere sind ganz unterschiedlich und ich muss die Vielfalt der Protagonisten loben. Dennoch betrachtet man die handelnden Personen eher aus der Ferne. Sie sind weniger greifbar, einzig Arnau, den man die ganze Zeit begleitet gibt ab und zu mal sein Gefühlsleben preis. Arnau ist ein guter und gerechter Mann, denn er weiß, wie es ist arm zu sein, Hunger zu haben und irgendwelchen Herren ausgeliefert zu sein. Außerdem betet er sehr oft zu Maria und unterstützt den Kirchenbau erst durch seine Muskelkraft, dann mit seinem Vermögen. Joan ist Arnaus angenommener kleiner Bruder und er liebt ihn sehr. Eine Zeit lang verschwindet Joan aus Arnaus Leben um sich geistlichen Studien in Italien zu widmen und kommt sehr verändert zurück. Aledis und Mar sind wichtige Frauen in Arnaus Leben, beide sehr selbstbewusst und stark und sehr sympathisch. Guillem mochte ich auch sofort! Der Maure hilft Arnau bei seinen Handelsgeschäften und wird ihm zu einem unersetzlichen Freund.
Die Gestaltung des Schutzumschlags gefällt mir außerordentlich gut. Hier sieht man den Innenraum einer gotischen Kirche, wie Santa Maria del Mar eine ist und die Rückseite einer Marienstatue, die ins Licht eines Rosettenfensters blickt. Das Cover trägt dazu bei, dass man denken kann, das Buch würde sich hauptsächlich um den Kirchenbau drehen, was leider nicht der Fall ist. Trotzdem ein sehr schönes Cover! Das gebundene Buch ist noch mit einem grauen Lesebändchen und einer gezeichneten Übersichtskarte von Barcelona im 14. Jahrhundert ausgestattet.
Insgesamt ist „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonso Falcones ein lesenswerter historischer Roman, der Lesern von Ken Follets „Die Säulen der Erde“ gefallen könnte. Ich persönlich hätte dem Bau der Kirche gerne einen größeren Anteil an der Geschichte eingeräumt, einfach, weil mich das Thema interessiert und ich mehr darüber erfahren wollte. Die Geschichte über Arnau Estanyols Leben habe ich aber trotzdem sehr gerne gelesen und kann das Buch getrost weiterempfehlen!
Die Kathedrale des Meeres
von Ildefonso Falcones Gebundene Ausgabe: 656 Seiten Verlag: Scherz Verlag, Frankfurt; Auflage: 1. (27. Dezember 2007) Sprache: Deutsch ISBN-10: 3502100977 ISBN-13: 978-3502100973 Originaltitel: La Catedral del Mar
Das Buch ist mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich!
Rezension vom 20.04.2012