erschienen bei einartysken
von Chris Hedges
Die größten Verbrechen in der menschlichen Geschichte werden durch die farblosesten menschlichen Wesen möglich gemacht. Es sind die Karrieristen. Die Bürokraten. Die Zyniker. Sie machen die kleinen Aufgaben, die das große, komplizierte System der Ausbeutung und des Todes Wirklichkeit werden lassen.
Sie sammeln und lesen die persönlichen Daten, die von Dutzenden von Millionen von uns durch den Sicherheits- und Überwachungsstaat gesammelt werden. Sie führen die Bücher von Exxon Mobil, BP und Goldman Sachs. Sie bauen oder dirigieren die Drohnen. Sie sind tätig in der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit der Multis. Sie liefern die Form. Sie verarbeiten die Papiere. Sie verweigern den einen Nahrungsmittelkarten und den anderen Arbeitslosengeld oder medizinische Versorgung. Sie setzen die Gesetze und Regeln durch. Und sie stellen keine Fragen.
Gut. Böse. Diese Worten bedeuten nichts für sie. Sie stehen jenseits der Moral. Sie sind dazu da, das korporative System am Laufen zu halten. Wenn Versicherungsunternehmen Dutzende Millionen kranke Menschen fallenlassen, dass sie leiden und sterben, dann ist es so. Wenn Banken und Polizei-Behörden Familien aus ihren Häusern werfen, dann ist es halt so. Wenn Finanzunternehmen die Bürger ihrer Ersparnisse berauben, dann ist es halt so. Wenn die Regierung Schulen und Bibliotheken schließt, dann ist es halt so. Wenn die Militärs Kinder in Pakistan und Afghanistan ermorden, dann ist es halt so. Wenn die Warenspekulanten die Kosten von Reis und Mais und Weizen hochtreiben, dass sie für hunderte Millionen Arme auf dem ganzen Planeten unerschwinglich werden, dann ist es halt so. Wenn der Kongress und die Gerichte die Bürger ihrer bürgerlichen Rechte beraubt, dann ist es halt so. Wenn die Treibstoffindustrie die Erde in einen Ofen von Treibhausgasen verwandeln, die unser Verderben sind, dann ist es halt so. Sie dienen dem System. Dem Gott des Profits und der Ausbeutung.
Die gefährlichste Kraft in der industrialisierten Welt kommt nicht von jenen, die radikale Gedanken hegen, ob islamischer Radikalismus oder christlicher Fundamentalismus, sondern von Legionen gesichtsloser Bürokraten, die stufenweise die korporativen Unternehmens- und Regierungs-Maschinen erklettern. Sie dienen jedem System, das ihre jämmerliche Quote an Bedürfnissen erfüllt.
Diese System-Manager glauben nichts. Sie kennen keine Loyalität. Sie haben keine Wurzeln. Sie denken nicht über ihre winzigen, bedeutungslosen Rollen hinaus. Sie sind blind und taub. Sie sind, zumindes hinsichtlich der großen Ideen und Muster der menschlichen Zivilisation und Geschichte, äußerst ungebildet. Und unsere Universitäten spucken sie aus. Anwälte. Technokraten. Geschäftshäuptlinge. Finanzmanager. IT-Spezialisten. Fachberater. Erdölingenieure. „Positive Psychologen“. Die Kommunikations-Obermacher. Kadetten. Verkaufsrepräsentanten. Komputer-Programmierer. Männer und Frauen, die keine Geschichte kennen, keine Ideen haben. Sie leben und denken in einem intellektuellen Vakuum, einer Welt von lähmenden Details. Sie sind T. S. Elliots „hohle Menschen“, „ausgestopfte Menschen“. „Gestalt ohne Form, Schattierung ohne Farbe“, schrieb der Dichter. „Paralysierte Kraft, Gestik ohne Bewegung.“
Es waren die Karrieristen, die die Genozide möglich machten, von der Ausrottung der einheimischen Amerikaner bis zum türkischen Gemetzel der Armenier, zum Nazi-Holocaust und Stalins Liquidierungen. Sie waren diejenigen, die die Züge am Laufen hielten. Sie füllten die Formulare aus und führten den Vorsitz bei den Eigentums-Konfiszierungen. Sie rationierten die Nahrung, während die Kinder starben. Sie stellten die Gewehre her. Sie führten die Gefängnisse. Sie setzten die Reiseverbote durch, konfiszierten Pässe, beschlagnahmten Bankkonten und führten die Segregation durch. Sie setzten die Gesetze durch. Sie machten ihre Jobs.
Politische und militärische Karrieristen, gestützt von Kriegsprofiteuren, haben uns in nutzlose Kriege geführt, einschließlich den 1. Weltkrieg, Vietnam, Irak und Afghanistan. Und Millionen folgten ihnen. Pflicht. Ehre. Vaterland. Karnevale des Todes. Sie opferten uns alle. In den vergeblichen Schlachten von Verdun und der Somme im 1. Weltkrieg mit 1.8 Millionen Toten, Verwundeten oder nie Gefundenen. Im Juli 1917 verurteilte der britische Feldmarschall Douglas Haig, trotz der Berge von Toten, noch mehr zum Schlamm von Passchendaele. Im November, als es feststand, dass sein versprochener Durchbruch bei Passchendaele versagt hatte, gab er das ursprüngliche Ziel auf – wie wir es in Irak taten, als es sich herausstellte, dass es keine MVWs gab und in Afghanistan, als Al Qaida das Land verlassen hatte – und setzte auf einen simplen Zermürbungskrieg. Haig „gewann“, wenn mehr deutsche als alliierte Soldaten sterben würden. Tod als Kerbholz.
Passchendaele forderte 600 000 mehr Leben auf beiden Seiten, bevor es zu Ende war. Das ist eine neue Geschichte. Generäle sind fast immer Clowns. Soldaten folgten John, dem Blinden, der sein Augenlicht ein Jahrzehnt zuvor verloren hatte, in eine vernichtende Niederlage in der Schlacht von Crécy 1337 im Hundertjährigen Krieg. Wir entdecken, dass die Führer nur Durchschnittstypen sind, aber erst, wenn es zu spät ist.
David Lloyd George, der britischer Premierminister während der Passchendaele-Kampagne war, schrieb in seinen Memoiren: „[Vor der Schlacht von Passchendaele] bereitete die Führung des Panzercorps Karten vor, die zeigten, wie ein Bombardement unausweichlich das Wasser an ganz bestimmten Punkten sammeln würde, da die Abzugskanäle vernichtet würden. Die einzige kategorische Antwort war, ‘Keine dieser lächerlichen Karten mehr zu schicken’. Karten müssen mit Plänen übereinstimmen und nicht die Pläne mit den Karten. Fakten, die mit Plänen kollidierten, waren Unverschämtheiten.“
Hier hat man die Erklärung, warum unsere herrschenden Eliten nichts gegen den Klimawandel unternehmen, sich weigern, rational auf den ökonomischen Zusammenbruch zu reagieren und unfähig sind, mit dem Kollaps der Globalisierung und des Imperiums fertig zu werden. Dies sind Umstände, die in die eigentliche Lebensfähigkeit und Nachhaltigkeit des Systems eingreifen. Und Bürokraten wissen nur, wie man dem System dient. Sie kennen nur die Managementfähigkeiten, mit denen sie in West Point [berühmte US-Militärakademie. D. Ü.] oder in der Harvard Business School geimpft werden. Sie können nicht auf die Herausforderung von Annahmen und Strukturen reagieren. Sie können nicht intellektuell oder emotional erkennen, dass das System implodieren könnte. Und dann tun sie das, wovor Napoleon als dem größten Fehler, den ein General begehen könnte, warnte – ein imaginäres Bild von einer Situation malen und es als real anzusehen. Aber wir ignorieren unbekümmert zusammen mit ihnen die Realität. Die Manie auf ein Happy End macht uns blind. Wir wollen nicht glauben, was wir sehen. Es ist so niederschmetternd. Also ziehen wir uns in den kollektiven Selbstbetrug zurück.