Die Hure wieder zum Miststück machen

oder Wie die Emma Prostituierte durch Ächtung befreien will und damit nichts als die Verachtung dieser Frauen in Kauf nimmt.
Die Hure wieder zum Miststück machenDass gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution dringend vorgegangen werden muss, ist überhaupt keine Frage. Dass die Zuhälterei dringend einen gesellschaftlichen Skeptizismus unterordnet werden muss, ist auch völlig eindeutig. Es ist nämlich wahrlich unerhört, dass die Boulevardmedien dieses Landes einen Bordellbetreiber (Wollersheim) als ulkiges und verplantes Kerlchen darstellen, um die eigenen Trash-Kanäle zu füllen. Was Emma und prominente Unterstützer aber einfach mal als frommen Ratschlag in den öffentlichen Raum hinausblasen, hat weder Hand noch Fuß, sondern verdeutlicht die Hilflosigkeit, mit der man sich diesem Thema annähert.

Alice Schwarzer schreibt unter anderem, dass das älteste Gewerbe der Welt in Deutschland "nicht länger für selbstverständlich gehalten werden [darf], sondern geächtet werden [müsse]". Mit anderen Worten sollen Prostituierte wieder in den Ruch von Schmuddeligkeit und Schweinkram geraten. Sie sollen als Schlampen wahrgenommen werden. Als Weiber, die braven Ehefrauen die Männer entziehen. Sie sollten sich überdies schämen und verstecken, bloß kein Selbstbewusstsein entwickeln und sich stattdessen selbst verleugnen. Prostituierte sollen sich letztlich wieder darüber bewusst werden, einem dreckigen Gewerbe nachzugehen. Am besten nicht mehr sozialversichert. Kurzum, Schwarzer möchte wieder geraderücken, was unter Rot-Grün, als man die Prostitution in den Rang eines Berufsstandes rückte, in Schieflage geriet. Sie rät dabei zum Gebrauch des moralingetränkten Mittelchens namens Ächtung und klingt fast so reaktionär wie jene, die in den Siebzigerjahren gegen "die Emanzen" zu Felde zogen.
In diesem durch Ächtung erzeugten Spießerkllima soll den Huren dann gewahr werden, dass sie ja auch auf Sekretärinnen oder selbstständige Eventmanagerinnen machen könnten. Es liegt ja nur an ihnen selbst. Die moralische Keule soll ihnen lediglich ganz ganz "liberal" die Augen öffnen und sie so aus dem "deutschen Sexparadies" (Schwarzer) führen.
Gleich ein Einwand gegen zu viel Horizontal-Romantik: Viele rechtfertigen ja die Prostitution mit ihrem gesellschaftlichen Nutzen. Weil es Huren gibt, entlade sich viel gefährliche sexuelle Energie professionell, sagen sie. Prostituierte sorgten somit für inneren Frieden und absorbierten sexuelle Anspannung. Diese Verherrlichung ist Bullshit - sie sieht die Frauen als Erwerbsfaktor und klammert den Mensch aus, fragt zudem nicht mal mehr, warum Frauen das tun und was sie dazu zwingt. Auch wenn man manches dieser Nutzen-Argumente nachvollziehen kann, so bleibt es doch ein enthumanisierter Ansatz. Dieser Scheißjob bleibt ein Scheißjob - egal wie man ihn dreht und wendet. Beim Blasen eines alten und unsympathischen Sacks pusht sich die Hure sicherlich nicht, indem sie sich immer wieder einbläut, sie tue das für die Gesellschaft. Sie wird wohl nur schauen, dass es möglichst schnell vorbeigeht. Besser wäre es für Frauen in jedem Falle, ihr Geld anders zu verdienen. Aber woher bessere Verdienstmöglichkeiten nehmen, wenn nicht herbeiphantasieren? Es gibt ja oft nicht mal ausreichende Mini-Jobs "zur Alternative".
Die Frauen, die diesem Gewerbe nachgehen, sind ja keine Frauen, die eine freie Wahl hatten. Wer meint, sie hätten Freude an dieser Tätigkeit, hätten ihre Nymphomanie adäquat in den Arbeitsmarkt integriert, der hat keine Ahnung von den Lebensumständen, die zur Prostitution treiben. Kaum eine Frau hat sich je bewusst für eine Karriere am Bordstein entschieden. Aber der Angriff der Emma zielt genau in diese unaufgeklärte Richtung. Sie klingt dabei ein wenig eingeschnappt. Als sähe sie in den Huren Schwestern, die sie enttäuscht haben, weil sie die emanzipatorischen Errungenschaften noch immer nicht umgesetzt hätten. Die Schwestern müssten nur wollen, dann könnten sie ihr Leben auch anders leben und finanzieren.
Prostitution abschaffen - schön und gut. Und dann? Beziehungsweise: Und was denkt man sich schon davor aus, um die Frauen abzufangen? Welche Perspektiven bietet man ihnen? Bietet dieser Arbeitsmarkt voller Niedriglohn-Chancen und Zeitarbeit-Alternativen denn Perspektiven? Dient es überhaupt, wenn man aus dem "anerkannten Beruf" eine schmuddelige Angelegenheit macht? Oder macht es die Situation nicht nur schlechter? Wer Prostitution abschaffen will, der muss gleichzeitig ein Ende der neoliberalen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen fordern. Beide Aspekte haben miteinander zu tun. Wie so oft. Das gilt auch für die, die Stresserkrankungen bekämpft sehen wollen. Wer das will, muss gegen die Deregulierungen am Arbeitsmarkt aufstehen. Man kann nicht nur eine Seite haben, man muss das gesamte Konzept anfechten.
Und wer Prostitution abschaffen will, der muss überdies deutlich sagen, dass er Prostituierte abschaffen will. Und das ist an sich ja nicht schlecht. Moralisch ächten darf man sie dann aber nicht. Das verschlimmert nur die Situation, drängt sie in eine moralische Illegalität. Und man muss vor allem mehr bieten als nur diese ethische Verunglimpfung.
Das erinnert alles ein wenig an jene Liberalen der Nordstaaten, die den Schwarzen des Südens die Sklavenschaft ersparen wollten, aber wenig bis gar nichts zur sozialen Gleichstellung in Freiheit beitrugen. Die Freiheit stand als Wert für sich. Aber dass Freiheit ohne die Mittel, sich frei zu halten, keine richtige Freiheit ist, merkten viele befreite Schwarze sehr schnell. Sie verbürgten sich fortan als bezahlte Arbeitskräfte ihrer vormaligen Herrn - und nicht selten zu weitaus schlechteren Bedingungen.
So ähnlich ist die Forderung der Emma jetzt. Und diese Haltung passt perfekt in den Zeitgeist. Im gauckianischen Deutschland ist die Freiheit an sich groß in Mode. Sie darf nur nicht konkret werden. Und sie sollte nichts kosten, sonst nimmt die Freiheit ja schon wieder die Geldgeber in Haftung. Es ist eine Freiheit, die dieses Motto hat: Komm, die Ketten sind ab, jetzt genieße deine Freiheit - übrigens: Die Benutzung dieser Straße der Freiheit, auf der du gerade stehst, die kostet Maut. Kannst du zahlen? Gauck spricht gerne von Freiheit in Verantwortung. Je länger man ihn hört, glaubt man aber, er meine eigentlich die Verantwortlichkeit der Freiheit - nach der Losung: Du bist für die Finanzierung deiner Freiheit selbst verantwortlich.
Wer über die Befreiung der Frau von der Prostitution spricht, wenn es einen solchen historischen Auftrag überhaupt gibt, der sollte konkret genug werden und nicht einfach nur Freiheit! rufen. Oder wahlweise Verbot! oder Ächtung! Dazu gehört schon wesentlich mehr. Und er sollte besser zwischen den Frauen trennen, die verschleppt wurden und "unfreiwillig" anschaffen müssen und denen, die sich aus ihrer sozialen Perspektivlosigkeit dazu "freiwillig" bereiterklärten. Nicht hinter jeder Hure steht ein tyrannischer Zuhälter.
Wer die Acht aussprechen will, der will auch, dass Prostituierte von Vertreterinnen eines Berufsstandes zu Schlampen gemacht werden, auf die man mit dem Finger zeigt. Bravo, liebe Emma! Das ist schwarze Aufklärung par exellence. Ist das nun alles was vom emanzipatorischen Auftrag blieb: Ein Blatt von moralinaufstoßenden Jakobinerinnen? Hatte man nicht mal mehr Verständnis für die Lebenswirklichkeit gesellschaftlicher Randgruppen? Nennt man diese Radikalität nun Altersstarrsinn oder handelt es sich doch noch um Aufklärung?
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