Die Grenzen des 11. September

Von Zyw


I.
Zum zehnten Jahrestag des 11. September 2001 wollte ich hier eigentlich nichts schreiben. Nicht nur, weil ich momentan, wie man hier leicht erkennen kann, allzu wenig Zeit finde. Vor allem aber wollte ich nicht auf den „Gedenkzug“ aufspringen: Kaum ein Tag in den letzten Wochen, an dem nicht 9/11 im Fernsehen aufbereitet oder in einer Zeitschrift (vom Spiegel über den Economist bis zum Time Magazine) zum Titelthema gemacht wurde.
Ein kurzer Blick aber in letztgenanntes renommiertes Time Magazine in der Bahnhofsbuchhandlung hat mich jedoch zum Nachdenken gebracht. Persönliche Schwarzweißporträts von Betroffenen, von Versehrten dieses „Datums“ werden in dieser Gedenkausgabe präsentiert, und selbst das flüchtige Durchblättern macht klar, dass es gar nicht darum geht, inwiefern hier den Opfern oder gar dem Ereignis gedacht wird. Sondern dass es sich bei diesen Äußerungen und Inszenierungen in und der Medien um die Versuche einer Modellierung dieses unförmigen, nicht zu packenden und einzuhegenden Ungetüms geht, dem man notgedrungen ein Datum zum Namen gegeben hat, obwohl z.B. ein Ort („WTC“, „Ground Zero“) oder anderweitige Bezeichnungen („Die Attacke“) als Label auch möglich gewesen wäre (wann genau war noch mal "der Mauerbau", "die Wiedervereinigung" oder: "Pearl Harbor"?).
Sicher, zu einem guten Teil sind all diese Sondersendungen und Titelgeschichten dem Bedürfnis eines Mediensystems geschuldet, das an einem „Wiederereignis“ bereitwillig partizipiert und von seinem Signalcharakter profitiert. Doch wie auch sollen sich einzelne Magazine, Zeitungen und Sender sozusagen „ausklinken“? Der reale Symbolpolitikbetrieb setzt die Anschläge und ihre zahlenmythische Rückkehr auf die Agenda, aber das allein ist es nicht, und es fiele letztlich auch schwer, von einem „Pseudoevent“ (nicht nur im publizistischen Sinne) zu sprechen.
Der 11. September hat die Welt verändert. Diese Feststellung ist trivial, aber nicht banal. Es ist offensichtlich und allgemein akzeptiert, gar „natürlich“, jedoch nicht zwangsläufig, selbstverständlich und aus sich heraus wirklich. Ebenso wenig wie andere historische Ereignisse, politische Fakten und sonstige Phänomene, die in und aus der gesellschaftlichen und kulturellen Kommunikation heraus definiert, konstruiert und formiert sind, ist das, was man mit dem griffigen Kürzel „9/11“ fasst, per se etwas.
Nur, was eigentlich?
Gerade darum dreht sich das merkwürdige Zeremonielle, die (selbst-)bestimmende, integrative Ritualität, die der zehnte Jahrestag jenes fatalen Dienstags weniger provoziert als schlicht mit all seiner unbewältigten Macht einfordert. 10 Jahre „11. September“ bedeutet, dem Zwang der Wesensbestimmung eines allgemeinen Heil(en)s willen nachzugeben.
II.
Man muss gar nicht von Ontologie reden, wenn es um die Frage nach der weniger ominösen als opaken Entität „11. September“ geht. Tatsächlich lässt sich 9/11 als ein mysteriöses, unverständliches, unbeschreibbares Artefakt denken, und das sperrt sich schon allein gegen die vielen Formen der „Abgrenzung“. Man kann ihn als einen Momentum begreifen, eine Bewegungsenergie, die Krieg und kriegsähnliche Zustände und die Verschärfung, Militarisierung und Institutionalisierung von Konflikten hervorgebracht hat: in Afghanistan, Irak, aber auch in Pakistan, im Jemen, am Horn von Afrika …
Andere Möglichkeiten „9/11“ zu fassen, zu erklären und damit ihm ein Terrain zuzuweisen: die Kulmination eine Kriegs der Kulturen, die Rache des Negativ-Romantischen, der Anti-Aufklärung, Schattenseite der Globalisierung, ein Aufstand der Marginalisierten, Kriegserklärung der Negierten, Aufbruch des Irrationalen und des Anderen, die Attacke auf den Westen, der Einbruch des Realen, Neu- und Kaltstart der Geschichte, das größte Kunstwerk aller Zeiten. Aber auch: die „umkehrende“, widersborstige Verschwörung böser Mächte des Inneren, ein Plot als Komplott. In dem einen Fall ist „9/11“ Startdatum, einmal Höhepunkt, dann wieder ein Endpunkt.
Im Fall der mit am dominantesten Vorstellung ist es ein schierer Moment an sich, ein Ausbruch aus der Zeit – der 11. September als purer (damit, je nach metaphysischer Positionierung, „reiner“ oder „göttlicher“) Augenblick, der Menschen – Individuen, den Westen oder „die Welt“ - auf sich selbst zurückwirft. Als extrem bedeutungsmächtig offenbart sich die Perspektive allein schon allein dann, wenn man berücksichtigt, wie massiv „9/11“ mit den einstürzenden Türmen des World Trade Centers und ihren direkten und indirekten Opfern (z.B. Feuerwehrleuten, aber auch u.U. von Soldaten als casualities des Antiterrorismuskriegs) assoziiert ist, nicht aber (oder zumindest weniger) mit den Toten und der Zerstörung von Pennsylvania oder des Pentagons in Virginia (die extrem unterschiedliche Immersionskraft der radikale divergenten „Fatalitäten“ der verschiedenen Unglücksorte und ihrer Stories ist dabei ein Phänomen für sich).
Das mag nun alles etwas abstrakt klingen, es wird aber ganz schnell sehr konkret und real, wenn man sich die verschiedenen politischen Agenden betrachtet, die aus den jeweiligen Auffassungen resultieren oder mit ihnen narrativ begründet werden. So lässt sich aus einer Katastrophe schlecht die Legitimation für einen Krieg ableiten. Umgekehrt werden die Opfer des 11. September, fasst man sie in den Rahmen (Framing) des Krieges, zu victims und nicht zu Märtyrern zum Beispiel der westlichen Freiheit (die englische Sprache kennt hier mehr Sinn und Bedeutungsnuancen des Opfertums – vom „Verlust“ bis zum sich hingebenden, bezeugenden „Aufopfernden“ – dem sacrifice - als das Deutsche).
III.
Neben all den unzähligen kultur-, bild- und symbolphilosophischen Auseinandersetzungen und Traktaten der Žižeks und Baudrillards (von den Michael Moores mal ganz zu schweigen), mit denen das phantomatische Ereignisse gerade wegen seiner doch ganz einfachen, wiewohl unglaublichen Bilder und Erzählungen nicht habhaft wurden, oder die das Schockevent 9/11 eilfertig in bestehende Konzepte inkorporierten, stellt sich die Frage nach den Grenzen, dem Wesen und der Bedeutung des 11. Septembers auch ganz simpel in einer ganz anderen medialen, künstlerischen, kulturellen repräsentationsanalytischen Frage: Wann genau hat man es (noch) mit dem 11. September zu tun?
Hier sind wir wieder beim zentralen Thema dieser Seite, Terrorismus und Film (aber natürlich gilt die Frage auch für Sachbücher, Romane, Rundfunkfeatures etc.). Wann hat man es mit einem Film zum/über den 11. September zu tun? Das ist mehr als ein nur wissenschaftstheoretische Frage („Wie grenze ich meinen Untersuchungsgegenstand ab, ohne ihn dabei zu konstruieren und mich vorfestzulegen?“): In der jeweiligen Antwort darauf selbst steckt nicht nur ein präformativer, definitorischer Kern, sondern auch je unterschiedliches erhellendes, erklärendes Sinngebungspotential verborgen, das aufzuschlüsseln und in seiner Mechanik zu dekonstruieren von großem Erkenntniswert wäre. Zumindest, wenn es eine geheime, unterschwellige Befindlichkeit und individual- oder kollektiv-seelische Konstitution beträfe.

Es geht natürlich auch offener: Als politischer Kommentar nämlich findet sich eine solche definitorische Grenzbestimmung als filmische Äußerung selbst, im Gewand der Kontextualisierung in dem Kompilationsfilm 11´09´´01 – SEPTEMBER 11, mit dem Regisseure wie Sean Penn, Youssef Chahine, Ken Loach, Amos Gitai, Mira Nair, Danis Tanovic oder Claude Lelouch in 11-Minütern jeweils zeigen, was sich für sie aus den Anschlägen und ihren Folgen ziehen lässt, vor allem aber wo ihrer Ansicht nach offenbar der allgemeine Wahrnehmungs- und Zuordnungsblick nicht hinreicht: die lieber unerzählt gelassenen Schattenseiten des offiziellen „9/11“, die blinden Flecken oder einfach die Unverhältnismäßigkeit des Tragischen und Politischen, das man den Anschlägen zubemisst und ihm eine zusätzlich Monstrosität zuteilt, die gleichzeitig die Terroristen sowohl in ihrer Wirkung überhöht als auch zugleich negiert. Da zeigt beispielsweise Gitai den terroristischen Alltag in Israel, und Tanovic erzählt von mutigen Frauen im Post-Bürgerkriegsbosnien, die für die Aufklärung und Anerkennung des Schicksals ihrer Männer demonstrieren, was aber dank des fernen 11. September just an diesem Tag keinen interessiert. Ein leiser Kommentar ist das, zu einer so ekligen wie schlicht faktischen und bei aller humanen Tragik wahrnehmungsstrukturell nicht willkürlichen globalen Aufmerksamkeitsökonomie und -dispositiv.
11´09´´01 – SEPTEMBER 11 trägt 9/11 freilich schon im Titel und bisweilen etwas bemüht widerborstig vor sich her. Wie sieht es also mit anderen Filmen aus?

IV.
Oliver Stones WOLRD TRADE CENTER von 2006, Paul Greengrass‘ UNITED 93 und dessen TV-Gegenpart FLIGHT 93 von Peter Markle (dt. Titel: FLIGHT 93 – TODESFLUG AM 11. SEPTEMBER) sowie die „packende“, intensive Vor-Ort-Zufallsdokumentation der beiden französischen Filmemacherbrüder Jules und Gédéon Naudet, die am 11. September 2001 zur Besuch in der Feuerwehrwache in der WTC-nahen Duane Street waren … - sicher diese Filme befassen sich direkt mit 9/11-Geschehnissen, und inwiefern sie dafür einen würdigen, wertvollen oder sonstwie geeigneten und angemessenen Ansatz und Zugang bieten, sei hier dahingestellt.
Wie jedoch sieht es z.B. mit Spike Lees gepriesenem THE 25TH HOUR von 2002 aus? Mick LaSalle vom San Francisco Chronicle bezeichnete ihn 2006 als „the only great film dealing with the Sept. 11 tragedy“ und geht gar soweit, ihn als „urban historical document“ mit Rossellinis ROMA, CITTÀ APERTA (1945) gleichzusetzen. Sicher, Lee drehte in einer verwundeten Stadt; kleine Anspielungen gibt, Edward Nortons Blick hinunter auf Ground Zero, und eine triste Schockstarre liegt über allem, was sich wunderbar mit der Abschiedsstory mischt: ein kleiner Gelegenheitsdealer aus arriviertem Milieu verbringt seinen letzten Tag, ehe er eine mehrjährige Haftstrafe antritt. Doch langt das schon, um einen 9/11-Film darin zu sehen (oder daraus zu machen), und dann auch noch den großartigsten?

„Ja, natürlich“, mag mancher sagen, und: „Gerade deshalb!“ Wir bewegen uns hier auf dem Feld der privaten Hermeneutik, der individuellen Lesart und des Geschmacks. Was dem einen eine wunderbar subtile Anspielung und verschlüsselte Metaphorik ist, ist dem anderen hineinphantasierendes Überinterpretieren, und ebenso ist es nun mal mit dem 11. September und seiner Bestimmung selbst. Freilich, man kann THE 25TH HOUR ebensogut und vielen anderen Filmen vorwerfen, dass sie gar nicht (vom) 11. September erzählen, sondern nur mit ihm. Was, wenn 9/11 selbst zur Metapher degradiert wird?
Jenseits eines ideosynkratischen Sehens lassen sich jedoch unterschiedliche, teils sich überschneidende, teils vom Epizentrum 9/11 weit(er) entfernte Filmkreise ausmachen, wobei deren taxonomische Sortierung hier selbst keinen Absolutheitsanspruch behaupten.

a) Der Weg zu 9/11 – die Vorgeschichte der Anschläge, wie die britische TV-Produktion THE HAMBURG CELL, die die Vorbereitung der Hijacker als Dokudrama rekonstruiert und nachinszeniert.
b) Die "Katastrophenfilme" (vgl. dazu Schneider 2008) des 11. September, die den Tag, die Türme und die Flugzeuge selbst in den Mittelpunkt stellen, wie die oben genannten: Stones WORLD TRADE CENTER, Greengrass‘ UNITED 93.
c) Direkte Trauer- und Bewältigungsdramen, die vom Verlust und der Begegnung sowie (versuchten) Bewältigung dieses Verlustes durch Angehörige oder andere Be- und Getroffene individuell und als Kollektiv handeln. Mike Binders REIGN OVER ME (2007) gehört dazu, mit Adam Sandler als aus dem Leben Gefallener, nachdem ihm die Familie am 11. September genommen wurde. Oder Jim Simpsons THE GUYS (2002) über den Feuerwehrcaptain, der für die toten Kollegen die Trauerrede vorbereiten muss. Weiter „entfernt“: Der Low-Budget-Noir THE MISSING PERSON (2009) von Noah Buschel oder der deutsche Zweiteiler AUF EWIG UND EIN TAG (2006) von Markus Imboden.
Als spezielle Kategorie der Bewältungs- und Gedenkdramen würde ich – auch wenn sie dabei auf einer anderen, direkten Stufe operieren (wobei man hierzu gesamtgesellschaftlich auch die Filme unter Punkt (a) zählen könnte) – Verschwörungsthriller zählen: Vor allem kleine unabhängige Filme - THE REFLECTING POOL oder SEVERE VISIBILITY. Sie befassen sich mit alternativen „Wahrheiten“ und/oder der Suche nach einer solchen; dem Komplott oder zumindest dem Versagen der „Eigenen“. Es sind Filme, die die inoffiziellen Hintergründe bezweifeln, umkehren oder erweitern. Sie findet (sich) andere Schuldige – und sie rühren an der vorherrschenden Übereinkunft, wie man den 9/11 am besten zu betrachten, wahrzunehmen und zu empfinden hat. Am besten (weil am integrativsten) für alle. Auch Michael Moores FAHRENHEIT 9/11 ließe sich hier einsortieren, der erstaunlich ähnlich wie die Autorenfilmer in 11´09´´01 – SEPTEMBER 11 gerade bei aller Kritik und Aufklärung und Bush-Schelte irgendwie daneben liegt, weil er den Impuls 9/11 und seine Bild- und Gefühlsdimension, die einfach ihr ganz eigenes sperriges Realitätsrecht beanspruchen, nicht ein- und umzuarbeiten vermag.
V.
Wie divergent und unterschiedlich entfernt vom Ground Zero, vom Pentagon und dem Acker in Shanksville oder - temporär - der Sekunde des ersten, zweiten (dritten, vierten) Flugzeugeinschlags die filmfiktionalen und erzählerischen Ansätze hier jeweils veranschlagt werden können, ist wohl ersichtlich. Allerdings potenziert sich diese Heterogenität, wenn wir weitere Rahmensprünge machen: Filme zum Afghanistan- und dann: dem Golfkrieg. Oder die sonstigen Folgen von 9/11 im Alltag oder dem Krieg gegen den Terrorismus.
Wenn es um private oder staatliche Ressentiments oder Schlimmeres gegenüber Muslime im Zuge des 11. September geht, lässt sich sicherlich weniger eindeutig von einem 9/11-Film sprechen. Doch auch hier finden sich die unterschiedlichen Ansätze und Muster in ihrer Form wieder: Ein Paranoia-Film (als Fallstudie einer Pathologie) ist CIVIC DUTY, in dem ein arbeitsloser Buchhalter nicht die Regierung verdächtigt, sondern sich in die Idee verrennt, sein junger arabischer Nachbar sei ein islamistischer Schläfer.

Oder die Verschwörung wird zur institutionalisierten Folter, zu Lüge und Grausamkeit in Zeiten des Krieges (THE GREEN ZONE oder, ebenfalls Low- bis No-Budget: THE TORTURER von Graham Greene von 2008). Aus THE MISSING PERSON wird, in diesem größeren Rahmen, Wim Wenders LAND OF PLENTY, aus THE GUYS Oren Movermans großartiger THE MESSENGER (2009). Soldaten statt Feuerwehrmänner – das WORLD TRADE CENTER als THE HURT LOCKER (2008).
Natürlich kommen hier die Spezifika des Krieges hinzu wie in den Filmen außerhalb der USA landestypische eigene Themen und Anreicherungen mit eigenen Dschihadisten-Erfahrungen und Probleme der Integration (mehr dazu in meiner Dissertation).

Sind diese Filmgeschichten auch bzw. immer noch ein Ausformulieren und Nach-Erzählen des 11. Septembers? Wie steht es mit den Spuren des 9/11 in dahingehend beiläufigen Filmen: Komödien, die ihre Witze mit den verschärften Kontrollen an Flughäfen und Sky-Marshalls treiben? Und ist SNAKES ON A PLANE auf seine Weise eine ebenso unterschwellige, brillante Thematisierung wie Lees 25TH HOUR? Ist eine wüste Posse wie Uwe Bolls POSTAL (2007) ebenso ein direkte 11.-September-Aushandlung wie der Film vom Oliver Stone, auch wenn hier geschmacklos Scherz getrieben wird mit den Todespiloten, die eigentlich noch abdrehen wollten weil im Paradies nicht mehr genug Jungfrauen vorrätig sind, die jedoch von den übereifrigen Helden-Passagieren mit in den Untergang gerissen werden? Geschmack- und Pietätlos, sicher, aber ist das das alleinige Kritierium?
„Das mag immer vom Einzelfall abhängen“, könnte die diplomatische Pauschalantwort lauten, und dabei sowohl auf den jeweiligen Film wie den Betrachter gemünzt sein. Zweierlei fällt jedoch auf: Erstens dass – wie weit man auch immer den Radius zieht –, 9/11 im Film erstaunlicherweise ohne Dämonisierung der Attentäter auskommt - oft sogar gänzlich ohne sie. Im Gegensatz zur realen Politik eignet sich hier nichts für einen Feldzug.
Zweitens gibt es in den Debatten jenseits von Filmfachkreisen (und ein wenig ist es hier wie bei Historikern, für die auch schon immer alles da gewesen ist) eine radikale unidirektionale Linearität – anders gesagt: es fehlt das „Davor“. 9/11-im-Film ist sehr dehnbar ab dem Ereignisdatum selbst. Das gilt inhaltlich mit Einschränkungen (s. THE HAMBURG CELL, ein großer Teil von UNITED 93), mehr aber noch, was das Datum der Filmproduktionen anbelangt. Das scheint vielleicht auf den ersten Blick grotesk selbstverständlich – wie soll sich ein Film denn einem konkreten Ereignis in der Zukunft annehmen? Und würde man nicht durch eine solche Rückwendung nicht – unter anderem - eine historische Zwangsläufigkeit voraussetzen?
Allerdings: Letzteres hat Steven Spielberg nicht davon abgehalten, den internationalen Nahostterrorismus in MUNICH (2005) als Vorgeschichte des 11. September zu inszenieren (zumindest legt es die letzte Einstellung des Films nahe). Und die staunend-schaudernde Neuentdeckung des „prophetischen“ THE SIEGE (1998) von Edward Zwick nach 9/11 hat es gegeben und doch war sie eine relative Ausnahmeerscheinung.
Schauen Sie sich in diesem Sinne mal weiter auch in der populären Filmgeschichte um – Sie könnten überrascht sein!
Letztlich sieht man vielleicht aber am Kino nicht (nur), wie (Vor-)Geschichtsvergessen der Westen ist, sondern wie -unwillig. Was schließlich auch eine Beschreibung dessen liefert, was der 11. September auch zehn Jahre später sein „soll“: Ein Solitär und damit ganz für sich.
[1] Schneider, Thomas (2008): Der 11. September 2001 im amerikanischen Kino. Zur filmischen Verarbeitung eines kollektiven Traumas. Marburg: Tectum.
Bernd Zywietz