„When one door of happiness closes, another opens, but often we look so long at the closed door that we do not see the one that has been opened for us.“ ~ Helen Keller
Meine zweite Traumbegegnung mit Maria fand auf einem schmalen Steg statt, der über einen dunkelblauen Abgrund führte. Der Steg war so schmal, dass sich zwei Menschen unmöglich kreuzen konnten, ohne dass der eine oder gar beide in den Abgrund stürzten. Mir war sofort klar, einer von uns musste umkehren, entweder Maria oder ich. Als wir einander auf dem schmalen Steg, mitten über dem bodenlosen blauen Abgrund gegenüberstanden, sah ich in ihren Augen, dass sie nicht umkehren würde. Doch anstatt mich zur Umkehr aufzufordern, förderte sie einen Brief aus der Tasche ihrer Jeans und überreichte ihn mir. Ein brauner, abgegriffener Umschlag, in einer unleserlichen Handschrift adressiert.
„Er ist für dich, Charlie hat ihn mir gegeben“, erklärte sie. Ihre Stimme klang sanfter als bei unserer letzten Begegnung. Ob die Abzweigung, die ihrer Charlie prophezeit hatte, schon hinter ihr lag?
„Danke. Soll ich ihn gleich lesen, oder versuchen wir zuerst, aneinander vorbei zu kommen?“
„Wir kommen hier nicht aneinander vorbei, ohne in den Abgrund zu stürzen.“
„Wir könnten es ja versuchen. Passieren kann uns nichts. Wenn wir stürzen, wachen wir in der Wirklichkeit auf.“
„Ich habe keine Wirklichkeit, in der ich aufwachen könnte.“
„Vielleicht schaffen wir es, wenn ich mich hinlege und du über mich hinweg krabbelst.“
„Wir sollten uns nicht zu nahe kommen, deine Wirklichkeit könnte sich verändern. Es gibt keine andere Möglichkeit: du musst umkehren.“
Ich hatte es geahnt. Doch was würde geschehen, wenn ich mich weigerte, wenn ich einfach stur stehen bleibe würde? Würden wir beide hier auf dem schmalen Steg stehen, bis ich aufwachen würde? „Der Klügere gibt nach“, flüsterte eine Stimme in mir. Eine andere antwortete: „Du hast schon so oft in deinem Leben nachgegeben, es ist Zeit standhaft zu bleiben.“ Und eine dritte Stimme sagte: „Es gibt mehr als nur zwei Möglichkeiten. Gehe den dritten Weg.“
Den dritten Weg? Hier gab es doch nur ein Vorwärts und ein Zurück.
„Stoße sie in den Abgrund und der Weg ist frei!“, flüsterte die dritte Stimme in mir. Ich erschrak. Waren das meine Gedanken? Dachte ich wirklich daran, jemandem Schaden zuzufügen um einen eigenen Vorteil zu erlangen?
Gewiss, jeder Mensch trägt sowohl das Gute als auch das Böse in sich. Schmal ist der Grat auf dem wir wandern und manchmal braucht es nur einen dunklen Gedanken um sich für die falsche Seite zu entscheiden.
Doch dann hatte ich die erlösende Idee.
„Gehe deinen Weg, Maria. Ich danke dir.“ Dann stürzte ich mich vom Steg, Charlies Brief fest an mich gepresst. Der Sturz war langsamer, als ich erwartet hatte, er verlief fast in Zeitlupe.
„Danke für was?“ rief sie mir nach.
„Dafür, dass du mir den dritten Weg gezeigt hast“, murmelte ich und wachte auf.
Ich bin Maria nie wieder begegnet. Euer Traumperlentaucher
„The future belongs to those who believe in the beauty of their dreams.“ ~ Eleanor Roosevelt