Es war einmal...
Es war einmal der Geisterkönig Keikobad, der hatte eine Tochter. Diese konnte sich verwandeln und wird eines Tages als Gazelle von einem Kaiser erjagt und zur Frau genommen. Seitdem kann sich die Kaiserin (mithilfe ihres Gatten) nur noch in eins verwandeln: das Tier mit zwei Rücken. Das machen die beiden fast ein Jahr lang gerne und ausführlich, bis die Kaiserin von ihrer Amme auf ein verhängnisvolles Ultimatum von Keikobad aufmerksam gemacht wird. Wenn sie nicht innerhalb von drei Tagen schwanger wird, muss sie zurück zu Papa und der Kaiser wird zu Stein. Blöd nur, dass sie als Feenwesen dazu von sich aus nicht in der Lage ist. Aber die ausgefuchste Amme weiß Rat und bringt die verzweifelte Kaiserin in das Reich der Menschen, wo sie der Frau des Färbers Barak die Fruchtbarkeit abkaufen will. Dieses Menschenpaar hat wiederum ganz eigene Probleme. Während Barak sich nichts sehnlicher wünscht, als Vater zu werden, verschließt seine Frau sich vor ihm und seiner biederen Bodenständigkeit und träumt stattdessen von glitzerndem Geschmeide und Tenören in goldenen Stringtangas. Genau diese Sehnsüchte will die Amme mithilfe ihrer magischen Kräfte erfüllen - als Tausch für die Fähigkeit, Babies zu kriegen, versteht sich. Aber die Kaiserin hat Skrupel. Sie erkennt, dass sie durch diesen Handel das Leben der Färber zerstören würde und verzichtet sogar angesichts ihres bereits zu Stein erstarrten Geliebten auf das unheilvolle Geschäft. Durch ihr Mitleid mit dem menschlichen Paar und ihre Selbstlosigkeit erhält die Kaiserin endlich die Fähigkeit, Mutter zu werden und die steinfarbige Pappmaché-Statue gibt ihren Mann frei. Unterdessen hatten außerdem Barak und seine Frau durch Streit und Konflikt zueinander gefunden und ihre Sehnsucht füreinander entdeckt, sodass beide Paare unter dem Gesang ihrer noch ungeborenen Kinder Händchen haltend ins Publikum lächeln können. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
Moment mal! Und wo war jetzt der Schatten?!
Suche: Reichtum / Biete: Schatten
Meine irreführende Zusammenfassung verrät nicht, dass es der titelgebenden Frau der Oper von Strauss anfangs an einem Schatten mangelt - das ist es, wonach sie in der Menschenwelt sucht und das ist es, was sie der Färberin abkaufen will. Der Schatten hat als Symbol eine lange Tradition. In den Mythologien vieler Kulturen steht der Schatten für einen wesentlichen und lebenswichtigen Bestandteil des Menschen, als Teil seiner Seele, der verletzt, verloren und wiedergefunden werden kann. Der Psychologe C.G. Jung definierte mit dem Begriff des Schattens den negativen, sozial unerwünschten und unterdrückten Teil des Selbst, der also ins Unbewusste abgeschoben wird. In diesem Assoziationsfeld lassen sich auch die Schatten der romantischen Literatur lesen, wie zum Beispiel in Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte, in welcher der Protagonist seinen Schatten verkauft und so zum gesellschaftlichen Außenseiter wird. In Strauss' Oper bekommt der Schatten als Symbol eine andere Färbung. Er wird hier als ein spezifisch menschliches Attribut gedeutet - im Gegensatz zur Lichtdurchlässigkeit der Kaiserin, die aus einem traumhaften Geisterreich stammt. Diese Menschlichkeit ist es, die Erlösung bringt und letztlich die Liebe vollkommen macht. Die Frau ohne Schatten erzählt viel von Strauss' persönlicher Wertschätzung von Ehe und Familie, die er (im Zusammenhang mit seiner Symphonia domestica, einem Werk über die Freude des bürgerlichen Familienlebens) so ausdrückte: "Die Heirat ist das ernsteste Ereignis im Leben, und die heilige Freude einer solchen Vereinigung wird durch die Ankunft eines Kindes erhöht." In der Oper sind Kinder nicht nur Ziel aller Bemühungen, sie sind sogar noch ungeboren bereits stimmlich präsent und führen als Wegweiser die beiden Paare zum happy end.
Das Wunder des Alltags
Die Frau ohne Schatten ist mit ihrer Glorifizierung der Familie nicht nur eine außergewöhnliche Oper, sie ist auch ein außergewöhnliches Märchen. Die sogenannten Volksmärchen nehmen ihren Ausgangspunkt in einer realistischen, unglücklichen Situation, die durch das Einwirken eines wunderbaren Elements verbessert wird. Der Müllerssohn, der als jüngster Bruder nur den Kater erbt, wird durch dessen übernatürliche Verschlagenheit König. Die Halbwaise, die von ihrer Stiefmutter schikaniert wird, wünscht sich von einem magischen weißen Vogel ein prachtvolles Kleid und kann damit auf dem Ball des Königs das Herz des Prinzen für sich gewinnen. Das Waisenkind, das seinen ganzen Besitz bis zum letzten Hemdlein den Armen schenkt, wird durch Sterne, die als Taler vom Himmel fallen, reich. In Strauss' Märchen hingegen ist es ein wundersames Wesen, das unglücklich ist und deswegen in der realen Welt nach Erfüllung sucht. Beim Regisseur (und frisch gebackenen Intendanten des Hessischen Staatstheters) Uwe Eric Laufenberg in Wiesbaden ist die Sphäre des Kaiserpaars eine komplett weiß lackierte, sterile, ungemütliche Welt, wohingegen die Werkstatt der Färber nicht nur von Berufs wegen bunter, sondern auch von fruchtbarer Auseinandersetzung erfüllt ist. Die Kaiserin erlebt diese häuslichen Konflikte hautnah mit und bezieht dazu Stellung. Sie gewinnt Profil durch die Betrachtung der Menschen, sie wird zu einem Widerstand sowohl für das Licht als auch für das diktatorische Ultimatum ihres Vaters und wird damit zu einem menschlichen Individuum.
Spieglein, Spieglein
Im letzten Bild der Oper senkt sich in Wiesbaden ein Spiegel aus dem Bühnenhimmel herab, sodass sich die Frau - nunmehr mit Schatten - zufrieden selbst zulächeln kann. Die Parallelsetzung des Spiegelbildes mit dem Schatten ist durchaus schlüssig und hat als Sinnbild für einen wesentlichen Aspekt des Selbst bereits in der Romantik Vorbilder, zum Beispiel in Die Geschichte vom verlornen Spiegelbild von E.T.A. Hoffmann. Laufenbergs Spiegel ist allerdings so groß, dass er nicht nur die glückliche Kaiserin abbildet, sondern auch das Publikum des Abends. Eine gemeinschaftsstiftende Andeutung, dass wir uns im gleichen Bild befinden wie die Kaiserin, die nicht nur sich selbst, sondern auch uns, ihre Mitmenschen, heiter anstrahlt und glücklich ist, Teil unserer Welt zu sein? Oder ist es eine zarte Aufforderung dazu, sich schnell zu vergewissern, ob man selbst (und seine Abendbegleitung) noch ein Spiegelbild hat? Ich saß ja im Rang und habe im Spiegel nur Bühnenboden gesehen.
Kritik in der Allgemeinen Zeitung vom 15. September 2014Kritik im Deutschlandfunk vom 16. September 2014Kritik in der Gießener Allgemeinen vom 15. September 2014Kritik im Opernfreund vom 13. September 2014Kritik im Opernnetz vom 13. September 2014Die Frau ohne Schatten. Oper in drei Akten von Richard Strauss (UA 1919 Wien)Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Musikalische Leitung: Zsolt Hamar
Regie: Uwe Eric Laufenberg
Bühne: Gisbert Jäkel
Kostüme: Antje Sternberg
Licht: Andreas Frank
Dramaturgie: Regine Palmai
Besuchte Vorstellung: 12. September 2014 (Premiere)
Weitere Vorstellungen: 18., 21., 25., 28. September 2014 / 3., 11. Oktober 2014 / 3. Mai 2015