Die große Welt des Ultraschalls

Aus Box 14 ertönte eine mir nur allzu vertraute Stimme.
” Und hier haben wir die Leber… und das da ist die Milz… und hier die Nieren… Wie Ihr sicher sehen könnt, sieht alles ganz normal aus. Nun, von dem diskreten Flüssigkeitssaum unter der Leberkapsel mal abgesehen, aber das ist Euch ja sicher auch schon aufgefallen…” Die Stimme kicherte laut und ein paar andere Stimmen fielen nervös in das Gekicher ein.
Ich konnte nicht anders, ich musste einfach in das Zimmer hineinsehen. In dem Bett lag Herr Kramer, ein junger Mann, dessen Motorrad leider Bekanntschaft mit einem Baum gemacht hatte und der gerade frisch aus dem OP gekommen war.
“Willi?”, rief ich neugierig in die Box. “Was machst du da?” Willi zuckte unwillkürlich zusammen, als ich so unvermittelt hinter ihm auftauchte. “Eh…eh… er deutete mit einem Nicken in Richtung dreier junger Damen, die neben ihm am Patientenbett standen und etwas verunsichert auf den Monitor des Ultraschallgerätes blickten – des Studiengerätes, wie mir mit Entsetzen auffiel; ein Gerät, das eigentlich nur zu Studienzwecken verwendet werden durfte und ganz bestimmt nicht von Studenten zu – ja, zu was eigentlich?
“Also…, das sind Lisa, Laura und Nicole. Sie machen gerade ihr Pflegepraktikum…” Die drei Mädels nickten eifrig. “Du weißt schon, sie fangen im Herbst mit dem Medizinstudium an, und da dachte ich, ich kann ihnen schon mal ein wenig was zeigen… so als Medizinstudent, verstehst du?”
“Ah ja? Und was zeigst du den Damen so?” Ich konnte mir ein extra breites Grinsen nicht verkneifen.
“Wir gehen gerade die Anatomie des Oberbauchs durch…” nuschelte Willi in seinen nicht vorhandenen Bart.
“Das ist sehr beeindruckend, Willi. Ich meine, Milz und Nieren sind für den Anfänger echt nicht leicht zu erkennen, dass du das in den gefühlten drei Jahren, die du bei uns bist, schon gelernt hast… da können wir uns ja echt glücklich schätzen!” Willi lächelte etwas unsicher.
“Und wenn du jetzt noch den richtigen Schallkopf einschaltest, dann könnte man sogar etwas sehen auf dem Monitor!”
Garstig. Ich weiß.
Mit einer schwungvollen Bewegung nahm ich Willi den Konvexschallkopf aus der Hand und tippte auf die Oberfläche. Auf dem Monitor war nichts weiter zu sehen als dezentes Schneegestöber. “Willi… das ist schon der richtige Schallkopf, wenn man den Oberbauch untersuchen möchte, da gebe ich dir recht. Allerdings…”, ich ließ meine Hand aber den Touchscreen wandern, bis ich an das Feld “Einstellungen” kam. “Allerdings muss man dann auch den entsprechenden Schallkopf ansteuern. Dies ist zu sehen an der weißen Lampe, die hier an der Seite des Schallkopfs leuchtet.” Ich deutete auf den Schallkopf in meiner Hand. Die Lampe leuchtete nicht. “Du hast den Linearschallkopf eingeschaltet! Ich deutete auf das Bild eines Linearschallkopfes, was soeben auf dem Touchscreen erschien. “Der ist für oberflächliches Gewebe. Damit kann man Gefäße, Nerven oder die Lunge schallen. Ich nahm den Linearschallkopf in die Hand und zeigte das weiße Licht der Lampe an der Schmalseite des Schallkopfs in die Runde. “Siehst du?” Dann tupfte ich auf den Linearschallkopf, und sofort wurde eine Bewegung am Oberrand des Monitors sichtbar.
Willi wurde zunehmend röter. Die drei Mädels stießen sich gegenseitig in die Seite und kicherten.
“Ach so… naja, ich hatte das gerade umgestellt… ich wollte jetzt die Lunge schallen…”, versuchte Willi sich halbherzig zu verteidigen.
“Tatsächlich? Das kannst du auch?”
Wohlwissend, dass ich für diese Gemeinheit mindestens im ewigen Fegefeuer würde braten müssen, stöpselte ich das Gerät aus und schob es wortlos aus dem Zimmer.

Es war übrigens das letzte Mal, dass Willi sich über das Studiengerät hergemacht hat.

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