H.W. Steinmeier in Kiew
KIEW. (hpd) Sollte der Kompromiss zustande kommen, dass Neuwahlen in der Ukraine erst für Dezember 2014 vorgesehen sein und Janukowitsch bis dahin Präsident bleiben sollte, wäre das als Ergebnis der Verhandlungen in Kiew ein Schlag ins Gesicht der Demonstranten und des Volkes.ein Kommentar von Daniel M. Porcedda
Dass sich EU-Minister überhaupt mit einem erwiesenermaßen überführten Mörder an den Verhandlungstisch setzen und sich von ihm auch noch solch unhaltbare Kompromisse abringen lassen, ist ein Armutszeugnis europäischer Politik.
Die EU verkauft diesen Kompromiss als Fortschritt. Ja, es ist ein Fortschritt, jedoch einzig für Janukowitsch und Putin.
Dieser faule Kompromiss wird in Kiew nicht akzeptiert werden. Nicht akzeptiert werden können. Die Menschen fürchten um ihr Leben, solange Janukowitsch noch das Sagen im Land hat. Sie werden es also vorziehen, weiter in Kämpfe verwickelt zu werden. Aus purem Fatalismus.
Solange unsere EU-Politiker über den Köpfen der Menschen hinweg debattieren und sich von Janukowitsch über den Tisch ziehen lassen, wird es keinen Frieden in der Ukraine geben. Janukowitsch hat in den vergangenen Monaten zu oft bewiesen, dass für ihn nur der politische Machterhalt und der Erhalt seines Reichtums zählt. Immer noch vernachlässigt die EU sträflich, mit den Hauptakteuren des Euromaidan zu kommunizieren. Es ist eine Zivilgesellschaft, eine Kraft mit wachsendem Einfluss. Und vor allem die maßgebliche Gruppierung in dieser Krise, die es zu berücksichtigen gilt. Weit mehr noch als die Oppositionsparteien.
Gegen Janukowitsch und vielen seiner Parteifreunden sollten Sanktionen eingeleitet werden, so lauten die letzten Tage zumindest viele Kommentare aus der EU. Gleichzeitig aber verhandelt man mit diesem Präsidenten, dem eigentlich kriminelles Verhalten vorgeworfen wird. Das werden viele Menschen nicht verstehen, nicht bloß in der Ukraine. Es ist ein beispielloses Vabanquespiel, das Spielgeld sind Menschenleben. Römische Zeiten im 21. Jahrhundert.
Wenn dieser Kompromiss zustande kommt, werden die zu tausenden geheuerten Tituschki und andere Gruppen verstärkt Terror säen, die Menschen einschüchtern mittels brutaler physischer Gewalt. So, wie sie es zur Zeit in vielen Regionen der Ukraine tun. Niemand wird sie stoppen, außer die Selbstverteidungsgruppen von Bürgern selber.
Und der Präsident wird wieder Gesetze nach eigenem Gusto erlassen, wobei er die Uhr zurückdrehen und die martialischen Bestimmungen wieder einführen wird, die es ihm erlauben, Polizei, Militär, Berkut, SBU gegen das eigene Volk einzusetzen. Er hat immer noch diese Macht. Er kann das Parlament zu jeder Zeit entlassen und alle Beschlüsse rückgängig machen. Und er wird es tun. Denn er weiß, dass es für ihn die einzige Möglichkeit ist, politisch – und physisch – eine Überlebenschance zu haben. Immer offener wird dem Präsidenten das Schicksal Ceaucescus vorhergesagt.
Seine Hoffnung beruht auf Putin. Von dort erwartet er “Schützenhilfe”. Und Putin wird sie ihm gewähren. Die Gefahr, russische Bürger könnten den Maidan zum Vorbild nehmen, ist real. Und Putin wird dies mit aller Härte zu unterbinden versuchen. Es ist nicht von ungefähr, dass von russischer Seite tagelang massive Eingriffe von Janukowitsch gefordert wurden, wieder Ruhe und Ordnung in der Ukraine herzustellen.
Sollte Janukowitsch an der Macht bleiben, werden die staatlichen Behörden weiterhin Menschen mit allen Mitteln schikanieren, so wie das in der Ukraine längst der Fall ist. Die Gerichte werden zahllose Menschen verurteilen, bloß weil sie sich gegen die jetzige Regierung aussprechen. Und sie werden es noch vehementer tun, wohlwissend, dass ihre Zeit eventuell im Dezember abgelaufen sein könnte.
Es gibt nur einen einzigen Ausweg: Janukowitsch und seine Regierung müssen abgesetzt werden. Sie müssen sich vor internationalen Gerichten (Den Haag u.a.) zu verantworten haben. Und sie müssen daran gehindert werden, mit betrügerischen Machenschaften die kommenden Wahlen beeinflussen zu können.
Jeder andere Kompromiss wird von der Straße und einigen Oppositionspolitikern abgelehnt werden. Und das Blutvergießen wird weitergehen. Die EU-Verantwortlichen müssten diese Konsequenzen kennen. Und dennoch lassen sie sich darauf ein. Verantwortungsloses Handeln ist hier wohl der unpassende Begriff. Die EU setzt wissend Menschen Todesgefahr aus. Viele in der Ukraine fühlen sich jetzt bereits von der EU im Stich gelassen. Wenn der Kompromiss mit Janukowitsch ausgeführt werden sollte, werden viele Ukrainer sich auch noch von der EU betrogen fühlen. Diese Narbe wird über Generationen hinweg sichtbar bleiben.
Der Autor: Luxemburger Staatsbürger, Jurist, als Unternehmensberater in der Ukraine tätig. Er lebt seit 15 Jahren in der Ukraine, hat die Orange Revolution aktiv miterlebt und damals für das Luxemburger Tageblatt und Radio berichtet.
[Erstveröffentlichung: hpd]