Die Globalisierung der Moral

Gedanken über “Die Globalisierung der Moral” – von Finn Job

Mit dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989, zerbrach die letzte große Hürde eines globalen Marktes, der -real nie existierende -Sozialismus. Dadurch wurde die letzte große und zuvor verriegelte Tür für die Erschließung neuer Märkte geöffnet, sodass Firmen und Konzerne eintreten konnten, um von nun an global zu agieren. Mit den wirt­schaftlichen Blockaden lösten sich zu Teilen auch die politischen, die kulturellen und – vor allem durch die endgültige Etablierung des Internets, um das Jahr 2000 -die kom­munikativen; wobei man eher davon sprechen muss, dass die westliche Einheitskultur, bestehend aus einem pathologischen Konsumbedürfnis und dem Arbeitswahn, der die­sem finanziell versucht, gerecht zu werden, andere Kulturen infizierte, zunichte machte und sich ihre bequem kompatiblen Aspekte zu Eigen machte, um sie scheinbar über­flüssig werden zu lassen. Die Rede ist von der Globalisierung, einem System, das un­kontrolliert um sich greift und unsere immer komplizierter werdende Welt oberflächlich kleiner werden lässt.

Gruselig_Monsanto

Nur eine der gruseligen Globalisierungsfolgen: Gen-Food und Chemie in den Lebensmitteln – Foto: © Dominic Titus #MarchAgainstMonsanto

Neue Entwicklungen, neue Rollen
Wie jeder Prozess ist auch dieser nicht allein positiv oder negativ zu bewerten, vielmehr ist er einfach da und verlangt von uns ein neues Überdenken unserer eigenen Rolle. So kann sich kein Mensch der Globalisierung gänzlich entziehen, da ein jeder durch sein bloßes Dasein in einem Kontext zu seinen Mitmenschen und seiner Umwelt steht und aufgrund der freien Märkte und den einfachen Kommunikationsmöglichkeiten des Inter­nets sich sogar die Grenzen zwischen den Bewohnern verschiedener Kontinente be­ginnen, aufzulösen. Auch, wenn wir im Alltag bloß selten über sie nachdenken, sind hierbei insbesondere die wirtschaftlichen Zusammenhänge von Bedeutung. In unserem wachstumsorientierten Wirtschaftssystem treibt der Wettbewerb überlebenswillige Un­ternehmen dazu an, ins Ausland zu expandieren und ihre Standorte dort anzusiedeln, wo die Produktion am kostengünstigsten ist. Aus Entwicklungsländern wurden so Schwellenländer und aus Industrienationen, zunächst -durch günstigere Konsumkondi­tionen -Profiteuere dessen, dann, um ihre eigene wirtschaftliche Bedeutung bangende Schuldenstaaten, die sich schrittweise von ihren Sozialsystemen verabschiedeten. Die Dialektik all dessen und die Auswirkungen des Finanzkapitalismus in diesem Zusam­menhang sollen an anderer Stelle diskutiert werden.

Tatsache ist, dass sich Großteile von Produktionsstandorten heute an Orten befinden, die wir nie gesehen haben. Über die Medien erfahren wir hin und wieder fragmenta­risch, wie desaströs die Arbeitsbedingungen an diesen Orten sein müssen. Insbeson­dere Textil-und Technologiehersteller geraten häufig in die Kritik, wenn es um un­verantwortliche Arbeitsbedingungen geht. Wenn in Bangladesh eine Fabrik zusammen­stürzt und hunderte Menschen sterben, wenn es einen neuen Kinderarbeitsskandal bei H&M und Co. gibt, oder wenn der Apple-Zulieferer Foxconn als einzige Maßnahme ge­gen die hohe Suizidrate unter seinen Mitarbeitern, die Fenster in den betriebseigenen Wohnheimen vergittert, ist der mediale Aufschrei sogar oftmals groß. Doch ändert sich unser Kaufverhalten aufgrund dessen grundlegend? – Wohl kaum.

Ungleichheit zwischen technischem und moralischem Fortschritt
Dies liegt weniger an einer moralischen Verrohung der westlichen Gesellschaft, als vielmehr an der sich für unser Moralempfinden einstellenden Abstraktion, handelt es sich bei dem Wesen, das es in einen ethischen Kontext zu setzen gilt, um ein räumlich weit von uns entferntes. Im Gegensatz zu vielen Theologen oder Philosophen wie zum Beispiel Immanuel Kant gehe ich nicht von einem moralischen Gesetz aus, dass sich als absolut und unveränderlich behauptet, sondern vielmehr von einer moralischen Intu­ition, die jedem gesunden Menschen innewohnt und ihn bei Handlungen, die auf Nächstenliebe beruhen, mit einem beruhigten Gewissen und gegebenenfalls sogar mit Glücksgefühlen belohnt.
Die Rede ist vom Altruismus, einem Prinzip, dass der Mensch­heit eigentlich ermöglichen sollte, in Frieden miteinander zu leben und den Einzelnen dazu bringt, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Da die Technik sich jedoch sehr viel schneller entwickelt hat, als der moralische Vers­tand der Menschen, der sich an eben diese beschriebene Intuition knüpft und die mora­lischen Empfindungen, Begriffen zuordnet und somit Ideale wie Barmherzigkeit, Ehr­lichkeit und Hilfsbereitschaft konstruiert, war es der kollektiven menschlichen Moralfä­higkeit bisher unmöglich, sich an die neuen Herausforderungen einer globalisierten Welt anzupassen.
Wir können mit diversen Mitteln große Strecken zurücklegen, in Sekun­denschnelle mit Personen auf dem gesamten Globus kommunizieren, mit Hilfe von Ma­schinen an allen erdenklichen Orten Waren produzieren und diese durch eine sich im­mer weiter perfektionierende Logistik von A nach B transportieren. Aus den Handlungen der Menschheit ist somit ein System hervorgegangen, das für die Mitglieder derselben schon derart unübersichtlich geworden ist, dass sie es vorziehen, sich diesem zwar nicht zu entziehen, es aber auch nicht zu überdenken, geschweige denn, es zu proble­matisieren.

Scheinbare Alternativlosigkeit
Auf diese Art ist es zur Normalität geworden, sich eine fatalistische Weltsicht anzueig­nen und Produkte aus chemisch verseuchten Fabriken zu kaufen, die von Kinderhän­den verarbeitet wurden, „weil man ja eh nichts ändern kann und es ja jeder macht“. Das Outsourcing von unangenehmen Arbeitsvorgängen zog leider offenbar keine Expansio­nen unserer Moralität nach sich, vermutlich aufgrund unserer entfremdeten Art zu le­ben. Unserem Bedürfnis nach Nächstenliebe ist es leichter nachzukommen, wenn wir mit dem betreffenden Objekt beziehungsweise Subjekt in direktem Kontakt stehen.
Den Wenigsten würde es einfallen, öffentliche Massenvergewaltigungen oder Terrorangriffe als „moralisch alternativlos“ zu bezeichnen. Doch zieht unser Konsumverhalten leider Konsequenzen mit sich, die in vielen Regionen der Erde Zustände hervorrufen, die aus altruistischer Perspektive nicht weniger verdorben sind. Nun könnte man natürlich auf den Gedanken kommen, dass der Sinn von moralischer Empfindsamkeit nicht in der moralischen Handlung an sich, sondern vielmehr im Zustand des Gewissens liegt. Auch ich bin der Ansicht, dass ein moralischer Wert niemals zu einem Selbstzweck, einem blind zu folgenden Dogma verkommen darf. Sollte man also das Sprichwort „Aus den Augen, aus dem Sinn“ zu seinem ethischen Wahlspruch ma­chen, sich die medialen Scheuklappen eines Springer-Konzerns aufsetzen, in seinen eigenen Kreisen moralische Werte leben und den Rest der Welt vergessen?
Ganz so einfach ist es nicht, da sich mit der wirtschaftlichen Globalisierung -wie oben bereits erwähnt -glücklicherweise auch eine politische, kulturelle und kommunikative Globali­sierung vollzog, die nach unserer Verantwortung schreit und es uns bei einem gewissen Mindestmaß an Bildung unmöglich macht, unsere Augen länger vor dem von uns selbst verursachten Leid zu verschließen. Es gibt hierzulande kaum mehr einen Menschen, der nicht um die Schrecken im Leben meist fernasiatischer Fabrikarbeiter und anderer Opfer der Globalisierung weiß. Es gibt sogar Anzeichen für ein kollektives schlechtes Gewissen. Nicht ohne Grund projizieren viele Discounter-Konsumenten ihren Selbst­hass unbewusst auf die sogenannten „Gutmenschen“ und „Ökofaschisten“. Nicht ohne Grund machen sich Menschen, die sich bewusster mit den moralischen Folgen ihres Lebensstils beschäftigen bei anderen unbeliebt. Die Suche nach einem Sündenbock entwickelt sich immer aus einer eigenen Unzufriedenheit. Wir spüren unsere moralische Verdorbenheit, empfinden Schuldgefühle beim Einkaufen und versuchen verzweifelt, unsere innere Stimme mit immer mehr Konsum zu ersticken. Auf die Dauer wird dies nicht funktionieren.

Bewusster Konsum Dem Ungleichgewicht zwischen unserem altruistischen Bedürfnis und unserem Kauf­verhalten ist bloß durch eine Globalisierung der Moral abzuhelfen. Wir müssen lernen, dass Konsum nicht nur eine wirtschaftliche Handlung, sondern auch eine moralische und somit politische Entscheidung beinhaltet. Wir müssen uns damit ab.nden, dass wir in einem Zusammenhang mit all unseren Lebewesen und unserer Umwelt stehen und nicht bloß unsere unmittelbare Nähe in ihrer Existenz beein.ussen. Es gibt schon Tendenzen, die erhoffen lassen, dass eines Tages mit einer globalisierten Moralfähigkeit bei einer gesellschaftlichen Mehrheit zu rechnen sein wird. Fair Trade ist in Mode und junge Menschen, die es sich leisten können, greifen immer häufiger zu Lebensmitteln aus ökologischer und regionaler Landwirtschaft.

Damit bewusstes Ein­kaufen jedoch nicht vor allem ein Lifestyle-Element der Oberklasse bleibt, muss die Po­litik tätig werden.

Viele Arbeitslose und im Niedriglohnsektor anzusiedelnde Arbeitende haben schlichtweg nicht die finanziellen Möglichkeiten, um sich ein Leben zu leisten, dass sich nicht konträr zu ihren eigenen Werten verhält. Der Staat zwingt Millionen von Menschen durch seine menschenrechtlich fragwürdigen Sozialsysteme zum Kauf von Produkten, die unter menschenrechtlich noch sehr viel fragwürdigeren Umständen pro­duziert wurden. Es muss jedem Menschen dieser Gesellschaft -egal ob und inwiefern er arbeitet -ermöglicht werden, einzukaufen, ohne dabei einen Verrat am Humanismus zu begehen. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens und bessere internationale Kontrollen von Unternehmen wären große Schritte in die richtige Rich­tung, große Schritte für die Globalisierung der Moral.

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Quellen – weiterführende Links
Foto: Dominic Titus, http://action-freedom.de/ vom #MarchAgainstMonsanto #MAM am 12.10.2013 in München


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