In seinem Artikel "Die dunkle Seite der frühkindlichen Betreuung" fährt Stefan Pietsch eine ganze Batterie rhetorischer Geschütze auf, um ein Bewusstsein für eine apokalyptische Zukunft zu schaffen, in der ein inkompetenter, anmaßender Staat eine ganze Generation in miesen Kindertagesstätten psychologisch zerstört. Er verweist auf die ungeheure Bedeutung der Eltern im Lebensabschnitt von 0-3 Jahren unter Rückgriff auf die Umfrage unter amerikanischen Vorschullehrerinnen, die eine leichte Zunahme von kognitiven und lingualen Leistungen sowie von auffälligen Verhaltensweisen für Kinder diagnostizieren. Garniert mit einem kräftigen Schuss Vorurteilen und konservativer Ideologie kommt er zu dem bestechenden Schluss, dass Babys und Kleinkinder bei Müttern am besten aufgehoben sind und Eltern im Sinne der Eigenverantwortung mehr aktiv werden sollten. Das lädt zu Widerspruch ein, den hier bereitstellen will.
Ich möchte dabei mit den Teilen von Pietschs Argumentation beginnen, denen ich zustimme. Seine Betonung der Selbstverantwortung von Eltern - etwa bei der Kontrolle des Fernsehkonsums und der Freizeitgestaltung generell - stimme ich zu. Der Staat und die Unterhaltungsindustrie (über FSK, USK etc.) stellen eine Menge Jugendschutzmechanismen parat. Diese adäquat in den Alltag zu integrieren ist Aufgabe der Eltern, und den Kindern mit Smartphone und Tablet freie Hand zu geben "weil man halt nichts davon versteht" ist eine Abdankung der Eigenverantwortung.
Pietschs Artikel ist in Teilen grob irreführend. So erweckt er konstant den Eindruck, der Staat stelle den Löwenanteil der Kitas und könne quasi als Monopolist auftreten und die Preise diktieren. Das ist völliger Humbug: 34% aller Kitas sind staatlich (für gewöhnlich unter kommunalen Trägern), 32% in konfessions-christlicher, 34% in sonstiger freier Trägerschaft (etwa private, gewinnorientierte Betreiber). Gezahlt wird überall eine vergleichbare Summe, wobei wie so häufig der Staat wie so häufig im Erziehungswesen die besten Entlohnungsbedingungen bietet (allerdings relativ; die Unterschiede sind nicht groß genug um einen Anpassungsdruck hervorzurufen). Von einer brutalen Übermacht des Staates kann also keine Rede sein, andernfalls wäre die NRW-Landesregierung auch kaum krachend damit gescheitert, die konfessionellen Kitas zu einer Aufnahme von Kindern unabhängig von deren Konfession zu zwingen. Dass über die Kirchensteuer und die Subventionierung dieser Einrichtungen eine Verschränkung existiert, tut der grundsätzlichen Trennung keinen Abbruch.
Auch sonst kommt Pietschs ideologische Abwehr allen Staatlichen seiner Argumentation in die Quere. So geht es dem Staat nicht "nur" um Quantität. Diese war mit Verabschiedung der Kita-Platz-Garantie sicherlich eine treibende Sorge, und Episoden wie die Umwidmung ehemaliger Schlecker-Jobs und Mitarbeiter in Kitas und Erzieher sind sicherlich keine Glanzstunden der Bildungspolitik. Auf der anderen Seite steht aber ein konstanter Verbesserungsdruck. Fortbildungen für Seiteneinsteiger stehen durchaus hohen Anforderungen für Berufsanfänger gegenüber. Die ordentliche Ausbildung (die übrigens vor allem im staatlichen Bereich verlangt und durchgesetzt wird und gerade im privaten Bereich deutlich laxer betrachtet wird) erfordert die Mittlere Reife und dauert drei Jahre, mitsamt massenhaft theoretischer Unterfütterung und Abschlussarbeit in Ergänzung zur praktischen Ausbildung. Einfach mal eben die arbeitslose Mittfünzigerin von Nebenan einzustellen geht eben gerade nicht, wenigstens nicht in den kommunalen Einrichtungen.
Es lohnt sich, an dieser Stelle länger zu verweilen, weil das allgemein hohe Qualifikationsniveau der Mitarbeiter eine Reihe von positiven Auswirkungen hat, die Pietsch dem System entweder abspricht oder aber schlicht verschweigt. Was in der konservativen Sozialromantik von der natürlichen Mutterbindung und der elterlichen Bande vollkommen untergeht ist, dass die Befruchtung einer Eizelle nicht automatisch den aktuellen Stand frühkindlicher Forschung im Gehirn der Eltern verankert. Man lehnt sich wohl nicht zuweit aus dem Fenster wenn man unterstellt, dass die wenigsten Eltern sich einen einer ordentlich ausgebildeten Fachkraft entsprechenden Informationsstand zum Thema anlesen werden (dem dann ohnehin die professionelle Einordnung fehlen würde). Die Idee jedenfalls, dass die Mütter natürlicherweise immer wissen, was für das Kind das Beste ist, ist Unfug. Eltern, die nicht an Hybris leiden, wissen, wie oft sie falsche Entscheidungen treffen - ob aus Unwissenheit, Bequemlichkeit oder Überforderung ist dafür einerlei.
Diese Illusion, deren alleiniger Anhänger und Prophet Pietsch sicherlich nicht ist, drängt sich in Artikeln wie seinem oder aus der FAZ aus zweierlei Gründen immer als objektive Wahrheit auf: einerseits entbindet sie das männliche Geschlecht von jeder Verantwortung (ist es doch die Mutter, zu der eine ach so natürliche Bindung besteht), und zum anderen profitiert die Illusion von der manichäischen Gegenüberstellung zu "dem Staat", den wir uns immer als gesichtslos-kalten und inkompetenten Bürokraten vorstellen. Wir schicken unsere Kinder aber zu Profis, die nach dem aktuellen Stand der Forschung für den Job ausgebildet sind. Das sind wir Eltern nicht. Und die ideologische Überhöhung der elterlichen Liebe, man muss dies noch einmal explizit betonen, schafft kein Fachwissen der frühkindlichen Bildung. Dies ist kein Plädoyer für eine Dauerbetreuung der Kinder an sieben Tagen der Woche und 14 Stunden am Tag, auch das ist eine falsche Dichothomie.
Pietsch geht über das Argument, dass die Kinder dort mit Gleichaltrigen umzugehen lernen, nonchalant mit dem Hinweis hinweg, dass dafür die Geschwister völlig ausreichen. Sofern nicht mehrere Mehrlingsgeburten im Jahresabstand stattfanden ist das unwahrscheinlich. In der Kita lernen die Kinder den Umgang mit Gruppen von Gleichaltrigen - eine ungeheuer wertvolle Fähigkeit, die sie zuhause überhaupt nicht lernen KÖNNEN, weil es aus biologischen Gründen keine Gruppen gleichaltriger Kinder geben kann. Das Lösen von Konflikten innerhalb solcher Gruppen (statt der Behauptung gegen ältere oder das Tolerieren von jüngeren Geschwistern) können die Kinder überhaupt nur in der Kita lernen. Dort haben sie auch Betreuungspersonal an der Hand, das im Umgang mit Gruppen solcher Kinder geschult ist. Denn selbst bei perfekten Eltern, die mit der Muttermilch auch gleich die entsprechenden Fähigkeiten im Umgang mit dem Kind herausgebildet haben, gibt es spätestens hier keine Kenntnisse mehr. Diese Fähigkeiten aber sind elementar.
Auch ansonsten leisten Kitas etwas, das Eltern ohne die entsprechende Ausbildung gar nicht können: den Kindern strukturiert etwas beibringen, nicht nur nebenbei. Der Staat gibt genauso wie für die Schulen den Kindergärten Bildungspläne vor, also Ziele, die die Kinder erreichen sollten. Das Erreichen dieser Ziele wird mehrfach evaluiert (etwa durch Besuche auswärtiger Kinderpsychologen vom Jugendamt). Zielgerichtetes Kompetenztraining von Kleinkindern kann ich als Elternteil aber gar nicht leisten, weil ich, erneut, dafür nicht ausgebildet bin. Dafür braucht es Profis.
Nun kann man dem natürlich entgegnen, dass man das alles gar nicht braucht. Früher hat es schließlich auch gereicht, die Kids erst mit 3 Jahren oder noch später in den Kindergarten zu bringen, wo sie dann ein bisschen spielen durften und zum Mittagessen von Mami abgeholt wurden (natürlich Mami, Papa muss ja Leitartikel über die Gefahren der frühkindlichen Betreuung schreiben). Die so gewonnene Zeit stecken die selbstsüchtigen Mütter dann in die Selbstverwirklichung in der Hausarbeit, aber das ist halt die moderne Verwahrlosung.
Man verzeihe mir den etwas ätzenden Tonfall hier, aber dieses konservative Romantik-Blimblim von der Mutter, die sich mit einem Lächeln im Gesicht den ganzen Tag um ihre Kinder kümmert kann nur von denen entworfen werden, die nie dabei sind. Kinder sind stressig, Hausarbeit macht sich nicht von allein und liegt in dem Szenario immer auch bei Mama, und viel anderes Zeug fällt nebenbei ja auch an. Und nur, weil die Kinder den ganzen Tag daheim sind, sind sie deswegen nicht rundum liebevoll dauerbetreut. Woher sonst würden die Schreckensszenarien unserer Leitartikler kommen, die die verwahrlosten Kinder der Hartz-IV-Alleinerzieherinnen vor dem Fernseher degenerieren sehen? Die Zahl der Alleinerziehenden, Stefan Pietsch hat darauf hingewiesen, hat sich mehr als verdoppelt. Er sieht darin einen Moralverfall, weil die Leute sich nicht mehr zusammenreißen. Vielleicht liegt es auch daran, dass weniger Männer ihre ökonomische und gesellschaftliche Machtstellung verwenden können, um Frauen in unglücklichen Beziehungen zu halten?
Denn bei allem Gerede von Moral und Eigenverantwortung, durch das Betonen der "Natürlichkeit" der Mutter-Kind-Beziehung bleibt diese Verantwortung ja doch bei der Mutter hängen. Damned if you do, damned if you don't: geht die Mutter arbeiten, ist sie eine Rabenmama, die den Nachwuchs in die Kita abschiebt, geht sie nicht arbeiten, ist sie ein Sozialschmarotzer und liegt nur der Gemeinschaft der produktiven Steuerzahler auf der Tasche. Natürlich wäre es schön, wenn wir als Gesellschaft die Verantwortung gleicher verteilen, aber mit einem reinen Appell an die Eigenverantwortung derer, die sich aus dem Geschäft herausziehen, geht das nicht. Da ist es auch geradezu naiv, wenn Pietsch in seinem Artikel betont, dass bei Krankheit der Kinder den Eltern ja gesetzliche Ausfalltage zustehen. Ohja, das tun sie. Und Arbeitgeber und Kollegen sind auch immer total verständnisvoll, wenn sich dieses Problem auftut. Das war ironisch, falls das nicht klar wurde.
Natürlich gibt es immer eine Rückfallposition: Kinder zu bekommen ist eine persönliche Entscheidung, und wer sie getroffen hat, soll gefälligst auch damit leben. Ok, das ist fair. Gleichzeitig haben die gleichen Leute aber auch selten ein Problem damit, die geringen Geburtenzahlen in Deutschland zu beklagen und Frauen, die bis 30 nicht schon 2,4-mal geworfen haben, egoistischen Karrierismus vorzuwerfen. Schließlich ist es ja schon verachtenswert zu warten, "bis die biologische Uhr fast abgelaufen ist". Wie so oft wollen die Konservativen den Kuchen gleichzeitig essen und behalten. Bekommen Frauen keine Kinder, sondern arbeiten stattdessen, sind sie böse. Bekommen sie Kinder und arbeiten nicht, sind sie böse, weil sie auf das Ehegattensplitting angewiesen sind und bei Scheidung Alleinerziehende werden und Ansprüche stellen. Machen sie beides, sind sie Rabenmütter. Damned if you, damned if you don't.
"Aber was ist mit dem Kindeswohl?" mögen nun manche fragen. Schließlich haben wir Artikel aus der FAZ und Zeit, die mit zahllosen Anekdoten den Mangel an einer empirischen Basis auszugleichen versuchen. Und dann gibt es da noch die von Pietsch verlinkte Studie, deren erste zwei Zeilen (!) darauf hinweisen dass sie von 2006 ist sie "nur noch historisch interessant" und mittlerweile völlig veraltet ist. Ich habe zwei große Kritikpunkte an der Argumentation, denen ich jedoch eine Zustimmung vorschieben möchte.
Denn selbstverständlich ist es schlecht, wenn Kinder total gestresst bei mangelhaft qualifizierten Betreuern abgegeben werden, die in einem nicht hinreichenden Betreuungsschlüssel arbeiten und keine adäquate Unterstützung erfahren. Und wenn die Kommunen eine Kita in einem alten Schlecker-Verkaufsraum einrichten, ein paar Bücher und gespendete Spielzeuge hineinwerfen und die Schaufenster mit Milchglasfolie leidlich blickdicht machen und dann Erzieherinnen hineinschicken, die einen Sechs-Wochen-Crashkurs hatten, dann ist das natürlich nicht im Sinne des Erfinders.
Aber, Newsflash, wenn man etwas ohne richtige Ausbildung und mit unzureichenden Mitteln macht kommt selten etwas Vernünftiges heraus, ob im öffentlichen oder privaten Bereich. Und die Verbesserungen der letzten zehn Jahre sind gewaltig, und sie werden weiterhin erzielt. Die Garantie machte eine schnelle Expansion nötig, bei der viel beschissen wurde und sicher auch viel Mist passiert ist. Aber seither steigt die Qualität kontinuierlich. Natürlich nicht in dem Tempo wie das wünschenswert wäre, aber das ist nun wahrlich nichts, was sich nicht durch Geld lösen ließe, auch wenn der Konservative nun mit Gänsehaut erschaudert.
Der zweite Kritikpunkt ist die immer noch dünne empirische Lage. Ja, es gibt Studien, die Belege für die These bringen, dass Kinder, die in jungen Jahren in großem Umfang betreut wurden, eine leicht erhöhte Affinität zu Verhaltensstörungen haben. Gleichzeitig weisen dieselben Studien auch höhere kognitive und linguale Kenntnisse nach. Wie viel davon ein statistisches Artefakt ist, das - angesichts des Alter der Studien - durch die sprunghafte Steigerung der Kindesbetreuung entstanden ist, bleibt unklar. Selbst wenn wir annehmen, dass dieser Effekt sich konsistent nachweisen lässt (bereits eine höchst fragwürdige Prämisse), so scheinen mir die Ergebnisse doch eher im Rahmen dessen zu liegen, was Studien zu den Rechtschreibkenntnissen von Grundschülern herausgefunden haben: leichte Verschiebungen durch Vorteile im einen und Nachteile im anderen Bereich. Das wirkt fast so, als ob es keine perfekte Lösung gäbe, die nur Vorteile hätte. Es sei noch einmal auf die Ironie des vorangegangenen Satzes hingewiesen.
Dazu kommt, dass die dramatischsten Beispiele ohnehin selten sind: Kinder unter einem Jahr befinden sich nur in 1,6% (Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) bis 7,6% der Fälle (Sachsen-Anhalt) in Betreuung (Zahlen für alle Formen, nicht nur Ganztag); der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 2,5%. Der Untergang des Abendlands muss also wohl ausfallen; die große Mehrzahl der Kinder geht weiterhin erst mit mindestens einem Jahr in Betreuung. Hier schnellen die Zahlen dann auf zwei Drittel (1-2 Jahre) beziehungsweise vier Fünftel (2-3 Jahre) an. Aber wie bereits oben beschrieben hat das durchaus positive Effekte.
Was also ist das Fazit? Für mich läuft es letztlich auf eine Reihe banaler Erkenntnisse heraus. Wenn der Staat seine Aufgaben nicht richtig erfüllt, weil er seine Angestellten nicht richtig ausbildet und seine Institutionen nicht richtig finanziert, kommt nichts Vernünftiges dabei raus. Wenn er das tut, sind die Ergebnisse ordentlich. Wenn Eltern ihre Aufgaben erfüllen und ihre Verantwortung wahrnehmen, dann können Kinder auch werktags zehn Stunden betreut werden und erfahren trotzdem Elternbindung und Elternliebe. Wenn Eltern ihre Aufgaben nicht erfüllen, macht es für das Kind wenig Unterschied ob es zuhause oder in der Kita verwahrlost.
Die ganze Diskussion läuft auf einem grundsätzlichen Level um Moral und Konsequenzen, die sie nicht verdient. Unsere Lebensmodelle haben sich gewandelt. Der Doppelverdiener-Haushalt ist Standard. Das ist politisch seit drei Jahrzehnten gewollt und wurde auch von den Konservativen massiv befeuert. In diesen dreißig Jahren hat man sich ewig hinter der Idee versteckt, dass Großeltern einspringen oder die Frau die Doppelbelastung stemmen könnte. Als diese Lebenslüge platzte, weil in den letzten zehn Jahren eben dieser gesellschaftliche Wandel massiv eintrat, musste schnell gehandelt werden. Was wir aktuell erleben ist die Pubertät eines neuen Systems, mit all den Haklern, Problemen und Wachstumsschmerzen. In zehn Jahren wird das alles normal sein, und man wird mit dem gleichen Befremden auf diese Diskussion blicken, mit der man heute auf die Kulturkämpfe lang vergangener Dekaden zurückblickt.
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Einige Statistiken: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1650.html
Ich möchte dabei mit den Teilen von Pietschs Argumentation beginnen, denen ich zustimme. Seine Betonung der Selbstverantwortung von Eltern - etwa bei der Kontrolle des Fernsehkonsums und der Freizeitgestaltung generell - stimme ich zu. Der Staat und die Unterhaltungsindustrie (über FSK, USK etc.) stellen eine Menge Jugendschutzmechanismen parat. Diese adäquat in den Alltag zu integrieren ist Aufgabe der Eltern, und den Kindern mit Smartphone und Tablet freie Hand zu geben "weil man halt nichts davon versteht" ist eine Abdankung der Eigenverantwortung.
Pietschs Artikel ist in Teilen grob irreführend. So erweckt er konstant den Eindruck, der Staat stelle den Löwenanteil der Kitas und könne quasi als Monopolist auftreten und die Preise diktieren. Das ist völliger Humbug: 34% aller Kitas sind staatlich (für gewöhnlich unter kommunalen Trägern), 32% in konfessions-christlicher, 34% in sonstiger freier Trägerschaft (etwa private, gewinnorientierte Betreiber). Gezahlt wird überall eine vergleichbare Summe, wobei wie so häufig der Staat wie so häufig im Erziehungswesen die besten Entlohnungsbedingungen bietet (allerdings relativ; die Unterschiede sind nicht groß genug um einen Anpassungsdruck hervorzurufen). Von einer brutalen Übermacht des Staates kann also keine Rede sein, andernfalls wäre die NRW-Landesregierung auch kaum krachend damit gescheitert, die konfessionellen Kitas zu einer Aufnahme von Kindern unabhängig von deren Konfession zu zwingen. Dass über die Kirchensteuer und die Subventionierung dieser Einrichtungen eine Verschränkung existiert, tut der grundsätzlichen Trennung keinen Abbruch.
Auch sonst kommt Pietschs ideologische Abwehr allen Staatlichen seiner Argumentation in die Quere. So geht es dem Staat nicht "nur" um Quantität. Diese war mit Verabschiedung der Kita-Platz-Garantie sicherlich eine treibende Sorge, und Episoden wie die Umwidmung ehemaliger Schlecker-Jobs und Mitarbeiter in Kitas und Erzieher sind sicherlich keine Glanzstunden der Bildungspolitik. Auf der anderen Seite steht aber ein konstanter Verbesserungsdruck. Fortbildungen für Seiteneinsteiger stehen durchaus hohen Anforderungen für Berufsanfänger gegenüber. Die ordentliche Ausbildung (die übrigens vor allem im staatlichen Bereich verlangt und durchgesetzt wird und gerade im privaten Bereich deutlich laxer betrachtet wird) erfordert die Mittlere Reife und dauert drei Jahre, mitsamt massenhaft theoretischer Unterfütterung und Abschlussarbeit in Ergänzung zur praktischen Ausbildung. Einfach mal eben die arbeitslose Mittfünzigerin von Nebenan einzustellen geht eben gerade nicht, wenigstens nicht in den kommunalen Einrichtungen.
Es lohnt sich, an dieser Stelle länger zu verweilen, weil das allgemein hohe Qualifikationsniveau der Mitarbeiter eine Reihe von positiven Auswirkungen hat, die Pietsch dem System entweder abspricht oder aber schlicht verschweigt. Was in der konservativen Sozialromantik von der natürlichen Mutterbindung und der elterlichen Bande vollkommen untergeht ist, dass die Befruchtung einer Eizelle nicht automatisch den aktuellen Stand frühkindlicher Forschung im Gehirn der Eltern verankert. Man lehnt sich wohl nicht zuweit aus dem Fenster wenn man unterstellt, dass die wenigsten Eltern sich einen einer ordentlich ausgebildeten Fachkraft entsprechenden Informationsstand zum Thema anlesen werden (dem dann ohnehin die professionelle Einordnung fehlen würde). Die Idee jedenfalls, dass die Mütter natürlicherweise immer wissen, was für das Kind das Beste ist, ist Unfug. Eltern, die nicht an Hybris leiden, wissen, wie oft sie falsche Entscheidungen treffen - ob aus Unwissenheit, Bequemlichkeit oder Überforderung ist dafür einerlei.
Diese Illusion, deren alleiniger Anhänger und Prophet Pietsch sicherlich nicht ist, drängt sich in Artikeln wie seinem oder aus der FAZ aus zweierlei Gründen immer als objektive Wahrheit auf: einerseits entbindet sie das männliche Geschlecht von jeder Verantwortung (ist es doch die Mutter, zu der eine ach so natürliche Bindung besteht), und zum anderen profitiert die Illusion von der manichäischen Gegenüberstellung zu "dem Staat", den wir uns immer als gesichtslos-kalten und inkompetenten Bürokraten vorstellen. Wir schicken unsere Kinder aber zu Profis, die nach dem aktuellen Stand der Forschung für den Job ausgebildet sind. Das sind wir Eltern nicht. Und die ideologische Überhöhung der elterlichen Liebe, man muss dies noch einmal explizit betonen, schafft kein Fachwissen der frühkindlichen Bildung. Dies ist kein Plädoyer für eine Dauerbetreuung der Kinder an sieben Tagen der Woche und 14 Stunden am Tag, auch das ist eine falsche Dichothomie.
Pietsch geht über das Argument, dass die Kinder dort mit Gleichaltrigen umzugehen lernen, nonchalant mit dem Hinweis hinweg, dass dafür die Geschwister völlig ausreichen. Sofern nicht mehrere Mehrlingsgeburten im Jahresabstand stattfanden ist das unwahrscheinlich. In der Kita lernen die Kinder den Umgang mit Gruppen von Gleichaltrigen - eine ungeheuer wertvolle Fähigkeit, die sie zuhause überhaupt nicht lernen KÖNNEN, weil es aus biologischen Gründen keine Gruppen gleichaltriger Kinder geben kann. Das Lösen von Konflikten innerhalb solcher Gruppen (statt der Behauptung gegen ältere oder das Tolerieren von jüngeren Geschwistern) können die Kinder überhaupt nur in der Kita lernen. Dort haben sie auch Betreuungspersonal an der Hand, das im Umgang mit Gruppen solcher Kinder geschult ist. Denn selbst bei perfekten Eltern, die mit der Muttermilch auch gleich die entsprechenden Fähigkeiten im Umgang mit dem Kind herausgebildet haben, gibt es spätestens hier keine Kenntnisse mehr. Diese Fähigkeiten aber sind elementar.
Auch ansonsten leisten Kitas etwas, das Eltern ohne die entsprechende Ausbildung gar nicht können: den Kindern strukturiert etwas beibringen, nicht nur nebenbei. Der Staat gibt genauso wie für die Schulen den Kindergärten Bildungspläne vor, also Ziele, die die Kinder erreichen sollten. Das Erreichen dieser Ziele wird mehrfach evaluiert (etwa durch Besuche auswärtiger Kinderpsychologen vom Jugendamt). Zielgerichtetes Kompetenztraining von Kleinkindern kann ich als Elternteil aber gar nicht leisten, weil ich, erneut, dafür nicht ausgebildet bin. Dafür braucht es Profis.
Nun kann man dem natürlich entgegnen, dass man das alles gar nicht braucht. Früher hat es schließlich auch gereicht, die Kids erst mit 3 Jahren oder noch später in den Kindergarten zu bringen, wo sie dann ein bisschen spielen durften und zum Mittagessen von Mami abgeholt wurden (natürlich Mami, Papa muss ja Leitartikel über die Gefahren der frühkindlichen Betreuung schreiben). Die so gewonnene Zeit stecken die selbstsüchtigen Mütter dann in die Selbstverwirklichung in der Hausarbeit, aber das ist halt die moderne Verwahrlosung.
Man verzeihe mir den etwas ätzenden Tonfall hier, aber dieses konservative Romantik-Blimblim von der Mutter, die sich mit einem Lächeln im Gesicht den ganzen Tag um ihre Kinder kümmert kann nur von denen entworfen werden, die nie dabei sind. Kinder sind stressig, Hausarbeit macht sich nicht von allein und liegt in dem Szenario immer auch bei Mama, und viel anderes Zeug fällt nebenbei ja auch an. Und nur, weil die Kinder den ganzen Tag daheim sind, sind sie deswegen nicht rundum liebevoll dauerbetreut. Woher sonst würden die Schreckensszenarien unserer Leitartikler kommen, die die verwahrlosten Kinder der Hartz-IV-Alleinerzieherinnen vor dem Fernseher degenerieren sehen? Die Zahl der Alleinerziehenden, Stefan Pietsch hat darauf hingewiesen, hat sich mehr als verdoppelt. Er sieht darin einen Moralverfall, weil die Leute sich nicht mehr zusammenreißen. Vielleicht liegt es auch daran, dass weniger Männer ihre ökonomische und gesellschaftliche Machtstellung verwenden können, um Frauen in unglücklichen Beziehungen zu halten?
Denn bei allem Gerede von Moral und Eigenverantwortung, durch das Betonen der "Natürlichkeit" der Mutter-Kind-Beziehung bleibt diese Verantwortung ja doch bei der Mutter hängen. Damned if you do, damned if you don't: geht die Mutter arbeiten, ist sie eine Rabenmama, die den Nachwuchs in die Kita abschiebt, geht sie nicht arbeiten, ist sie ein Sozialschmarotzer und liegt nur der Gemeinschaft der produktiven Steuerzahler auf der Tasche. Natürlich wäre es schön, wenn wir als Gesellschaft die Verantwortung gleicher verteilen, aber mit einem reinen Appell an die Eigenverantwortung derer, die sich aus dem Geschäft herausziehen, geht das nicht. Da ist es auch geradezu naiv, wenn Pietsch in seinem Artikel betont, dass bei Krankheit der Kinder den Eltern ja gesetzliche Ausfalltage zustehen. Ohja, das tun sie. Und Arbeitgeber und Kollegen sind auch immer total verständnisvoll, wenn sich dieses Problem auftut. Das war ironisch, falls das nicht klar wurde.
Natürlich gibt es immer eine Rückfallposition: Kinder zu bekommen ist eine persönliche Entscheidung, und wer sie getroffen hat, soll gefälligst auch damit leben. Ok, das ist fair. Gleichzeitig haben die gleichen Leute aber auch selten ein Problem damit, die geringen Geburtenzahlen in Deutschland zu beklagen und Frauen, die bis 30 nicht schon 2,4-mal geworfen haben, egoistischen Karrierismus vorzuwerfen. Schließlich ist es ja schon verachtenswert zu warten, "bis die biologische Uhr fast abgelaufen ist". Wie so oft wollen die Konservativen den Kuchen gleichzeitig essen und behalten. Bekommen Frauen keine Kinder, sondern arbeiten stattdessen, sind sie böse. Bekommen sie Kinder und arbeiten nicht, sind sie böse, weil sie auf das Ehegattensplitting angewiesen sind und bei Scheidung Alleinerziehende werden und Ansprüche stellen. Machen sie beides, sind sie Rabenmütter. Damned if you, damned if you don't.
"Aber was ist mit dem Kindeswohl?" mögen nun manche fragen. Schließlich haben wir Artikel aus der FAZ und Zeit, die mit zahllosen Anekdoten den Mangel an einer empirischen Basis auszugleichen versuchen. Und dann gibt es da noch die von Pietsch verlinkte Studie, deren erste zwei Zeilen (!) darauf hinweisen dass sie von 2006 ist sie "nur noch historisch interessant" und mittlerweile völlig veraltet ist. Ich habe zwei große Kritikpunkte an der Argumentation, denen ich jedoch eine Zustimmung vorschieben möchte.
Denn selbstverständlich ist es schlecht, wenn Kinder total gestresst bei mangelhaft qualifizierten Betreuern abgegeben werden, die in einem nicht hinreichenden Betreuungsschlüssel arbeiten und keine adäquate Unterstützung erfahren. Und wenn die Kommunen eine Kita in einem alten Schlecker-Verkaufsraum einrichten, ein paar Bücher und gespendete Spielzeuge hineinwerfen und die Schaufenster mit Milchglasfolie leidlich blickdicht machen und dann Erzieherinnen hineinschicken, die einen Sechs-Wochen-Crashkurs hatten, dann ist das natürlich nicht im Sinne des Erfinders.
Aber, Newsflash, wenn man etwas ohne richtige Ausbildung und mit unzureichenden Mitteln macht kommt selten etwas Vernünftiges heraus, ob im öffentlichen oder privaten Bereich. Und die Verbesserungen der letzten zehn Jahre sind gewaltig, und sie werden weiterhin erzielt. Die Garantie machte eine schnelle Expansion nötig, bei der viel beschissen wurde und sicher auch viel Mist passiert ist. Aber seither steigt die Qualität kontinuierlich. Natürlich nicht in dem Tempo wie das wünschenswert wäre, aber das ist nun wahrlich nichts, was sich nicht durch Geld lösen ließe, auch wenn der Konservative nun mit Gänsehaut erschaudert.
Der zweite Kritikpunkt ist die immer noch dünne empirische Lage. Ja, es gibt Studien, die Belege für die These bringen, dass Kinder, die in jungen Jahren in großem Umfang betreut wurden, eine leicht erhöhte Affinität zu Verhaltensstörungen haben. Gleichzeitig weisen dieselben Studien auch höhere kognitive und linguale Kenntnisse nach. Wie viel davon ein statistisches Artefakt ist, das - angesichts des Alter der Studien - durch die sprunghafte Steigerung der Kindesbetreuung entstanden ist, bleibt unklar. Selbst wenn wir annehmen, dass dieser Effekt sich konsistent nachweisen lässt (bereits eine höchst fragwürdige Prämisse), so scheinen mir die Ergebnisse doch eher im Rahmen dessen zu liegen, was Studien zu den Rechtschreibkenntnissen von Grundschülern herausgefunden haben: leichte Verschiebungen durch Vorteile im einen und Nachteile im anderen Bereich. Das wirkt fast so, als ob es keine perfekte Lösung gäbe, die nur Vorteile hätte. Es sei noch einmal auf die Ironie des vorangegangenen Satzes hingewiesen.
Dazu kommt, dass die dramatischsten Beispiele ohnehin selten sind: Kinder unter einem Jahr befinden sich nur in 1,6% (Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) bis 7,6% der Fälle (Sachsen-Anhalt) in Betreuung (Zahlen für alle Formen, nicht nur Ganztag); der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 2,5%. Der Untergang des Abendlands muss also wohl ausfallen; die große Mehrzahl der Kinder geht weiterhin erst mit mindestens einem Jahr in Betreuung. Hier schnellen die Zahlen dann auf zwei Drittel (1-2 Jahre) beziehungsweise vier Fünftel (2-3 Jahre) an. Aber wie bereits oben beschrieben hat das durchaus positive Effekte.
Was also ist das Fazit? Für mich läuft es letztlich auf eine Reihe banaler Erkenntnisse heraus. Wenn der Staat seine Aufgaben nicht richtig erfüllt, weil er seine Angestellten nicht richtig ausbildet und seine Institutionen nicht richtig finanziert, kommt nichts Vernünftiges dabei raus. Wenn er das tut, sind die Ergebnisse ordentlich. Wenn Eltern ihre Aufgaben erfüllen und ihre Verantwortung wahrnehmen, dann können Kinder auch werktags zehn Stunden betreut werden und erfahren trotzdem Elternbindung und Elternliebe. Wenn Eltern ihre Aufgaben nicht erfüllen, macht es für das Kind wenig Unterschied ob es zuhause oder in der Kita verwahrlost.
Die ganze Diskussion läuft auf einem grundsätzlichen Level um Moral und Konsequenzen, die sie nicht verdient. Unsere Lebensmodelle haben sich gewandelt. Der Doppelverdiener-Haushalt ist Standard. Das ist politisch seit drei Jahrzehnten gewollt und wurde auch von den Konservativen massiv befeuert. In diesen dreißig Jahren hat man sich ewig hinter der Idee versteckt, dass Großeltern einspringen oder die Frau die Doppelbelastung stemmen könnte. Als diese Lebenslüge platzte, weil in den letzten zehn Jahren eben dieser gesellschaftliche Wandel massiv eintrat, musste schnell gehandelt werden. Was wir aktuell erleben ist die Pubertät eines neuen Systems, mit all den Haklern, Problemen und Wachstumsschmerzen. In zehn Jahren wird das alles normal sein, und man wird mit dem gleichen Befremden auf diese Diskussion blicken, mit der man heute auf die Kulturkämpfe lang vergangener Dekaden zurückblickt.
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Einige Statistiken: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1650.html