Die Gleichsetzung von Antisemitismus und Islamophobie: Warum alle die "Juden von heute" sein wollenvon Thomas Baader
Oft behauptet, aber trotzdem falsch: Der Antisemitismus und die sogenannte Islamophobie sind nicht dasselbe. Wenn Muslime beanspruchen, "die Juden von heute" zu sein, dann greifen sie damit auf ein Argumentationsmuster zurück, das bereits bei Scientology und NPD Verwendung findet.
Auch bei Scientology kennt man Opferneid. 1996 hieß es in einem "Open Letter to Helmt Kohl" wörtlich: "In the 1930s, it was the Jews. Today it is the Scientologists." Unterschrieben hatten unter anderem Dustin Hoffman, Larry King, Goldie Hawn und Oliver Stone. Auch die NPD hat sich bereits öfters einer "Damals die Juden, heute wir"-Rhetorik bemächtigt - womit sie immerhin (vermutlich ohne es zu merken oder zun wollen) den Holocaust als historisches Faktum anerkannt hat.
NPD und Scientology - das ist die Gesellschaft, in die sich deutsche Islamverbände begeben, wenn sie nun ebenfalls darauf drängen, als "Juden von heute" anerkannt zu werden. Naheliegend wäre hingegen die Erkenntnis, dass die "Juden von heute" nach wie vor die Juden sind. Da die Juden von einst noch längst nicht abgetreten sind, besteht auch kein Bedarf, Nachfolger zu bestimmen. Dennoch wird so getan, als ob er Antisemitismus bereits vom Antlitz der Erde getilgt oder aus den Annalen der Geschichte verschwunden sei (no pun intended) und nun doch endlich irgendetwas Neues an seine Stelle treten müsste. Und siehe da, es finden sich in ausreichender Zahl solche, die nun rufen: "Wir sind es. Uns geht's doch genauso schlimm."
Bei nüchterner Betrachtung lassen sich allerdings einige Unterschiede finden und einige Merkwürdigkeiten feststellen:
- Der moderne Antisemitismus (nicht der alte, religiös geprägte Antijudaismus) war vor allem eines: antimodern. Juden wurden für "Entartungen" in Kunst und Kultur verantwortlich gemacht. Mit der Ablehnung des Judentums ging eines Ablehnung der modernen Lebens, des Innovativen und Kreativen, des Neuen und der Veränderung einher. Im Gegensatz dazu stehen bei der Auseinandersetzung mit dem Islam, die je nach Wesen des Kritikers sachlich und wohlbegründet, aber eben natürlich auch ressentimentgeladen und pauschalisierend daherkommen kann, traditionalistische, rückwärtsgewandte Aspekte im Vordergrund. Der Islam wird mit Sicherheit nicht deshalb kritisiert, weil er "zu modern" wäre.
- Die Vorwürfe gegen das Judentum waren frei erfunden: ritueller Knabenmord, Brunnenvergiftung, Weltverschwörung, parasitäre Lebensweise. Die Vorwürfe, die im Zusammenhang mit dem Islam auftauchen, betreffen zwar natürlich eine sehr große Gruppe der Muslime überhaupt nicht, sind aber nichtsdestoweniger reale Phänomene: Terrorismus, Kopftuchzwang, Ehrenmord, Intoleranz gegenüber Minderheiten, Zwangsheirat. Es ist falsch, pauschal alle Muslime mit diesem Problemen in Verbindung zu bringen, aber ebenso ist es richtig festzustellen, dass diese Probleme in der Tat etwas mit dem Islam zu tun haben und nicht wenige Angehörige dieser Religionsgemeinschaft von ihnen betroffen sind.
- Träger des Antisemitismus sind überproportional in genau jener Bevölkerungsgruppe zu finden, die ausschließlich als Opfer wahrgenommen werden will. Ist es nicht ein Widerspruch in sich, dass die selbsternannten "Juden von heute" besonders viele Menschen in ihren Reihen haben, die die "Juden vom damals" hassen?
In der Tat gibt es in Teilen der Gesellschaft eine bestimmte Form von Muslimfeindlichkeit, also eine vehemente Ablehnung der aus muslimischen Ländern stammenden Menschen. Sie ist aber in ihrer Ausgeprägtheit in keiner Weise mit dem heute noch vorhandenen Antisemitismus zu vergleichen, und auch darf man sie keineswegs mit einer kritischen Haltung gegenüber dem politischen Islam gleichsetzen. Muslimfeindlichkeit ist ein reales Problem, "Islamophobie" ein von den Verbänden in die Welt gesetzter Popanz. Die Gleichsetzung mit dem Antisemitismus verbietet sich allerdings in beiden Fällen.