Ein Monat kann lang sein… wenn man sich inmitten diesen Monats befindet. Rückblickend ist es ein Wunder – eine Überraschung – wie innerhalb kürzester Zeit ein kleines Völkchen (10-11 Millionen Menschen) aus dem sonst so bekannten Urlaubsparadies Tunesien einen Diktator der eisernen Hand verscheuchte. Viel zu wenig Aufmerksamkeit schenkten die Medien weltweit diesem Land, welches im Begriff war, ein historisches Exempel für die arabische Welt zu werden. Erst kurz vor der Hals-über-Kopf Flucht des dortigen Ex-Präsidenten Zine El-Abedine Ben Ali hat auch die Weltgemeinschaft etwas von den mehrwöchigen Unruhen erfahren. Unter den arabischen Bevölkerungen wird Tunesien gefeiert – Es steht nunmehr sinnbildlich für die Kraft des Volkes und vor allem der Jugend, denn diese war es, von der die Revolution aus startete.
Die Jasmin-Revolution – so wird der Aufstand mittlerweile vielerorts genannt. Manchen jedoch missfällt der Name, denn die Revolution war trotz ihrer verhältnismäßigen Kürze und Effektivität alles andere als schön und unblutig. Die Polizei griff mit harter Faust in die Demonstrationen ein. Mehrfach wurde scharf geschossen. Gezielte Kopfschüsse durch Scharfschützen waren keine Seltenheit. Bilder und Videos auf vielen Profilseiten von Tunesiern auf Facebook zeugten von der Grausamkeit, welche vom Staate aus kam.
Facebook. Wie in den letzten Protestwellen vielerorts auf der Welt, haben sich auch die Tunesier der neuen Kommunikationswege bedient. Es war vor allem Facebook, welches die Tunesier breitflächig auf den neuesten Stand der Dinge brachte und erst die Dynamik der Protestwellen ermöglichte. Auch im Ausland lebende Tunesier verfolgten regelmäßig die Entwicklungen und teilten dies mit ihren Freunden aus anderen Ecken der Welt und Tunesiens. Hierbei kommt vor allem einer internationalen Organisation namens “Anonymous” eine wichtige Rolle zu. Kritische Stimmen im Internet wurden in dem Land normalerweise ausgemerzt, indem man ihre Seiten sperrte oder gar ganze Seiten, wie Youtube sperrte. Ähnliches hätte wohl Facebook drohen können. Doch Anonymous hackte das Internet. Staatsseiten wurden lahmgelegt. Youtube, Dailymotion und etliche andere Seiten wurden geöffnet. Es ist die einzige unabhängige Organisation, welche die Tunesier in ihrer Revolution mit vollem Nachdruck unterstützte.
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Am Freitag ging alles Schlag auf Schlag. Nachdem sich die Situation seit dem vorigen Wochenende vor allem in Thala und Kasserine zuspitzte und mehrere Tote forderte, bekamen die Aufstände eine neue Dimension. Diese erreichte ihren Höhepunkt am Freitag. Noch am Vortag verbreitete sich rasend schnell die Nachricht einer Riesen-Demo auf der Straße Habib Bourguiba – die Hauptstraße der Hauptstadt – vor dem Innenministerium, dem Symbol der Unterdrückung, Verschleppung und Diktatur. Zehntausende versammelten sich. Minütlich, so heißt es, kamen immer mehr hinzu. Die Rufe wurden immer lauter: “Dégage, Dégage, Dégage” ließen die Menschen verlauten, was so viel bedeutet, wie: “Mach Platz, Hau ab!” Noch am Abend gegen 18 Uhr überschlugen sich die Ereignisse. Ein Pilot weigerte sich Familienangehörige der Familie Trabelsi auszufliegen, welche, verwandt mit Ben Ali, bekannt für ihre Korruption ist. Das Militär schloss den Flughafen, sowie den Luftraum. Keiner konnte mehr raus. Doch dann startete wohl doch noch eine Maschine, in der sich Ben Ali befunden haben soll. Dieser war auf der Flucht nach Paris, wo er nicht willkommen war. Wohl auch, weil sich in Frankreich die größte tunesische Exil-Gemeinschaft der Welt befindet mit über 600.000 Tunesiern. Zuflucht fand Ben Ali schließlich nach offiziellen Angaben in Saudi Arabien. Ein durchaus schlecht ausgewähltes Land, wo doch Ben Ali der größte Bekämpfer der Religion ist.
Es ist nur der Anfang. Die Tunesier haben einen ersten großen Schritt getan. Der Präsident ist gestürzt, seine Familie auf der Flucht. Doch sorgen momentan vor allem auf der Straße herumstreunende Milizen für Unruhen. Man spricht davon, dass es sich vor allem um Parteiangehörige der RCD (Ben Alis Partei) handelt, sowie ein paar Kriminellen, die aus manchen Gefängnissen noch am Freitag ausgebrochen sind. Sie plündern und schießen aus fahrenden Autos. Doch das Volk hält zusammen. Überall haben sich kleine Bürgerwehr-Gruppierungen zusammengeschlossen. Junge Männer verteidigen ihre Viertel mit Schlagstöcken. Mittlerweile räumen sie auch die Straßen wieder auf. Es ist ein Bild des Zusammenhalts. Dennoch, auch wenn mittlerweile immer mehr Videos die Runden machen und zeigen, wie Milizen gefangen genommen werden von Zivilisten und dem Militär, welches sich auf die Seite der Bevölkerung gestellt hat, ist die Lage ungewiss. Es gilt möglichst schnell Sicherheit zu schaffen und Verantwortliche für die Unruhen nach der Revolution zur Verantwortung zu ziehen. Ebenso muss eine neue Regierung geschaffen werden. Der Wunsch nach Demokratie ist groß. Doch ist die Ausgangslage mehr als schwer. Denn eine echte organisierte Opposition gibt es noch nicht. Nur ein paar Wenige, die allerdings nie in die Regierung konnten. So müssen diese nun schnellstens sich bekannt machen. Denn der Ruf danach, dass die RCD und all ihre korrupten Anhänger von der Bildfläche verschwinden ist groß, aber nur schwer umsetzbar, denn es ist keiner da, der die Übergangsregierung bilden kann.
Es sind Tage der Freude, des Stolzes, der Angst und Ungewissheit, aber auch der Hoffnung. Man hat die dunkle Wolke, welche das Land bedeckte, weggepustet und man hat das Gefühl, dass man endlich wieder besser atmen kann. Es ist das Gefühl der Freiheit, welches keinesfalls selbstverständlich dort war. Und auch in Libyen, Ägypten, Jordanien, sowie anderen Ländern möchte man dieses Gefühl der Freiheit haben. So sind auch dort vereinzelt Proteste wahrzunehmen. Es ist der Wunsch nach einer Welt ohne Diktatur.
Ich freue mich von ganzem Herzen für das tunesische Volk und hoffe, dass sie das Beste daraus machen und dass die anderen unterdrückten Länder sich ihrer Lasten ebenso entledigen können.