Die Geburt der Maus. Oder: Weihnachten im Kreissaal.

Von Teilzeitmutter
Jetzt, da kurz vor Geburt von K2 langsam Angst und Panik in mir hochsteigt, sollte ich vielleicht das tun, wovor ich mich seltsamerweise lange gedrückt habe: die Geburt der Maus verbloggen. Nicht dass sie besonders schlimm gewesen wäre. Nein, objektiv gesehen, gab es keine "Zwischenfälle", alles lief wie am Schnürchen, schnell und unkompliziert. Für mich war die Geburt dennoch ein "traumatisches" Erlebnis, eine Naturgewalt, die mich einfach überrollte, die mich hilflos zurückließ. Zeit also, dieser ins Auge zu sehen und darüber zu schreiben, damit ich sie endlich verarbeiten und mich ganz auf die nächste Geburt einlassen kann. Um daraus keine episch lange Prosa entstehen zu lassen, werde ich anstatt eines Fließtextes protokollartig in Kurzabschnitten schreiben. (Ich fürchte, der Text wird dennoch lag). Also los:

Bild: pixabay.de

1. Teil: Zu Hause


  • Dezember 2013: "Das wird in diesem Jahr 100prozentig nichts mehr. Sie können noch ganz entspannt Weihnachten und Silvester feiern", ist sich meine Frauenärztin bei der letzten Vorsorge sicher. Ich weigere mich dennoch, über die Feiertage die Stadt zu verlassen und möchte lieber in der Nähe des Krankenhauses bleiben. Sicher ist sicher.
  • Um nicht vorschnell in Panik zu verfallen, beschließe ich, erst nach den Feiertagen anzufangen, Angst vor der Geburt zu haben. Ein guter Plan.
  • Den Heiligabend feiern wir ganz gemütlich mit meinen Eltern, meiner Oma und und meinem Bruder bei uns zu Hause. Nervig sind nur diese Rückenschmerzen, die mich immer wieder dazu zwingen, mich zwischendurch auf die Couch zu legen. Ansonsten verspüre ich weder Senk- noch Übungswehen.
  • 24.12. nachts: Kurz vorm Schlafengehen ist da ein leichtes Ziehen im Bauch. "Och nö, keine Lust auf Geburt, ich bin zu müde" beschließe ich, schließe schnell die Augen und schlafe tatsächlich ein.
  • 25.12. nachts: Das gleiche Spiel kurz vorm Einschlafen
  • 26.12. 1 Uhr: Etwas Warmes läuft mir die Beine runter. Ich springe erschrocken aus dem Bett, es macht "Platsch" und ich weiß sofort: das war die Fruchtblase.
  • Ich wecke meinen Mann, der wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett fährt und quasi schon auf dem Weg ins Krankenhaus ist. Ich bin seltsamerweise ganz ruhig, pfeife ihn lachend zurück und rufe erstmal meine Hebamme an. Wehen spüre ich wenn dann nur ganz leicht. 
  • 1.30 Uhr: Die Hebamme ist da, untersucht mich kurz und schickt uns beide wieder schlafen. Wenn die Wehen alle 5 Minuten kommen, sollen wir wieder anrufen. Ansonsten würde sie gegen 7 mit nem Wehencocktail vorbeikommen.
  • Natürlich ist an Schlaf nicht zu denken. Die Wehen kommen, fühlen sich an, wie  Menstruationsbeschwerden. Ich versuche, sie mit der Uhr zu stoppen, es gelingt mir aber nicht. Ich weiß nicht, wo die eine aufhöre und die andere anfängt. Manchmal gibt es 15 Minuten Pause zwischen den Kontraktionen, manchmal kommt eine nach der anderen. Die Schmerzen werden heftiger. 
  • Zwischendrin wird mir furchtbar schlecht und ich muss mich mehrfach übergeben. Leider schaffe ich es nicht zur Toilette, sondern kotze direkt auf den Schlafzimmerfußboden. Mein Mann wischt die Sauerei weg und muss dabei selbst fast brechen. Wir müssen beide lachen.
  • 6.30 Uhr: Die Wehen kommen noch immer wild durcheinander. Aber mir reicht es jetzt. Ich rufe die Hebamme an, die sich sofort auf den Weg macht.
  • "Wie atmest du denn?" begrüßt sie mich erstaunt an der Tür, die ich ihr laut schnaufend öffne. "Wenn du jetzt schon so schnaufst, hast du keine Kraft mehr, wenn die Geburt richtig los geht. Atme einfach ganz normal weiter."  Wie bitte????, denke ich. Die Geburt ist noch gar nicht richtig los gegangen??? Nein, laut Hebamme ist dies erst ab 8 Uhr der Fall, vorher sind es keine richtigen Geburtswehen. "Scheiße, ich will hier raus", ist mein erster Gedanke. Dann beruhige ich mich, versuche einfach ein- und auszuatmen und komme tatsächlich etwas runter von meinem Tripp.
  • Mein Mann versucht mich zu überreden, noch kurz ein Bad zu nehmen oder zu duschen. Ich fahre ihn an. Das will ich auf gar keinen Fall! Noch nicht mal waschen!
  • Die nächsten Stunden sitzen wir gemütlich um den Weihnachtsbaum, trinken Tee und essen Plätzchen. Zwischendurch schickt mich die Hebamme im Haus spazieren. 
  • Die Wehen werden stärker, ich kann sie aber gut veratmen. Am liebsten stehe ich dabei und kreise mein Becken.
  • 9.30 Uhr: Die Hebamme fragt, ob wir jetzt ins Krankenhaus fahren wollen. Falls ich eine PDA wollte, wäre dafür jetzt ne gute Zeit. (Hatte diesen Wunsch im Vorfeld mit mir besprochen) Da meine Fruchtblase ja schon geplatzt war, meinte sie, wären die Wehen sowieso schmerzhafter und sie würde mir daher auch eine PDA empfehlen.
  • Mit Plastiktüte als Autositzschutz und Kotzeimer bewaffnet fahren wir los. Vor Aufregung wirft der Mann beides in den Kofferraum - wo mir die Sachen ja nicht wirklich nützen. Egal.
  • Ich bin übrigens immer noch ungeduscht, ungewaschen und tragen einen schlabberigen Jogginganzug. Die Nachbarn sitzen derweil beim Weihnachtsfrühstück und schauen erstaunt dem Treiben auf unserer Einfahrt zu.
  • Was jetzt folgt, ist das Schlimmste: Die Autofahrt ins Krankenhaus. Mich bei den Wehen nicht bewegen zu können, sondern im Auto eingesperrt zu sein, finde ich unerträglich. Dazu kommt die unsanfte Fahrt über unsere mit tausend Schlaglöchern gespickte Straße.

2. Teil: Im Krankenhaus

  • Während mein Mann das Auto parkt und die Hebamme noch auf dem Weg ist, melde ich mich in der Notaufnahme an. Ich kann kaum sprechen, habe das Gefühl, keiner versteht mich. Ich will auf meine Begleiter warten, werde aber in einen Rollstuhl gesetzt und eilig auf die Entbindungsstation geschoben. "Viel Glück" ruft mir eine netter Pfleger hinterher. Glück? Wieso, denke ich. Braucht man das? Ich bekomme Angst. 
  • Zum Glück sind meine beiden Begleiter schnell bei mir. Gemeinsam gehen wir in den Kreissaal, nur um dort festzustellen, dass leider gerade keiner frei ist. Es herrscht Ausnahmezustand, wie uns eine nette Schwester verrät. ("So was habe ich in 20 Jahren noch nicht erlebt"). Alle angemeldeten Januarbabys wollen an den Feiertagen raus.
  • Also erstmal ab zum obligatorische Ultraschall. Leider ist hier auch die Hölle los. Die Hebamme holt mich aus der Warteschlange, um mich in einen ruhigen Raum zu bringen.
  • Doch da kommen wir nie an. Die Oberärztin hat aufgrund des regen Gebärbetriebes extra ihren Weihnachtsurlaub unterbrochen,  fängt uns auf dem Flur ab, organisiert uns ein ruhiges Zimmer und untersucht mich. "Das ist ein zartes Kind, das sollte keine Probleme geben", so ihr Urteil. 
  • Nach der Untersuchung ist auch endlich ein Kreissaal frei und wir machen es uns dort gemütlich. Leider gibt es dort die nächste schlechte Nachricht: die diensthabende Anästhesistin ist gerade zu einem Notkaiserschnitt gerufen worden, die PDA verzögert sich um ca. eine Stunde. Einen anderen Anästhesisten gibt es nicht. Die feiern schließlich alle Weihnachten.
  • Ich bekomme eine Schmerzspritze, einen Zugang und ein mobiles CTG umgeschnallt. Ich muss wieder mehrfach brechen.
  • "Du wirft heute noch dein Baby bekommen", sagt die Hebamme. Ich bin verblüfft. Heute? Wirklich? Dachte immer, erste Geburten dauern Tage. 
  • Die Wehehen tun jetzt richtig weh. Ich atme und töne und warte auf die PDA.
  • Während einer Wehe drücke ich wohl so fest die Hand meines Mannes, dass er mich mit schmerzverzerrtem, geschocktem Gesicht ansieht. Diesen Anblick werde ich nicht vergessen. 
  • Endlich kommt die Ärztin. Sie ist sehr nett, macht viele Scherze. Es dauert aber gefühlt eine Ewigkeit, bis das Ding sitzt.
  • Kaum sind wir wieder allein (die Wirkung ist noch nicht angetreten), verspüre ich einen komischen Druck. "Ich glaub ich muss mal auf die Toilette", sage ich. Die Hebamme untersucht mich, und kommandiert mich fix auf den Gebärhocker. Es geht schon los. 
  • Zuerst soll ich nicht pressen, sondern "prrrr" machen wie ein Pferd. Das klappt ganz gut.
  • Dann soll ich auf einmal die Luft anhalten und schieben. Das klappt leider gar nicht, ich weiß auf einmal nicht mehr, wie ich atmen soll. Bin so in meinem Wehen-Veratmenrythmus drin, dass mir die Umstellung schwer fällt. Zwischen den Wehen werde ich mit Traubenzucker gefüttert. Das meiste isst allerdings mein Mann, der direkt hinter mir sitzt und mich stützt. 
  • Ich kann meine Beine nicht öffnen, will sie immer wieder zukneifen. Ich weiß immer noch nicht, wie atmen funktioniert und denke, dass ich gleich ohnmächtig werde.
  • Jetzt soll ich das Köpfchen fühlen. Iiiih, ekelig denke ich, Fühlt sich gar nicht an wie ein Köpfchen. Am lieben würde ich dieses haarige Etwas wieder zurückschieben und nach Hause gehen. 
  • Ich erschrecke fürchterlich vor meinem eigenen Schrei. Wo kommt der auf einmal her? War ich das?
  • 13.40 Uhr.: Ich glaube nach insgesamt ca  4 Presswehen ist die Maus da. Ich weiß nicht mehr wie, aber auf einmal liegt sie auf meinem Arm und schreit das süßeste Babyschreien, das ich jemals gehört habe. Ich höre meinen Mann hinter mir weinen und wirres Zeug auf persisch faseln.
  • Ich rede auch wirres Zeug. "Wo kommst du denn her?" in tausendfacher Wiederholung. Ich kann es einfach nicht glauben. Da war ein richtiges Baby in meinem Bauch. Und jetzt ist es da. 
  • Mein 2. Gedanke ist: Sie ist so wunderschön! Ich finde mein Baby perfekt und bin erstaunt, wie unblutig und sauber sie doch aussieht. (Eine Illusion wie sich beim späteren Betrachten der Geburtsfotos herausstellt)
  • Wir werden aufs Bett verfrachtet, wo wir ausgiebig kuscheln. Erst jetzt kommt die Ärztin. Die Geburt ging so schnell, dass sie es nicht eher schaffte.
  • Wir kuscheln und kuscheln, zwischendrin wird die Maus untersucht und vermessen: 2760 Gramm, 51 Zentimeter, 33 Zentimeter Kopfumfang. Ein zartes Wesen. 
  • Irgendwann schaut die Hebamme nach der Plazenta und zieht leicht an der Nabelschnur. Oh Gott, jetzt verblute ich bestimmt, denke ich. Aber nix. Die Plazenta flutscht nur so raus, wird begutachtet und darf dann nach meiner Zustimmung entsorgt werden.
  • Jetzt kommt die Ärztin nochmal zurück, um mich zu untersuchen. Dammriss 2. Grades. es muss genäht werden. Zum Glück wirkt jetzt endlich die PDA, sodass ich keine Schmerzen habe. Das Nähen dauert nur sehr lange und ich mache mir insgeheim Sorgen ob des Ausmaßes der Zerstörung da unten.
  • Das erste Anlegen klappt leider nicht so gut. Die Maus ist noch etwas schwach von der Geburt, aber ich mache mir seltsamerweise gar keine Sorgen. Ich bin tiefenentspannt. Und seltsamerweise fit. Nicht müde. Alle Schwangerschaftsgebrechen sind mit einem Schlag weg,
  • Nach einem begleiteten Toilettengang (ja, Pippi kommt, alles gut). bekomme ich eine gefühlt 3 Meter dicke Binde und ein sexy Netzhöschen umgeschnallt. Danach werde ich im Kreissaal gewaschen. Fühlt sich eher an, wie die letzte Ölung.
  • Währenddessen holt mein Mann Mittagessen aus der Krankenhausküche. Es gibt Wild, Rotkohl und Klöße. Weihnachtsessen. Wir essen und kuscheln im Kreissaal.
  • Die Hebamme verabschiedet sich und eine nette Schwester schiebt mich im Rollstuhl auf die Wochenstation. Mann uns Maus folgen. Wir haben Glück und können ein Familienzimmer beziehen, wo wir zu dritt ungestört sind.
  • Ich fühle mich großartig, stark und selbstbewusst.
  • Nachts kann ich kaum schlafen, immer wieder muss ich mein Baby angucken und denke:"Ich habe ein Baby! Ich habe wirklich ein Baby". Und dann: "Oh Gott, die Geburt, wie krass war das denn!"

Fazit:

Es war eine gute Geburt. Aber sie war gewaltig. Eine Naturgewalt. Am schwierigsten fand ich, mich dieser Naturgewalt zu stellen. Normalerweise sucht man ja Schutz, wenn es blitzt und donnert, stellt sich unter, wenn es regnet und stürmt. Und wenn man Bauchweh hat, krümmt man sich zusammen und wartet, dass es vorüber geht. Bei einer Geburt, muss man sich diesen Kräften aber mutig entgegenstellen, Man muss mitmachen, aktiv und nicht passiv sein. Dies umzusetzen fand ich sehr, sehr schwer.