Man hat mich vorgewarnt, als ich noch in Deutschland war: „In Indien, da fängst du dir mit Sicherheit irgendwelche Krankheiten ein.“ Leider musste dieser Satz nach dem ersten Monat Indien recht behalten.Seit etwa 10 Tagen schlage ich mich jetzt mit einer Entzündung an der Zehe des rechten Fußes herum – genauer gesagt am Nagel der Zehe. Wie man sich vorstellen kann und wie manch einer vielleicht sogar aus eigener Erfahrung nachzuempfinden weiß, handelt es sich dabei um eine sehr unangenehme und ungünstige Stelle für Infektionen.
Es begann mit alles mit einer leichten Rötung direkt neben dem Zehennagel. Am Anfang hab ich sie kaum wahrgenommen und dem entsprechend aus medizinischer Hinsicht eher ignoriert. Ich dachte, es wäre mal wieder eine der üblichen kleinen Hautirritationen. Doch mit jedem Tag hat sich die Rötung mehr und mehr in eine Schwellung verwandelt. Ich begann ein bisschen Wund- und Heilsalbe darauf zu schmiere und dachte mir, dass am nächsten Morgen wieder alles normal sein würde. Irgendwann, ich schätze so am vierten Tag begann auch eine Flüssigkeit an der Seite des Zehs auszutreten. Das war nicht so lecker und hat die ersten Spekulationen auf eine Nagelbettentzündung ausgelöst. Panik! Zumal doch im Oktober die Schulferien anfangen und ich eine kleine Reise mit anderen Volontären geplant habe.Ich musste die ganze Zeit an Kevin denken, mit dem ich zusammen 2008/09 in Honduras gewesen war. Er hatte so etwas durchmachen müssen und wurde schließlich sogar im Krankenhaus in Lima (Cortes) operiert. Selbst in Deutschland hatte er noch damit zu kämpfen. Ich sollte doch nicht gleich zu Beginn des Indien Abenteuers auf diese Weise außer Gefecht gesetzt werden. Nein, das wäre ja ein Alptraum.Ich versuchte alles zu unternehmen, damit es nicht zu diesem kam. Erst einmal ließ ich Divia meinen „goßen Onkel“ inspizieren. Sie ist eine der zwei Frauen, die immer das Essen für alle zubereiten und sie verarztet auch gelegentlich die kleinen Wehwehchen der Kinder. Als ich zu ihr kam, reinigte sie meinen Zeh erst einmal mit einem starken „Antiseption“, einer Desinfektionsflüssigkeit. Alles schäumte plötzlich. Es war das Zeichen dafür, das etwas abgetötet wurde. Nach dem das Ganze mit Watte trocken getupft war, kam eine Salbe auf die entzündete Stelle. Nun hieß es aufpassen, dass kein Wasser und kein Dreck wieder das ganze verunreinigt. Zwei- bis dreimal täglich säuberten wir von nun an den Zeh und cremten ihn ein. Doch irgendwie passierte nicht viel. Im Gegenteil, die Schwellung nahm zu, jeden morgen sammelte sich mehr Eiter am Zeh und es fing außerdem noch an zu schmerzen. Ab diesen Zeitpunkt humpelte ich nur noch mit einer Schlappe auf dem Gelände herum. Die zweite Latsche hätte mit Druck beim Gehen auf den Zeh gepresst und den Schmerz verstärkt. Die Kinder fanden es lustig, wie ich sogar manchmal auf einem Bein über den Schulhof hüpfte, um meinen Fuß trotz großer Monsunregenfützen trocken zu halten. Doch die Kinder nahmen, mein Zehenproblem nicht nur mit Humor. Fast jeder fragte mich, was mir denn passiert sei und entgegnete mir sein Mitgefühl.Ein gute Frage. Wahrscheinlich ist beim zu langen Spielen im Regen meine Haut am Fuß so runzelig und weich geworden, dass das Schlammwasser passenderweise auch leichtes Spiel hatte in die Lücke zwischen Nagel und Haut einzudringen. Anders kann ich mir das nicht erklären.Neben der Salbe probierte Divia auch noch eine lokale und eher traditionelle Methode an, um meiner Entzündung auf den Leib zu rücken. Erst wurde eine gekrümmte Klinge, die sonst um Kokosnuss öffnen verwendet wird, ins Feuer gehalten und erhitzt. Dann wurde Speiseöl auf ihr heiß gemacht. Zwei, drei Tropfen sollten dann ausreichen, um mich buchstäblich wieder auf die Beine zu bringen. Doch irgendwie war der Erfolg nur minderprächtig. Ich habe keine Veränderung wahrgenommen. Nach der üblichen Reinigung tauschten wir die Creme gegen eine starke Iodpaste ein. Als der Schmerz und die Schwellung trotzdem weiter zunahmen, entschied ich mich dafür den Arzt aufzusuchen. Gemeinsam mit Franz ging es nach Beiloor ins Krankenhaus. Der Allgemeinmediziner verschaffte sich schnell einen Überblick und kam zu dem Entschluss mir ein paar Schmerztabletten und eine antibiotische Salbe zu geben. Ein Antibiotikum klang ja auf jeden Fall schon mal vielversprechender als ein heißer Öltropfen. Doch nach zwei Tagen Anwendung der neuen Medikamente streikte so langsam meine Haut am Zeh. Durch die ganzen Salben, Tinkturen und nun auch noch dem Antibiotikum war sie so gereizt und empfindlich geworden, dass sie mit der Schwellung aufriss. Kein schöner Anblick. Diese Tatsache verursachte eher noch mehr Schmerz, als ich so wie so schon empfand. Da ich vermutete, dass irgendwo tief unter der Haut der Infektionsherd sein musste, drückte ich nun mehr mit einer gewissen Gleichgültigkeit am Zeh herum. Dabei entdeckte ich Eiter, der sich bereits unter dem Nagel angesammelt hatte. Meine Zehangelegenheit wurde immer akuter und heftiger. Da reichten auch keine Salben und heißer Öltropfen mehr.Am 15. September, zwei Tage vor meinem 20. Geburtstag machte ich mich morgens mit Franz auf den Weg nach Manipal. Das Schlaraffenland in Sachen medizinische Versorgung. Neben dem großen Campus für internationale Medizinstudenten gibt es natürlich auch gute Krankenhäuser. Eineinhalb Stunden ist Manipal etwa von Ranganpalke entfernt. Doch bei den überfüllten Bussen und einer Fahrt im Stehen, kommt einem das schon mal schnell doppelt so lange vor, wenn man dazu noch die Zehenschmerzen bedenkt. Zum Glück hielt der Bus direkt vor dem Krankenhaus, wo ich hin wollte. Es war ganz ordentlich. Natürlich entsprach es in wahrscheinlich keinerlei Hinsicht westlichen Standards, aber das war ja auch gefordert. Hauptsache es erfüllte seinen Zweck. Und davon waren morgens um 8:30 Uhr geschätzte 300 Inder überzeugt - Also warum nicht auch ich. Wie auch in Deutschland hieß es bei so vielen Menschen erst einmal warten und anstehen. Ich musste mich registrieren und wurde dann in die „Surgery“-Abteilung weitergeleitet. Da mein medizinischer Englischwortschatz nicht ganz so groß ist und ich noch ein großer Fan von „Grace Anatomy“ war, musste ich mich erst mal per Handy bei Morten, einem anderen Volunteer in Kundapur (Ecotourism-Project), erkundigen, was das „Surgery“ denn überhaupt bedeutet. Bevor ich sonst irgendwo lande und nicht weiß, wie um mich geschieht, wollte ich lieber noch mal auf Nummer sicher gehen. Es handelte sich um die richtige Abteilung. Nach einer kurzen Wartezeit konnte ich dem Arzt hoffnungsvoll meinen prächtigen Zeh präsentieren. Gespannt wartete ich auf seinen Kommentar, doch als erstes interessierte den Arzt vor allem eines: „Wer ich Europäer bin und was mich so nach Indien führt“. Nach dem das mit dem Volunteer-Service erklärt war, konnte es mit dem eigentlichen Thema beginnen. Der Doktor war der Meinung die Hälfte des Zehennagels müsste weggeschnitten werden, um alles ordentlich zu säubern und den Herd der Entzündung im Innern zu eliminieren. Eine Unterschrift … und so geschah es auch. Zuerst musste ich noch die Medikamente und den Special-Verband, den mir der Arzt notiert hatte, in der Apotheke im Untergeschoss besorgen, doch dann ging die OP los. Der Fuß wurde mit Iod gesäubert und ich bekam einen ordentlichen Piekser in die Zehe. Der war nicht ohne. Das war die erste Spritze für die örtliche Betäubung. Die anderen Nadelstiche am Fuß spürte ich kaum noch. Als alles ganz taub war, nahm er die Schere in die Hand und es wurde ernst. Das rechte Drittel vom Nagel wurde entfernt und ich merkte nichts. Nur das Blut sah ich heraus strömen. Doch auch irgendwann lies das nach und alles wurde mit einer klaren Flüssigkeit gesäubert. Ich bekam einen Verband und fertig war die Operation. Mit meinem tauben Zeh und dem gloriosen Gefühl der Hoffnung auf baldige Genesung, welches ich in mir breit machte, humpelte ich aus den Krankenhaus. Zweimal verlief ich mich noch im Gebäudekomplex, doch dann sah ich im doppelten Sinne Licht am Ende des Tunnels!