Die Gesundheit unserer Kinder

Die Gesundheit unserer Kinder

 

Jedes zweite Kind hat gesundheitliche Beschwerden ohne organische Ursache. Jedes dritte Kind gilt als verhaltensauffällig und/oder psychisch krank. Depression und Burnout haben Einzug gehalten in die Kinderzimmer. Was passiert da Dr. med. Petra Wenzel nach den Ursachen und Folgen gefragt.
 

Momentaufnahmen
Er zieht sich immer mehr zurück. Ist selten draußen beim Spielen mit Freunden. Nimmt keine Mahlzeiten zu sich, sondern ernährt sich mit Chips und Fertigsnacks. Die Lehrer halten ihn für seltsam. Kontakt mit anderen Menschen ist ihm unwichtig. Er spielt lieber am Computer oder surft im Internet. Hans ist elf Jahre alt.

Lisa ist acht Jahre alt. Sie klagt ständig über Bauschmerzen und Übelkeit. Zittert morgens so, dass sie kaum den Kakaobecher halten kann. Bringt beim Essen keinen Bissen herunter. Kann nicht schlafen. Wenn doch, schrecken Albträume sie auf.

Gemeinschaftliche Lehrerfortbildung für Kollegen unterschiedlichster Schulformen. Jeder einzelne der anwesenden 25 Lehrkräfte berichtet von Kindern mit psychosomatischen Beschwerden, Verhaltensauffälligkeiten und seelischen Erkrankungen. Nervenzusammenbrüche der Schüler seien inzwischen eine Situation, der sie sich regelmäßig stellen müssen.

Moderne Zeiten
Die Welt, in der wir leben, erfährt einen massiven Wandel. Der zweifellos sehr viele Vorteile bringt. Der aber auch Gefahren birgt für unseren Organismus, dessen Bedürfnisse und Reaktionen noch im Urzeitmodus getaktet sind. Insbesondere die Kinder als sich entwickelnde Organismen mit einem reifenden Gehirn geraten schnell in einen Zustand der dauerhaften Überforderung mit massiven körperlichen und seelischen Folgen. Dieser Burnout im Kinderzimmer wird oft zu spät erkannt.
Die Ursachen sind vielfältig: Reizüberflutung und Informations-Tsunami, ständige Erreichbarkeit, zunehmender Leistungsdruck und Wettbewerb, Beschleunigung aller Lebensbereiche, Verkürzung der Schulzeit – die Aufzählung ließe sich unendlich fortsetzen. Das Zusammenleben verlagert sich zunehmend in virtuelle Welten und Netzwerke.

Medien als Jekyll und Hyde
Medien sind ein fantastische Erfindung. Dank PC und Internet wird die zuvor umständliche Beschaffung und Weitergabe von Informationen einfacher und schneller. Abläufe werden transparenter, Abstimmungen über große Entfernungen zum Kinderspiel. Gleichzeitig ist der Nutzer der Technik nun immer und überall erreichbar, auffindbar. Kinder lernen, die Medien zu nutzen, jedoch nichts über deren Gefahren.

Schleiereulen vor dem Bildschirm
Der bekannte deutsche Gehirnforscher Prof. Spitzer schlägt ein Gedankenexperiment vor. Stellen Sie sich vor, Schleiereuleneltern würden ihren Jungen einen Computer ins Nest stellen. Die Jungen lernen, die Tastatur zu bedienen, hören Töne aus dem Lautsprecher und sehen Bilder auf dem Bildschirm. Dass die Maus auf dem Bildschirm ihr Abendessen ist, lernen sie nicht. Orientierung im Raum und das Fliegen lernen sie leider nicht. Dumm für Eulen – sie sind nicht überlebensfähig. Leider ist das Eulenbeispiel Realität für viele Menschenkinder.

Sinn-lose virtuelle Welten
Spielen ist ein menschliches Bedürfnis. Spielerisch erschließen Kinder ihre Welt. Sie lernen, ihren Körper zu beherrschen, sich in ihrem sozialen Umfeld zu bewegen. Sie erleben Gefühle. Lernen erfolgt lebenslang und mit allen Sinnen. Das Lernen und Spielen am Computer ist eher „sinn-los“, da bestenfalls die Sinne für das Hören und Sehen angesprochen werden. Der Bezug zur Realität geht verloren.

Wissenschaftler warnen: Ein Zuviel Beschäftigung mit dem Computer und mit dem Internet lässt Sinne verkümmern. Soziale Kontakte, die ja auch schwierig und herausfordernd sein können, werden vernachlässigt. Im Internet und PC-Spiel werden unbequeme Kontakte ausgeschaltet – auf welche Art auch immer. Man wendet sich dem nächsten zu – es gibt ja genug. Wärme, Zuwendung und Geborgenheit fehlen. Virtuelle Fehler werden rückgängig gemacht – mittels reset. Im richtigen Leben geht das nicht.

Gehirn unter Volldampf
Beim Spiel am PC muss nicht abgewartet werden – Aktion und Reaktion erfolgen in Bruchteilen von Sekunden. Damit auch die Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn – auf Knopfdruck. Das macht Spaß – und abhängig. Abwarten und die Auseinandersetzung mit dem richtigen Leben wird immer schwieriger, da es ja nicht mehr geübt wird. Wozu sich mit echten Menschen auseinandersetzen?

Die Menge an Informationen und die Geschwindigkeit, mit der Bilder und Situationen auf das Gehirn einströmen, wird immer schneller. Eine Zeitlang geht das gut. Irgendwann ist der Arbeitsspeicher des Gehirns allein durch die Datenmenge überfordert.

Spiel- und Filmsituationen sind zu über 90% Stress- und Gefahren-Situationen. Oder in denen rasende Geschwindigkeit gefragt ist, um Punkte zu ergattern. Unser Urzeitkörper schüttet bei Gefahr Stresshormone aus. Diese befähigen zu Kampf oder Flucht, also zu körperlicher Aktivität. Nur so lassen sich die Stresshormone abbauen. Viele Kinder bewegen sich aber kaum noch.

Du bist, was Du isst
Die Ernährung wird immer mehr zur Nebensache, ist industrialisiert. Praktisch vielleicht, aber bar jeglicher Vitalstoffe. Doch genau die benötigt der Organismus, um den Zeiten höherer Beanspruchung und Belastung in körperlicher und psychischer Topform begegnen zu können. Aber viele Kinder lernen keine Selbstfürsorge. Lernen nicht, wie sie sich ernähren sollen. In einem Schulaufsatz hieß es: Ein Pfirsich ist ein Apfel – mit einem Teppich drauf. 20% aller Kinder essen überhaupt kein Obst und Gemüse. Teilweise lernen sie in Kliniken, dass man eine Möhre oder einen Apfel essen kann.

Artgerechte Kinderhaltung
Die Folge? Körperliche Schäden, Depressionen und Burnout – genau wie bei Erwachsenen. Eine Suche bei Google mit dem Stichwort zur Spielsucht bei Kindern ergibt 1.8 Millionen Ergebnisse, „Burnout bei Kindern“ ergibt 3.5 Millionen Beiträge. Das sind erschreckenden Zahlen – die Mut machen sollten.

Mut, sich wieder intensiv mit den Kindern zu beschäftigen. Mut, um den Verlockungen der virtuellen Welt durch eine sinn-volle Alternative in Form eines spannenden Lebens im Echtzeit-Modus Konkurrenz zu machen. Mut, sich gemeinsam den Schwierigkeiten, aber auch den Freuden im echten Leben zu stellen! Mut, die Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen. Ihnen gesunde Ernährung mit Vitalstoffen, ausreichend Bewegung, Ruhepausen, Spielen und Lachen, Zuwendung und echte Gemeinschaft ermöglichen.

Es geht um das Leben unserer Kinder – und damit auch um das Leben jedes Einzelnen!



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