DIE GRIECHISCHE TRAGÖDIE ALS HOFFNUNGSSCHIMMER

GRIECHENLAND KÖNNTE UNS ZU KREATIVEN LÖSUNGEN INSPIRIEREN
Von Günther Hoppenberger
Während man in den europäischen Nationalstaaten emsig bemüht ist, unter der Bezeichnung "Steuer- und Strukturreform" die fortschreitende Enteignung der Bevölkerungen zu kaschieren, wird unsere Aufmerksamkeit von den Entwicklungen in Griechenland gefangen gehalten. Angeblich sind ja die Griechen die Auslöser der Euro-Krise. Durch Faulheit, Korruption, überbordende Privilegien und betrügerische Bilanztricks sind sie gemäß Stammtischmeinungen dabei, dem Rest Europas den redlich erworbenen Wohlstand zu rauben. Die angeblich ja zu blöden und zu feigen Politiker plappern das natürlich gerne nach, um der bildungsfern gehaltenen Volksmeinung zu entsprechen und um zugleich die eigene Beschränktheit zu verbergen. Dabei ist die Faktenlage, die sich ja nicht von heute auf morgen und auch keineswegs überraschend, sondern im Lauf der letzten drei Jahrzehnte und deutlich erkennbar abgezeichnet hat, recht eindeutig:
Die perfide und in der breiten Bevölkerung eher unbekannte Art der multiplen Geldschöpfung, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, hat zwangsläufig dazu geführt, dass wir als Transmissionsmedium im wirtschaftlichen Austausch vorwiegend Forderungen auf Geld anstelle von Geld verwenden. Die als Geldersatz verwendeten, sich hochschaukelnden Forderungen auf Geld, bilden ein mittlerweile schwankendes, komplexes Zahlenwerk aus Buchungssätzen, weil jeder Forderung auch eine Schuld gegenüberstehen muss. Den exorbitanten Forderungen auf Geld steht jedoch schon lange viel zuwenig tatsächliches Geld gegenüber. Die Forderungen auf Geld sind nicht mehr erfüllbar. Die Schulden sind deshalb in Geld überhaupt nicht mehr tilgbar.
Bei allen zeitweiligen Ermahnungen unser Leben nachhaltig, naturnah, friedlich, geprägt von sozialer Verantwortung und Nächstenliebe auszurichten, sind wir zuallererst dazu angehalten, die Einhaltung der Buchhaltungsregeln zu unserem zentralen Anliegen zu machen. Kein Wunder also, wenn da verstärkt auch in die Trickkiste gegriffen wird, denn die Suche nach bereitwilligen Opfern, denen wir zur Glattstellung unserer Buchhaltung Schulden weiterreichen können, wird immer schwieriger. Noch dazu liegen die nächstliegenden Opferkandidaten alle im Euroraum, dem wir uns als vorgebliche Wertegemeinschaft in Solidarität verpflichtet fühlen sollten. Andere Währungsräume, die ja alle mit demselben Systemfehler behaftet sind, haben mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Die so genannten Rettungsaktionen sind vorwiegend eine reihum Weiterreichung von kontinuierlich weiter anwachsenden Schulden und ändern an der Gesamtsituation nichts; außer dass jetzt z. B. die Verschuldung Griechenlands aus dem Blickfeld rücken wird und erst mit zeitlicher Verzögerung - wahrscheinlich für die Politik wieder unerwartet und überraschend - beim nächsten Wackelkandidaten und mit noch höherer Verschuldung in Erscheinung treten wird.
Irgendwann sollten wir uns daher zu der Einsicht durchringen, dass dieses System, zumal es niemals Anspruch auf Nachhaltigkeit erheben konnte, ausgedient hat. Nehmen wir einmal etwas Abstand von unserer Fixierung auf die derzeitigen krisenhaften Erscheinungen, die ja in ihrem Kern Bilanzierungskrisen sind. Lehnen wir uns zurück und überlegen wir einmal ganz in Ruhe und ohne vorgefasster Meinung. Ziehen wir eine qualitative Bilanz ohne Zahlen und erfreuen wir uns zunächst am bisher Erreichten; und das ist gar nicht so wenig!
Das System hat ausgedient! Es ist nicht gescheitert! Es hat in der Aufbauphase nach dem Krieg ganz hervorragend funktioniert. Genau zu dieser Anstoßfinanzierung wie man sie nach einem Krieg benötigt, wenn ein schneller Wiederaufbau erfolgen soll, wurde das Geldsystem konzipiert. Es funktioniert fabelhaft, wenn gute Aussichten auf Wirtschaftswachstum bestehen. Tragischer Weise akzeptiert es kein "Genug". Es lässt Zufriedenheit nicht zu und erzwingt auch dann noch Wachstum, wenn es weit und breit keine Möglichkeit und keine Bereitschaft dafür gibt und wenn Produktivitätssteigerungen auf gesättigte Märkte treffen.
Nun haben wir jedoch unser Geldsystem in der schwierigen Nachkriegszeit schätzen gelernt, weil es uns so viele Möglichkeiten eröffnete. Wir glauben sogar, das System verstanden zu haben und geraten allein schon beim Gedanken uns davon trennen zu sollen, in Panik. Instinktiv sind wir bereit, jede erdenkliche Anstrengung freiwillig oder unfreiwillig auf uns zu nehmen, um den Anforderungen des Systems zu entsprechen. Wir ordnen unsere Lebenskonzepte dem Geldsystem unter. Wir schaffen unnötiges und unsinnigstes Wachstum, vergeuden kostbarste Ressourcen, zerstören unsere Lebensgrundlagen, bekämpfen einander und nennen es Wettbewerb, verkürzen künstlich den Lebenszyklus von Gebrauchsgegenständen und halten uns für unheimlich kreativ, weil uns doch immer wieder etwas Neues einfällt. Alles nur, um das Geldsystem zufrieden zu stellen. Wenn es gar nicht mehr anders geht, sind wir sogar bereit, Kriege zu inszenieren und ganze Landstriche für einen anschließenden Wiederaufbau zu verwüsten. Die Vorstellung, ohne diesem System leben zu müssen, scheint für uns dennoch unerträglich zu sein.
Begleiten Sie mich jetzt aber auf folgendem Gedankengang: Gehen wir von der schlimmsten Befürchtung aus. Noch heute kippt das Geldsystem. Stellen wir uns vor, ab Mitternacht gibt es kein Geld mehr. Was empfinden Sie bei diesem Gedanken? Panik? Angst? Verzweiflung? Aber schauen Sie sich doch einmal um! Was ist eigentlich passiert? Nichts! Niemand wurde getötet, alle Bauwerke und Straßen sind unverändert, die Infrastruktur ist nach wie vor vorhanden, die Lager sind voll, alles funktioniert bestens. Wir können mit Wohlgefallen und Stolz auf die Elemente unseres über Jahrzehnte hinweg erreichten Wohlstands blicken. Einzig unsere Buchhaltungen sind verloren gegangen, mit denen und über die wir miteinander kommunizierten. Eine überregionale gesellschaftliche Entwicklung wird also einen Knick erfahren und wir sollten schleunigst - möglichst bis zum Morgengrauen - wieder so etwas wie Geld, eine der großartigsten Erfindungen zur Entwicklung komplexer, arbeitsteiliger Gesellschaften, auf die Beine stellen.
Vermutlich werden die Mechanismen der Geldentstehung und die begleitenden Gesetze für die Inverkehrbringung des Geldes anders gestaltet sein müssen, als derzeit. Das neue Geld sollte im Unterschied zu jetzt, ein dienendes sein. Es sollte zwar Wachstum ermöglichen, aber nicht erzwingen. Es sollte unter staatlicher Obhut stehen, allerdings ohne Einflussmöglichkeit durch die jeweilige Regierung. Es sollte nicht nur für die nächsten 20-30 Jahre ausgelegt sein, sondern tatsächlich nachhaltig; sagen wir für die nächsten 500 Jahre. Konzepte und Modelle gibt es im Internet bereits zu Hauf; am besten ausgereift ist wahrscheinlich der Vollgeldvorschlag von Joseph Huber, Halle (unter "Monetative" im Internet zu finden).
Vielleicht gelingt es ja der Politik auf Grund des griechischen Desasters noch rechtzeitig, dem Geld die Eigenschaft als Machtmittel zu nehmen und es zu dem zu machen, wofür es erfunden wurde. Und hoffentlich verbleibt uns noch die Zeit, uns auf den bislang fiktiven, aber zwangsläufig bevorstehenden "Mitternachtstermin" einzustellen und einen unblutigen, zivilisierten Systemwechsel vorzubereiten.
Über den Autor:
Dr. Günther Hoppenberger (geb. 1944, Wien), Chemiker und Exportkaufmann, Im Osteuropageschäft für multinationale Chemiekonzerne tätig, konzessionierter Gastwirt, Logotherapeut und Mediator. Das besondere Interesse an "Verstärkung psychischer Leiden durch die Ökonomie", führte zur intensiven Beschäftigung mit dem Geldwesen.
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