Die geheime Stärke der Alten!

Jene, die Großeltern aus der Generation haben, die vor 1940 geboren wurden, kennen oft das Phänomen: Oma und Opa waren trotz Krieg, Hunger und Vertreibung oft erstaunlich mutige und lebensfrohe Charaktere. Was ist ihr Geheimnis?

Turbulenzen

Nehmen wir als Beispiel Cäcilie, geboren 1920 in Köln. Als sie auf die Welt kam, war der erste Weltkrieg gerade vorbei und der Kaiser verjagt worden. Sie erlebte als Kind die Hyperinflation der 20er Jahre, eine Weltwirtschaftskrise und politisches Chaos.

Als sie 13 war übernahmen die Nazis unter Hitler die Macht. Ihr Vater wurde verhaftet, weil er Sozialdemokrat war. Mit 19 erlebte sie denn Beginn des zweiten Weltkrieges, 1940 heiratete sie und wurde Mutter von zwei Kindern.

Ihr Mann ging 1944 an der Front verloren, Köln wurde plattgebombt und sie stand mit 25 mittel- und obdachlos mit zwei kleinen Kindern da, von ihrem Mann keine Spur. Er sei sicher gefallen, tot, wurde ihr gesagt.

Sie überlebte den Hungerwinter 1946 und erkämpfte sich und ihren Kindern eine Unterkunft und einen Job bei den Besatzungstruppen. 1948 verliebte sie sich in einen britischen Soldaten und wurde abermals schwanger. Als sie im achten Monat war, stand ihr Ehemann vor der Tür. Er hatte doch überlebt, als Kriegsgefangener.

Dramen des Lebens

Danach folgten Beziehungsdramen, finanzielle Sorgen, Kummer mit dem Sohn, ein drogenabhängiger Enkel, Rheuma, zwei kleine Schlaganfälle, Arbeitslosigkeit kurz vor der Rente und so weiter und so fort.

Cäcilie ist heute 94 und lebt noch in ihrer eigenen Wohnung. Seit letztem Jahr ist sie jetzt fast blind, aber irgendwie kommt sie trotzdem zurecht. Besucht man sie, strahlt einem eine lebensfrohe alte Dame entgegen, kocht Kaffee und erzählt davon, wie sie ihre Nachbarin wieder einmal beim Skat bezwungen hat.

Wie machen die das?

Viele von uns kennen Menschen wie Cäcilie und man fragt sich: Wo hat sie ihre Traumata versteckt? Wie hat sie diesen ganzen Irrsinn in ihrem Leben nur so heil überlebt? Soll das heißen, wir stellen uns heute alle nur zu blöd an, sind verweichlicht und rufen bei jeder banalen Rempelei des Lebens sofort „Aua, ich glaub‘ ich hab ´nen Burnout!“?

Wenn man sich der Frage von der Seiten der Wissenschaft nähert, dann lautet die Antwort im ganz Groben: Nein. Jeder bringt andere Anlagen mit. Oder, wie Cäcilie sagen würde, „jeder Jeck ist anders“.

Resilienz

So wie wir alle verschieden starke Gelenke, Knochen, Herzen und Mägen haben, haben wir auch alle verschieden ausgeprägte psychische Widerstandskräfte. Man nennt das Resilienz und es ist die Fähigkeit eines Systems, mit Veränderungen und Belastungen umgehen zu können. Das Gegenteil von Resilienz nennt sich Vulnerabilität.

Der Begriff Resilienz wurde von einem Jack Block in die Psychologie eingeführt und man weiß inzwischen sehr genau, dass ein großer Teil der psychischen Resilienz angeboren ist. Wobei es aber keine „Stärke“ ist, besonders resilient zu sein oder gar eine Schwäche, wenn man besonders verwundbar ist.

Denn beides hat auch Kehrseiten in vielerlei Hinsicht. So wie ein Mensch mit einem überstarken Immunsystem auch eher zu autoimmunen Krankheiten und Allergien neigt, so hat auch ein Mensch mit einer großen Resilienz gegenläufige Risiken, wie etwa z.B. Probleme mit der Empathie, oder mit dem emotionalen Erleben oder dem Genuss von sinnlichen Erfahrungen. Alles hat zwei Seiten, das gilt auch hier.

Psychische Stärke kann man trainieren

Es gibt aber noch einen anderen Grund, weshalb die allgemeine psychische Resilienz von Generation zu Generation etwas verschieden ausgeprägt ist: Resilienz ist zumindest zum Teil förderbar. Nicht erlernbar, aber förderbar.

Man kann also aus dem, was da ist ein wenig mehr machen. Und dabei spielen soziale Faktoren eine erhebliche Rolle. Wer als Kind erlebt, dass nicht alles perfekt sein muss, damit es gut ist, hat schon mal einen Vorteil. Die Akzeptanz der Tatsache, dass das Leben kein Anrecht auf die allgemeine Glückseligkeit beinhaltet, kann zum Beispiel Kraft geben, wenn Dinge mal nicht gut oder problematisch laufen.

Wenn man nicht ein idealtypisches Leben erwartet, ist man gelassener. Gift für die Resilienz ist der Glaube, man könne so etwas wie ein perfektes Leben hinbekommen. Wer seine Kinder mit diesem irrsinnigen Glauben auflädt oder selber von seinen Eltern damit vollgepumpt wurde, der erlebt natürlich jede kleine Schwierigkeit und Unpässlichkeit als Weltuntergang, mit ganz realen körperlichen und psychischen Stressfolgen.

Oder, um es mit einem Zitat aus der Serie Sex and the City zu sagen: „Computer stürzen ab, Menschen sterben, Beziehungen zerbrechen. Und alles was wir tun können, ist einfach tief durchatmen und neu booten“.


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