Die Intensität der Bücher

Die Prämierten der letzten 12 Jahre sind selten Journalist*innen geworden, einige von ihnen haben zwar als Redakteur*innen und Autor*innen gewirkt, blieben aber immer beim Schreiben als Denkwerkzeug, so wie ich. Wobei wir dann dann aber besser wieder beim Namensgeber des Preises wären: Wilhelm Braun-Feldweg, der Schreiben als wichtigen Teil des Entwurfsprozesses sah, als Gestalter; Hochschullehrer und streitbarer Diskutant mit scharfen Argumenten. Initiatorin des Förderpreises ist seine Enkelin Benita Braun-Feldweg, die mit dem Preis dem Großvater ein lebendiges Denkmal gesetzt hat - wer schreibt, der bleibt, wie Erik Spiekermann in seiner Laudatio am Verleihungsabend treffend platzierte. Und so ist es eine Besonderheit, dass die Nachkommen zuerst den Designkritik-Förderpreis ins Leben riefen und erst später, nämlich im letzten Jahr, den Nachlass Braun-Feldwegs an das Archiv der Akademie der Künste in Berlin übergaben.

Offener Kritikbegriff

Der Kritikbegriff des Förderpreises lässt vieles zu: Von Anfang an ging es nie darum, sich bestimmten Formen von "Forschung" oder "Wissenschaft" unterzuordnen, sondern Beiträge zum Design-Diskurs zu fordern "die ein tieferes Verständnis der Disziplin Design innerhalb des Fachs und der Öffentlichkeit herstellen helfen" und "ein akutes Problemfeld wirklichkeitsnah und verständlich darstellen" oder "die Beziehung von Design und Gesellschaft in Gegenwart oder Zukunft untersuchen und ausleuchten" und "einer brisanten Fragestellung couragiert und inspirierend nachgehen". Das zeigt auch die Bandbreite der Gewinnerbeiträge in den letzten Jahren: Vom Essay über Krisen, die Parallelrealitäten digitaler Welten über Fragen der Wasserversorgung in Bangladesh bis hin zum Leben mit 100 Dingen oder der Ästhetik der Zensur. Die Jury besteht weitgehend nicht aus professionellen Autor*innen; seit 12 Jahren: Designer*innen, Professor*innen, Kurator*innen und ein Designjournalist (Thomas Edelmann). Der schreibende Diskurs wird hier dankenswerterweise nicht an vermeintliche Expert*innen ausgelagert, sondern das Verfassen von Texten als selbstverständliche Kulturtechnik gefördert.

Die ersten Jahre erschienen die Texte noch als Beilage zur Zeitschrift Designreport, dann als Buchpublikation im Niggli-Verlag. Dieses Mal hat die Preisträgerin Marion Kliesch das Buch sogar selbst gestaltet und damit gleich noch den „Förderpreis für junge Buchgestaltung der Stiftung Buchkunst gewonnen.

Der Gewinnertext 2016: Die Ästhetik der Zensur von Marion Kliesch

Bilder haben Macht, deshalb werden und wurden sie verboten, gelöscht, manipuliert, zurückgehalten und verfremdet. Marion Kliesch untersucht die ästhetische Seite dieser Praktiken: Wie beeinflussen die Störungen, das Verpixeln und Unsichtbarmachen, das Verdecken und Löschen, unsere Wahrnehmung?
Das "Prisma der Zensur" zeigt im ersten Teil unterschiedliche Aspekte der Zensur, mit vielen Beispielen visueller Zensur analysiert Marion Kliesch die Zensur des Körpers, die Zensur des Raumes und die Zensur des Gedächtnisses. Die Manipulationen reichen dabei vom einfachen Verdecken und Verpixeln, das oft mehr zeigt als verbirgt, bis zum Verschwinden von ganzen Landesteilen auf Satellitenbildern - Designstrategien, die eben nicht nur Macht, sondern auch Ermächtigung über die Bilder bedeuten. Im zweiten Teil vertieft die Autorin diese Themenbereiche durch Beispiele aus der Geschichte und kommt zu dem Schluss, dass der Anspruch auf Undurchsichtigkeit eben auch erst Poesie ermöglicht.

Die Stärke dieses Textes liegt in der Auswahl der Themenbereiche Körper, Raum und Gedächtnis, - denn über Bilder und deren Wirkung wird viel geforscht und viel geschrieben. Mit den genannten Begriffen schlägt sie die Brücke zur Ästhetik, zu Belangen des Designs. Hier punktet der Text mit Verständlichkeit und führt uns anschaulich durch einen Erkenntnisprozess, ohne zu abstrakt zu werden. Überhaupt sind Tempo und Anschaulichkeit, die Klarheit im Stil, die Paraphrasen des Quellenmaterials sehr sauber und eingängig. Man hat das Gefühl, sich in kurzer Zeit mit einem hochaktuellen Thema in den wichtigsten Zügen vertraut zu machen, wie auf einem Spaziergang.

Obwohl man dem Text durchweg Sicherheit bescheinigen kann, fällt ins Auge, das alles was mit Daten und dem Web zu tun hat, etwas zaghaft gerät, z.B. wenn die "Filterblase" als aktives Subjekt dargestellt wird "welches individuell angepasste Informationen für den Nutzer errechnet [...]"(S. 26) oder der "Algorithmus" gehäuft als Synonym für die Machtübernahme der Maschinen allzu oft ins Feld geführt wird. Hier bestätigt sich ein Verständnisproblem innerhalb des Designs zwischen "Digital" und den anderen Feldern, das leider durch diese Formulierungen noch verstärkt wird. Womöglich hätte man es im Lektorat auch bemerken können.

Neue Konventionen des Schreibens

Sicherlich ist Klieschs Text der Benchmark für andere Master-Texte im Design, er zeigt ganz gut das Maß an nötiger wissenschaftlicher Konvention, sie zeigt einen Duktus, der für das Design brauchbar ist, weil er erzählerisch fließt und trotzdem klug gegliedert - weil er gut recherchiert ist, ohne sich in den Quellen zu verzetteln - und man dem Gedankengang der Autorin gut folgen kann.

Blickt man auf die Gesamtheit der Gewinnertexte, führt Klieschs Arbeit vor Augen, wieviel geläufiger der Umgang mit Texten in den letzen 12 Jahren nach der ersten Auslobung geworden ist. Wurden 2004 nur 19 Arbeiten eingereicht, waren es 2016 schon 60. Natürlich liegt das nicht nur an der Attraktivität des Preises, sondern schlicht auch daran - meine These - , dass im Rahmen der Bologna-Reform Abschlüsse weitere schriftliche Ausarbeitungen einfordern (ohne die Auswirkungen von Bologna bejubeln zu wollen), bzw. auch der Weg der Promotion im Design möglich ist. So sind die meisten Einreichungen Teile von Masterarbeiten, manche auch von Bachelorarbeiten, während vor 12 Jahren über reine Dokumentationen reichende textliche Erörterungen aus der Feder von DesignerInnen eher ungewöhnlich waren. Dass einige der bisherigen Gewinner*Innen später promovierten, ist da keine Überraschung.

Lesen, Schreiben und Verstehen sind aus meiner heutigen Sicht als Professorin viel mehr als früher Teil des Design-Studiums, es wird offenbar mehr geschrieben - während für das Ringen um ausformulierte Gedanken und gute Texte offenkundig weniger Zeit bleibt, so berichtete die Jury vom "Berauschtsein von Recherche" und "Aneinanderreihen von Quellen". Schreiben ist seit der Digitalisierung weniger exklusiv, will man meinen - denn mindestens twittern oder bloggen kann jeder. Die Exklusivität, die der Preis mit der Jurierung, der Produktion des Buches aus dem Gewinnertext und der Form der Preisverleihung beansprucht, mag in Zeiten der Communities, dem Mitmachen, Ranking und Liken zuweilen seltsam erscheinen - doch hat der Preis nie das Ziel gehabt, didaktisch zu sein. Mit den Jahren sind unter den Prämierten aber Bekanntschaften und Freundschaften entstanden, die man ruhig "Netzwerk" nennen kann, und es ist ein schönes Gefühl, dazuzugehören.

Mit Anerkennungen wurden die Texte "les horribles Cernettes" von Lea Schmidt, Masterarbeit an der ZHdK Zürich und "Ein Leben nach dem Senf" Diplomarbeit von Sabine Lachnit, Kunsthochschule Kassel bedacht - man kann hoffen, dass diese Texte auch zugänglich gemacht werden können.

Ein Lob gebührt letztlich auch dem Niggli-Verlag, der auch nach dem Wechsel des Eigentümers die Expertise einbringt, ein attraktives Buch zu produzieren, das über die Sphäre des Fachdiskurses im Design hinaus wirken kann - mit der neuesten Veröffentlichung ist dies mit der Gestaltung von Marion Kliesch und dem Vorwort von Erik Spiekermann sicher gelungen.

Wie lautet also die Botschaft einer ehemaligen Preisträgerin? Komme ich nicht drum herum? Ok: Es geht ums Arbeiten; wagt es, einen Gedanken einmal so auszuarbeiten, dass er buchwürdig ist - und reicht beim nächsten BF-Preis ein! Auch wenn Ihr vielleicht nicht gewinnt, ist die Intensität dieses Prozesses des Denkens, Schreibens und Gestaltens eine immer seltener werdende, aber lohnende Erfahrung.


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