Die Kandidaten 2016: Marco Rubio

Praktisch jeder, der für das Amt des Präsidenten kandidiert, muss sich Vergleiche gefallen lassen. Donald Trump wird mit den großen Populisten der Vergangenheit von Wallace bis Goldwater verglichen, Jeb Bush mit seinem Bruder, Hillary Clinton mit ihrem Mann und Bernie Sanders mit praktisch jedem sozialdemokratischen Land Europas. Der Vergleich, der sich für Marco Rubio geradezu aufdrängt ist der mit Obama. Er ist 10 Jahre jünger und wäre damit annähernd gleich alt, wenn er das Weiße Haus gewänne. Wie Obama wäre er erst seit kurzer Zeit im Kongress. Er ist charismatisch, kann gute Reden halten, besticht durch Interview-dichtes Faktenwissen und steht fest auf dem Boden der Parteiideologie. Wo Obama Mitte-links steht, steht Rubio Mitte-rechts. Für beide ist der größte Konkurrent in den primaries ein elder statesman, die gleichzeitig ein enger Verwandter des vorletzten Präsidenten ist. Wenn es nach Rubio ginge, würde er nun auch von einer starken Wählerkoalition bejubelt und durch die primaries an die Spitze getragen, wo er gegen einen erfahrenen, aber alten Gegner mit einer Botschaft von hope and change gewänne. Aber wiederholt sich Geschichte tatsächlich derart passend? Oder ist Marco Rubio das Leichtgewicht, das man Obama immer vorgeworfen hatte zu sein?
Rubio befand sich schon einmal auf der Überholspur. 1999 in das House of Represenatives in Florida gewählt, machte er dort schnell Karriere. Ironischerweise war einer seiner größten Förderer damals Jeb Bush, dem er heute als größter Konkurrent gegenübersteht. In Florida machte sich Rubio einen Namen, indem er eine große Reise unternahm und mit Wählern im ganzen Land in Kontakt kam. Die Resultate veröffentlichte er in einem Buch mit dem etwas drögen Namen "100 Innovative Ideas for Florida's Future". Den politischen Ritterschlag aber erhielt er, als er eines der größten Steuerkürzungsprogramme in der Geschichte des Sunshine State durch die Legislatur boxte und daraufhin von Grover Norquist als der "am meisten für Steuerkürzungen eintretende Politiker des Landes" ernannt wurde (zur Bedeutung von Norquist siehe hier).
2009 fühlte Rubio, der sich damit klar im ideologisch strammen Spektrum seiner Partei platziert hatte, stark genug, sich um einen der beiden Senatssitze Floridas zu bewerben und gegen den früheren Gouverneur Charlie Crist anzutreten. Rubio machte seine Gegnerschaft zu Obamas stimulus, mit dem dieser damals die durch die Finanzkrise darniederliegende Wirtschaft zu beleben gedachte (und damit Erfolg hatte), zum Herzstück seines Wahlkampfs. Crist hatte dem Gesetz zugestimmt und es sich damit bei der republikanischen Basis verscherzt. Auch hier ist eine deutliche Parallele zu Obama zu erkennen, der im Vorwahlkampf gegen Hillary Clinton seine eigene Unerfahrenheit auf der Bundesebene mit seiner ideologischen Reinheit kontrastieren konnte - in seinem Falle der Widerstand zum von Clinton unterstützten Irakkrieg.
Rubio gehörte damit zu der Welle an Tea-Party-Radikalen, die 2010 in den Kongress geschwemmt wurden, ohne aber jemals zu ihnen zu gehören. Zwar zeigte er sich in Fragen der Finanzpolitik und besonders bei der Außenpolitik als klarer Hardliner, gleichzeitig aber zeigte er auch Flexibilität und Kompromissbereitschaft. So wandte sich Rubio sowohl gegen den Sequester, bei dem die Haushaltsposten der Regierung durch die Bank pauschal gekürzt wurden, als auch gegen den Government Shutdown (siehe hier). In beiden Fällen erklärte er seine Gegnerschaft aber in Begriffen der Rechten: der Sequester beschnitt auch das Militärbudget, was er nicht hinnehmen konnte, und der Shutdown betraf zu sehr das small business, dem sich die Republicans zumindest rhetorisch immer verschreiben. Dieser erfolgreiche Eiertanz brachte ihm die Aufmerksamkeit der Parteielite und der Medien ein und katapultierte ihn direkt an die Spitze nationaler Politik, so dass er 2012 sogar als Vizepräsidentschaftskandidat für Mitt Romney gehandelt wurde.
2013 jedoch kam der republikanische Ikarus der Sonne endgültig zu nahe. Als Mitglied einer überparteilichen Gruppe von Senatoren, der Gang of Eight, versuchte er, eine Reform der Immigrationsgesetzgebung zu schaffen. Wäre dies gelungen, es hätte ihn endgültig zu einem Präsidentschaftskandidaten der ersten Garnitur gemacht, der das Versprechen Obamas, die ideologische Spaltung Amerikas zu überwinden, hätte Wirklichkeit werden lassen können. Doch hier verschätzte er sich genauso wie Obama in der Grundlage eben dieser Spaltung. Die Gegnerschaft der republikanischen Radikalen zu jedwedem Kompromiss, egal welcher Natur, versetzte dem Projekt den Todesstoß. Rubio geriet innerparteilich heftig in die Kritik, ihm wurde Verrat an den Idealen der Partei und Bewegung vorgeworfen.
Rubio ließ daraufhin das Immigrationsthema erst einmal fallen und wandte sich wieder dem Schutz von Waffenbesitzern und Kleinunternehmern zu, der deutlich weniger Profil aufwies und hoffte, dass Gras über die Sache wachsen würde - eine Rechnung, die bislang aufzugehen scheint und bei der Rubio natürlich hilft, dass sein größter Konkurrent Jeb Bush ihm on the record in allen wesentlichen Punkten zustimmt und sein anderer großer Gegner, Donald Trump, eine ideale Reibefläche bildet.
Trotzdem ging Rubio nicht gerade mit den größten Vorteilen ins Rennen (wie hier beschrieben). Rubio ist nicht überragend gut vernetzt und hat keine relevanten Verbündeten in den republikanischen Gouverneuren. Zwar hat er viele Verbündete in Florida, aber dasselbe trifft auch auf Jeb Bush zu, dessen Verbindungen zwar älter und nicht mehr ganz so stark wie Rubios sind, der dafür aber den besseren Zugang zu den reichen Spendern in Florida hat. Die gegenwärtige Schwäche Bushs jedoch lässt diese Nachteile geringer erscheinen als es noch vor drei Monaten aussah. Tatsächlich ist Rubio aktuell zusammen mit Bush der aussichtsreichste Kandidat.
Einen guten Teil dieses Aufwinds verdankt Rubio dem überraschenden Einbruch von Scott Walker. Er und Walker hatten um dasselbe Segment der republikanischen Wählerschaft gebuhlt - Social Conservatives, small businnes, an niedrigen Steuern und möglichst wenig Staatsintervention interessiert. Walkers Exit gab Rubio die Chance, dessen Spender und Unterstützernetzwerke aufzusaugen - und Walker hatte massiv in Iowa investiert. Obwohl Rubio nicht die komplette Infrastruktur Walkers übernehmen konnte, ist er doch der mit Abstand größte Gewinner seines Untergangs.
Ein zweiter Aspekt ist die Schwäche seiner Gegner durch Trump. Es kann als gesichert gelten, dass Trump keinesfalls die Nominierung der Republicans gewinnen wird. Solange er aber im Rennen bleibt - und derzeit ist kein Ende abzusehen - wird Rubios Konkurrenz von Rechts, Ted Cruz, marginalisiert. Gleichzeitig lassen die hohen Umfragewerte von Trump, Fiorina und Carson den anderen Kandidaten so wenig Raum, dass Jeb Bush mit seinen Werten unter 10% deutlich schwächer aussah, als es zu erwarten war. Da Rubio keinen Frontrunner-Status hatte, waren die niedrigen Werte (etwa gleichauf mit Bush) relativ unproblematisch. Tatsächlich schienen seine moderaten Gewinne (rund 3,5%) seit Walkers Ausscheiden gegenüber Bushs gleichzeitiger Stagnation ein gewaltiger Erfolg.
Der letzte Aspekt, der ihn in die Topriege beförderte obwohl er von den Umfragen her deutlich schlechter dasteht, ist seine Performance in den beiden TV-Debatten. Rubio konnte zwar keine eigenen Akzente setzen, vermied aber gleichzeitig einen Eindruck von Schwäche und gab sich keine Blöße, anders als etwa Bush, dessen bestenfalls mittelmäßige Performance seinen Frontrunner-Status ebenfalls unterminierte. Auch in Interviews zeigt sich Rubio beständig seriös und gebrieft genug, um in der Sprache des jeweiligen Themas reden zu können. Dieser Tweet drückt das recht prägnant aus:
What makes Marco Rubio stand out in this field is that he actually bothers to be briefed about *everything.* https://t.co/BVIQzcn6aL — Brian Beutler (@brianbeutler) September 30, 2015
Natürlich ist es noch zu früh, um endgültige Aussagen über Rubio machen zu können. Seine Sicherheit in der Diskussion von Politiken kann gespielt sein, denn bisher hat noch niemand versucht, ihm wirklich auf den Zahn zu fühlen. Die entsprechenden Redewendungen lernt ein guter Schauspieler im Zweifel auswändig, das hat selbst Sarah Palin geschafft. Das verrückte am Vorwahlprozess bislang ist, dass Rubio der einzige Kandidat ist, der das tut. Sobald der Wettbewerb ernster wird werden die verbliebenen Kandidaten hier aber aufholen und Rubio sich in der ernsten Debatte beweisen müssen. Denn dass Hillary Clinton auf diesem Feld keine Probleme hat, dürfte jedem klar sein.
Interessant ist jedenfalls, dass Rubio die Interviews seit etwa der zweiten Debatte benutzt, um sich ein klares, vom Rest des Bewerberfelds abgehobenes Profil zu verschaffen. Anstatt einfach nur Parolen abzuspulen, redet er bereits so, als befände er sich im direkten Kampf gegen Clinton. Das ist umso bemerkenswerter, als dass dies eigentlich von Bush zu erwarten gewesen wäre. Schafft es Rubio, sich in den kommenden Wochen einen Ruf als der wonk unter den republikanischen Kandidaten zu erarbeiten - quasi ein kubanischer Paul Ryan - dann wäre eine seiner größten offenen Flanken, seine relative Unerfahrenheit, bereits geschlossen - auch im Hinblick auf den Kampf gegen Clinton.
Rubio muss nun noch noch seine Position solange verteidigen, bis andere Kandidaten, die sie ihm theoretisch streitig machen könnten - Chris Christie und John Kasich, vor allem - sie ihm streitig machen könnten. Gelingt ihm das, kann er weiterhin gelassen der Selbstdemontage von Trump, Carson und Fiorina zusehen und sich auf den Showdown mit Bush vorbereiten. Aber einen so eleganten Weg zur Nominierung hatte Bush sich ja auch einmal zurechtgelegt.

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