Ich muss sagen, ich wurde noch nie von einem Klappentext so in die Irre geführt. Denn in diesem heißt es über Die Frauen von La Principal von Lluís Llach, dass es um die junge Frau Maria geht, die mit der alleinigen Verantwortung für das Weingut, das seit Generationen in Familienbesitz ist, von Vater und Brüdern im spanischen Pous zurückgelassen wird. Rebläuse nähern sich dem Weingut unerbittlich und drohen, alle Weinreben der Principal zu vernichten. Marias Vater sieht sich gezwungen, das Weingut zu verlassen und nach Barcelona zu flüchten, um dort weiteren Geschäften nachzugehen. Die Brüder folgen ihm, da sie ihre Studien beenden müssen. Nur Maria bleibt zurück, um das Weingut vor dem Herunterkommen zu bewahren, weil ihr als Frau eine Ausbildung verwehrt wird.
Mehr verrät der Klappentext nicht. Soll er eigentlich auch nicht. Doch dies ist nur ein kleiner Teil des Romans. Krimi, Emanzipation, Gesellschaftskritik und Geschichte – all diese Genres webt Llach raffiniert in seinen Roman ein und sorgt so für unterhaltungsvolle Abwechslung. Der Leser darf zuerst zwei verschiedene Generationen begleiten. In beiden geht es um jeweils eine Maria. Maria Roderich, auch die Alte genannt, die wie beschrieben das Weingut hüten muss; und deren Tochter Maria Magí. Besonders Maria Roderich muss Härte beweisen, um die Principal wieder zu dem zu machen, was sie einmal war.
Die Geschichte von Maria Roderich erfährt der Leser aus Erzählung der zweiten Ebene im Roman. Hauptsächlich geht es um um deren Tochter, Maria Magí. Diese leitet nach dem frühen Tod ihrer Mutter – der Alten – weiterhin mit strenger Hand die Principal. Sie ist die mächtigste Frau im Ort und niemand wagt es, ihre Autorität in Frage zu stellen. Doch eines Tages fängt der junge Hauptkommissar Lluís Recader an, sich in sämtliche Angelegenheiten der Principal einzumischen. Ein Mord hat sich auf dem Weingut ereignet. Jemand hat dem Vorarbeiter Ricard bestialisch den Unterleib zerfetzt und seine Leiche in einem Sack auf dem Grundstück hinterlassen. Verdächtig wird Llorenc, ebenfalls ein Arbeiter auf der Principal, der eine Beziehung zu Ricard pflegte und gleichzeitig Marias Geliebter ist.
So erfährt der Leser immer mehr über die Geschichte der drei Frauen. Vieles lernt er aus der Sicht von Úrsula kennen, die sehr viele Jahre in den Diensten der Familie stand und großes Vertrauen der Frauen genießt. Ihre Erzählungen sind immer in kursiv geschrieben und können einem weiteren Genre wie Märchen oder Legende zugeordnet werden. Anderes lernt der Leser aus der Sicht des ermittelnden Kommissars. Anfangs bereiten diese Zeitsprünge ein wenig Probleme. Doch dafür hat sich der Autor eine dritte sehr gewitzte Erzählebene überlegt.
Der Leser wird in die heutige Zeit versetzt. Llorenc ist inzwischen gealtert und hat mit Maria Magí eine Tochter, natürlich ebenfalls Maria genannt. Diese Maria darf die gesamte Geschichte um den Mord lesen, da Llorenc sie sich von der Seele schreiben möchte. Herrlich kommentiert sie die verwirrende Geschichte und spricht mir damit als Leserin aus der Seele: „Also, zuerst habe ich überhaupt nichts kapiert, ständig bin ich mit den Marias und den Epochen durcheinandergekommen und musste zurückblättern, um mich zurechtzufinden. Und kaum hatte ich den Faden wieder, fingst du auf einmal an mit den Märchen und Legenden und wie du sie sonst noch betitelst. Zum Glück hast du eine andere Schrift verwendet, sonst würde man da nicht durchblicken.“ (216)
Ähnliche Reflektionen von Figuren aus dem Roman über den Roman finden sich beim Kommissar Recader. Er vergleicht die Handlung von Die Frauen von La Principal mit denen in gängigen Kriminalromanen: „Er war froh, in Pous zu sein, die Geschichte fesselte ihn, sie hatte alle Komponenten, die es für einen anspruchsvollen Fall brauchte. Wegen des Krieges abgebrochene Ermittlungen, verwischte Spuren, mögliche Botschaften des Täters …, und zwar eine ganze Reihe: Der Mörder hatte den Toten, nachdem er ihm den gesamten Unterleib zerfetzt hatte, der reichsten Familie des Dorfes vors Haus gelegt. Wahrlich ein Stoff für Liebhaber von Schauerromanen.“ (85)
Diese gewitzte Feststellung kann man auf den ganzen Roman beziehen. Lluís Llach verbindet Elemente aus vielen verschiedenen Genres. Jedes Kapitel birgt neue Überraschungen – inhaltlich als auch erzählerisch. Die Frauen von La Principal ist ein Roman, in dem jede einzelne Seite von Spannung zeugt und doch mit einem kleinen Augenzwinkern des Autors gelesen werden sollte.
Llach, Luís: Die Frauen von La Principal. Aus dem Katalanischen von Petra Zickmann. Insel Verlag. Berlin 2016. 319 Seiten. 19,95 Euro.