Noch ein paar solcher Siege, und Cem Özdemir muss tatsächlich wieder als Krawattenmodell gehen. Zwar versucht der Obergrüne noch tapfer, die Niederlage des Widerstandes gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 als Sieg der Demokratie an sich zu verkaufen. Doch nicht zu übersehen ist, dass im Schwabenland erstmals eine lautstarke Minderheit öffentlich von der ansonsten meist schweigenden Mehrheit in die Grenzen gewiesen worden ist.
Ein Rückschritt nach vorn in einer Zeit, in der sich immer öfter kleine Zirkel und Einzelpersonen die Deutungshoheit darüber anmaßen, was die Mehrheit will. Ob beim Stuttgarter Bahnhof oder bei einer halleschen Currybude, beim Berliner Flughafen oder einer Schweinemastanlage irgendwo auf dem Land, beim Autobahn- oder Brückenbau, sogar bei der Ansiedlung von kriminellen, die ihre Haftstrafe verbüst haben – wo Menschen früher bereit waren, Entscheidungen auch zu akzeptieren, wenn die zum eigenen Nachteil waren, hat es sich in den Zeiten von Facebook, Twitter und Leserkommentar eingebürgert, dem eigenen Partikularinteresse in jedem Fall den Vorzug vor den Anliegen der Allgemeinheit zu geben.
Die Generation Ich marschiert, die gern Strom verbraucht, aber keinen aus Atom- oder Braunkohle-Kraftwerken oder auch Windenergieanlagen vor der Haustür. Weiter weg ist gut, nur die Überlandleitungen, die sollen am besten noch weg. Derselben Übermoral folgt der Volkszorn in allen Belangen: In den Urlaub fliegen gern, dann ist man ja auch nicht zu Hause und muss den Lärm der startenden Maschinen nicht ertragen. Ist man aber zu Hause, sollen die Maschinen besser nicht lärmen. Man kann da ja, im Unterschied zu Leuten, die direkt an den gewohnheitsmäßig flüsterleisen Eisenbahn- oder Straßenbahntrassen wohnen, gar nicht schlafen!
Solch Widerstand ist anerkannt. „Eine Handvoll Parteileute, ein paar Popstars und Schauspieler, einige "Aktivisten" und Verbandssprecher besetzen die Mikrofone - und werden ganz vorn in die Nachrichten gehievt“, hieß es vor Monaten hier beim zivilen Widerstandsnest PPQ. Wie die Mehrheiten wirklich sind, ist uninteressant: Recht hat, wer am lautesten mobilisiert, die meisten Twitterfeeds produziert, die größte Facebooktruppe zusammentrommelt.
Richtet sich der Protest gegen das Richtige, kommt der Applaus von allen Seiten. Infrastrukturausbau, Modernisierung, Erneuerung – wer dagegen opponiert, darf zuversichtlich mit einem moralischen Anfangsvorschuss rechnen. Volkes Zorn ist längst zum Wert ansich geworden: Auch wenn das Anliegen fragwürdig ist, so wird ihm doch Berechtigung zugesprochen, weil schon aus der öffentlich behaupteten Angst der Betroffenen vor Autos, Flugzeugen, Strommasten, Bahnhöfen, Rinderställen oder ehemaligen Strafgefangenen deren Recht spreche, Abhilfe verlangen zu können und bekommen zu dürfen.
Das St.-Florians-Prinzip als Grundgesetz eines Gemeinwesens. „Heiliger Sankt Florian / Verschon' mein Haus / Zünd' andre an!“ Lasst die Autos woanders fahren, die Flugzeuge woanders starten, den Strom woanders erzeugt werden und ihn woanders entlangfließen. Lasst das Fleisch weiter aus dem Kühlschrank kommen und die Bahnhöfe für alle Zeiten bleiben, wie Hitler sie bauen ließ. Besitzstandswahrung ist der wahre Fortschritt der Besser-Bürger. Direkte Demokratie diesmal noch ein Mittel dagegen. Doch spätestens, wenn Cem Özdemir die Frösche fragen muss, ob er ihren Sumpf trockenlegen darf, wird aus der schweigenden eine lautstarke Mehrheit. Und aus der direkten Demokratie ein Schuss ins Knie.
Stuttgart 21: Auf dem roten Schlichtungsteppich
Geißler kämpft: Totaler Krieg in Stuttgart
Ein Rückschritt nach vorn in einer Zeit, in der sich immer öfter kleine Zirkel und Einzelpersonen die Deutungshoheit darüber anmaßen, was die Mehrheit will. Ob beim Stuttgarter Bahnhof oder bei einer halleschen Currybude, beim Berliner Flughafen oder einer Schweinemastanlage irgendwo auf dem Land, beim Autobahn- oder Brückenbau, sogar bei der Ansiedlung von kriminellen, die ihre Haftstrafe verbüst haben – wo Menschen früher bereit waren, Entscheidungen auch zu akzeptieren, wenn die zum eigenen Nachteil waren, hat es sich in den Zeiten von Facebook, Twitter und Leserkommentar eingebürgert, dem eigenen Partikularinteresse in jedem Fall den Vorzug vor den Anliegen der Allgemeinheit zu geben.
Die Generation Ich marschiert, die gern Strom verbraucht, aber keinen aus Atom- oder Braunkohle-Kraftwerken oder auch Windenergieanlagen vor der Haustür. Weiter weg ist gut, nur die Überlandleitungen, die sollen am besten noch weg. Derselben Übermoral folgt der Volkszorn in allen Belangen: In den Urlaub fliegen gern, dann ist man ja auch nicht zu Hause und muss den Lärm der startenden Maschinen nicht ertragen. Ist man aber zu Hause, sollen die Maschinen besser nicht lärmen. Man kann da ja, im Unterschied zu Leuten, die direkt an den gewohnheitsmäßig flüsterleisen Eisenbahn- oder Straßenbahntrassen wohnen, gar nicht schlafen!
Solch Widerstand ist anerkannt. „Eine Handvoll Parteileute, ein paar Popstars und Schauspieler, einige "Aktivisten" und Verbandssprecher besetzen die Mikrofone - und werden ganz vorn in die Nachrichten gehievt“, hieß es vor Monaten hier beim zivilen Widerstandsnest PPQ. Wie die Mehrheiten wirklich sind, ist uninteressant: Recht hat, wer am lautesten mobilisiert, die meisten Twitterfeeds produziert, die größte Facebooktruppe zusammentrommelt.
Richtet sich der Protest gegen das Richtige, kommt der Applaus von allen Seiten. Infrastrukturausbau, Modernisierung, Erneuerung – wer dagegen opponiert, darf zuversichtlich mit einem moralischen Anfangsvorschuss rechnen. Volkes Zorn ist längst zum Wert ansich geworden: Auch wenn das Anliegen fragwürdig ist, so wird ihm doch Berechtigung zugesprochen, weil schon aus der öffentlich behaupteten Angst der Betroffenen vor Autos, Flugzeugen, Strommasten, Bahnhöfen, Rinderställen oder ehemaligen Strafgefangenen deren Recht spreche, Abhilfe verlangen zu können und bekommen zu dürfen.
Das St.-Florians-Prinzip als Grundgesetz eines Gemeinwesens. „Heiliger Sankt Florian / Verschon' mein Haus / Zünd' andre an!“ Lasst die Autos woanders fahren, die Flugzeuge woanders starten, den Strom woanders erzeugt werden und ihn woanders entlangfließen. Lasst das Fleisch weiter aus dem Kühlschrank kommen und die Bahnhöfe für alle Zeiten bleiben, wie Hitler sie bauen ließ. Besitzstandswahrung ist der wahre Fortschritt der Besser-Bürger. Direkte Demokratie diesmal noch ein Mittel dagegen. Doch spätestens, wenn Cem Özdemir die Frösche fragen muss, ob er ihren Sumpf trockenlegen darf, wird aus der schweigenden eine lautstarke Mehrheit. Und aus der direkten Demokratie ein Schuss ins Knie.
Stuttgart 21: Auf dem roten Schlichtungsteppich
Geißler kämpft: Totaler Krieg in Stuttgart