Die goldenen Zeiten der Dissidenz

Die goldenen Zeiten der DissidenzSechzig Jahr, kein graues Haar an diesem Satz, den Wolfgang Koeppen Anfang der 50er Jahre in seinem Buch "Das Treibhaus" schrieb. Ob Eurorettung, Griechenlandhilfe, Bundespräsidentenwahl, Netzüberwachung oder Steuerpolitik - der Konsens der Gleitfähigen ist Grundgesetz der Tagespolitik geworden.
Geworden? Nicht ganz, denn sonst hätte Koeppen seinerzeit nicht beklagen können, was heute die "Tagesschau" bis zum Brechen füllt. Sie waren wohl schon immer da, die Rebellen der Staatsräson, die Frauen und Männer, die unter Freiheit verstehen, den Arm zu heben, wenn es die Fraktionsführung tut. Keinesfalls "Abweichler", ein Wort, das im Sprachgebrauch der Leitmedien nur deshalb nicht mehr übersetzt wird, weil "Dissident" bei älteren Lesern ungute Assoziationen an Zeiten weckt, als Dissidenten mit Bärten und Büchern unter dem Arm noch die Guten waren, die "Andersdenkenden", denen jeder Respekt gehörte, weil sie ihrem eigenen Kompass folgten und sei der auch von einem "Spiegel"-Redakteur in der Unterhose in die Ostberliner Chauseestraße geschmuggelt.
Hauptsache gegen die Herrschenden, Hauptsache gegen die Doktrin, dass von oben alles Gute kommt, dass die Leute an der Spitze alles besser wissen. Gedankenfreiheit!, forderten die Blätter, Kritik muss möglich sein! Hatte nicht die große, gläubige Stalinistin Rosa Luxemburg schon festgestellt: "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersenkenden"?
Es waren die goldenen Zeiten der Dissidenz. Jahre voll Meinungsstreit und unabgestimmter Wortmeldungen. Manchmal war Andersdenken nicht möglich, weil alle anders dachten.
Abweichen auf diese Art ist heute nicht mehr möglich. Abweichen ist Verrat, Abweichen, Andersdenken, die Parteilinie verlassen, das grenzt an Dolchstoßen, Meuchelmorden, Schändung der großen Idee Europa, die sein wird, wie sie die Vorderbänkler einst im "Hades-PLan" erdachten. Oder gar nicht.
Eine Verengung von denkbaren Denklinien. Ein Zusammenschnurren des Meinungsmainstream auf den Durchmesser eines Strohhalms, den nur noch sehr dünne Ideen zu passieren vermögen. Wolfgang Koeppen hat das Ende vom Lied im "Treibhaus" angestimmt, damals, vor 60 Jahren: "Da saßen sie nun und waren am Ende ihres Latein, die Günstlinge der Suffrage universel, die Jünger Montesquieus, und sie merkten gar nicht, dass sie Torenspiele arrangierten, dass von der Gewaltenteilung, die Montesquieu gefordert hatte, schon lange nicht mehr die Rede war. Die Mehrheit regierte. Die Mehrheit diktierte. Die Mehrheit siegte in einem zu. Der Bürger hatte ur noch zu wählen, unter welcher Diktatur er leben wolle. Die Politik des kleineren Übels, sie war das A und O aller Politik."

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