Meine lieben Leser,
sicher wartet ihr schon gespannt auf meine ersten Berichte von der Wanderung. Zunächst einmal: Es ist definitiv keine Wanderung! So viel kann ich sagen. Die ersten zwei Tage waren die härteste, kräftezehrendste, emotional wie körperlich aufreibendste Herausforderung, der ich mich je gestellt habe. Der Pennine Way fordert Unvorstellbares ein. Niemand, der je dort gewesen ist, kann über ihn urteilen. Und ich hatte sehr idyllische Vorstellungen. Ich bin insgesamt 23 Stunden durch spektakuläre Landschaften gelaufen, unzählige steile Hügel hinauf- und hinuntergeklettert, durch Flüsse gewatet, im Sumpf steckengeblieben, habe mich gefährlich nah an steilen Abhängen entlangmanövriert, bin durch endlose Einöden marschiert, mehrmals vom Wege abgekommen, und all das mit mehr als 15 Kilo auf meinem Rücken. Mein Rucksack hat sämtliche Körperstellen wundgescheuert, meinen Rücken niedergepresst, aber das war nicht wichtig, denn ich wusste, dass es schmerzhaft wird.
Auf 50 sich steil auf und ab windenenden Kilometern, mit starken Regenschauern, Sturm und herrlichstem Sonnenschein ist mein Wille stark geblieben. Ich habe geweint vor Glück und geweint vor Erschöpfung, aber aufhören kam nicht in Frage. Doch dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet habe: mein Körper machte plötzlich nicht mehr mit. Ich konnte am zweiten Tag weder essen, noch trinken und hatte noch Meilen zu laufen. Allein der Gedanke an Wasser verursachte mir Übelkeit. Ich bekam einen Zuckerschock und bin stundenlang weitermarschiert, denn ich wollte nicht aufhören. Ich wollte das nicht zulassen. Und zudem hätte mich niemand in der Wildnis mit dem Auto einfach abholen können.
Doch dann kam ich vor Müdigkeit nicht mehr mit der Karte zurecht, verlief mich, drehte mich im Kreis, kroch einen Berg zweimal hinauf, konnte mich nicht mehr orientieren. Ich lief auf und ab, um ein winziges Telefonsignal zu erhaschen. Ich hatte mich tags zuvor mit meiner englischen Familie im Pub nahe am Campingplatz verabredet und jetzt war ich schon vier Stunden überfällig. Ich wollte nicht, dass sie sich sorgen, also gab ich kurz meinen Standort durch. In den Abendstunden wurde mir klar, dass ich meinen Körper nicht länger ignorieren kann. Ich schlich mehr als ich ging, war ausgetrocknet, konnte keinen Schluck aus meinem Wassersack mehr ertragen. Ich musste irgendwie den Campingplatz erreichen, aber ich hatte keine Ahnung, ob ich es überhaupt schaffe und ob ich auf dem richtigen Pfad bin. Ich habe mir die Augen ausgeweint vor Enttäuschung, hab die Zähne zusammengebissen und Schritt um Schritt mit letzter Kraft aus mir rausgeholt.
Und dann wenige Stunden vor Sonnenuntergang sehe ich in der menschenleeren Moorlandschaft eine Gestalt auf mich zurennen. Ich glaube an eine Art Fata Morgana, aber es ist real: Meine englische Familie rettet mich. Der Vater meines Engländers stürmt mir entgegen. Er ist meilenweit über die Hochmorre gerannt, ohne Karte oder Telefon. Er zieht mir den Rucksack vom Rücken und bringt mich sicher ans Ziel. Als ich im Auto sitze, muss ich eine Entscheidung treffen, die mich unendlich traurig macht. Meine Gesundheit steht auf dem Spiel. Mein Körper ist wie gelähmt, ich bin unterkühlt und ich könnte fässerweise Cola trinken. Alles verschwimmt vor meinen Augen. Mein Wille ist immernoch da, aber mein Körper lässt mir keine Wahl. Ich muss meine Reise hier unterbrechen. Fürs Erste. Ich weiß momentan nicht, wie es weitergeht, denn ich bin noch zu schwach, um Pläne zu schmieden. Ich gebe nicht auf, denn ich weiß, dass ich weitergehen kann. Aber wie und wann, kann ich jetzt noch nicht sagen.
Doch abgesehen von den gesundheitlichen Schwierigkeiten, habe ich in dieser Zeit Unglaubliches gesehen, unendlich vieles gelernt und erfahren. Zwei Tage voller Abenteuer und toller Eindrücke, die ich jetzt aufbereite und dann mit Bildern und Geschichten angereichert gern mit euch teile. Hier schonmal ein erster Eindruck:
An einem Tiefpunkt angelangt, eröffnet sich vor mir plötzlich dieser unglaubliche Regenbogen. Ein Hoffnungsschimmer und Mutmacher für die nächsten Schritte.
Seid allerliebst gegrüßt von einer hoffentlich schnell genesenden Steffi