Wer in der Historie der Fotografie stöbert, wird selten die fotografische Entwicklung von Spitzenfotografen an Bildreihen verschiedener Epochen ablesen können. Bekannt sind zumeist nur jene Bilder, die als groß und einzigartig erachtet werden. Der lange Weg davor bleibt oft verborgen. Aus fotografischer Sicht ist jedoch die Entwicklung mit zwei unterschiedlichen Sinngehalten gefüllt. Einerseits ist damit der beständige Fortschritt in fotografischen Fähigkeiten gemeint … andererseits aber auch die Ausarbeitung der Bilder und deren spezielle Ausdrucksweise. Eine Vielzahl der großen Fotografen haben in ihrem Lebensabend das aktive Fotografieren aufgegeben und sich nur noch der Ausarbeitung ihrer bisherigen Bilder konzentriert. Andere Fotografen haben sogar das Ausarbeiten ihrer Bilder anderen Könnern überlassen und fühlten sich nur für das Aufnehmen von Bildern verantwortlich. In Zeiten der digitalen Bildbearbeitung hat sich wenig daran geändert. Aber kommt die eine Entwicklung ohne die andere aus?
Für mich gehören fotografische Entwicklung und Bild-Entwicklung untrennbar zusammen. Nur dann, wenn meine Bilder von Anfang bis Ende in meinen Händen liegt, dann sind es meine Bilder. Ich stehe dazu, dass daran meine Weiterentwicklung und sogar meine Stimmungsschwankungen abzulesen sind. Und selbstverständlich kann man an meinen Bildern ablesen, welches technische Umfeld zur Zeit der Entstehung und Ausarbeitung aktuell war. Andere Fotografen mögen sich daran stören und oft liest man den Entschuldigungssatz „… und hier etwas älterer Stoff von mir …“, was aus meiner Sicht vollkommen überflüssig ist. Soll es etwas bedeuten, dass ältere Bilder wenig gut sind?
Als Fotograf lebe ich heute im Schlaraffenland. Schier unendliche Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung. Ich kann rein digital arbeiten, oder in der analogen und digitalen Kombination (auch hybride Verarbeitung genannt), oder rein analog meine Bilder entstehen lassen. Zudem kann ich, wenn die Aufnahmen analog erfolgten, hybrid und zusätzlich rein analog arbeiten … wenn ich es will … und ich muss zum Zeitpunkt der Aufnahme keine Entscheidung darüber treffen. Genial! Mit über 30 Jahren Fotografentätigkeit kann ich auch sagen, dass es noch nie mehr Möglichkeiten der Entwicklung von Filmen gab. Ich meine jetzt das analoge Aufnehmen mit der nachfolgenden Negativentwicklung. Ganz besonders die Schwarzweiß-Fotografie kann heute in einen riesigen Chemie-Angebot „baden“. Das phantastischste ist, dass die unterschiedliche „Suppen“ auch unterschiedlich auf die Negative wirken. Meine Freude, mein Genuss, mag für manchen Neueinsteiger jedoch die Qual der Wahl sein. Nicht genug, dass heute unglaublich viele Filmmaterialien mit unterschiedlichen Eigenschaften zu Verfügung stehen … es gibt auch nahezu unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten in der Negativentwicklung. Des einen Schlaraffenland ist des anderen Einstieg zum Wahnsinn.
Wenn ich mich über die Vielzahl der Entwicklungsmöglichkeiten freue, dann muss ich mich auch über die heute verfügbare Vielfalt an Filmformaten freuen. Es ist gewiss nicht so, dass heute neue Formate erfunden werden. Das haben die Technik-Freaks der letzten 150 Jahre schon erledigt. Heute ist es aber so, dass sogar die „alten“ Formate der Aufnahmemedien wieder zu Verfügung stehen. Ich liebäugele gerade mit einer Fachkamera im Format 40×50 cm! Gigantismus im Bild! Auf der anderen Seite liebäugele ich mit einer Kamera für Glasplatten. Oder soll ich gerade jetzt meinen Traum verwirklichen und die eigene Kamera bauen? Alles ist möglich und alles ein Teil meiner persönlichen Entwicklung. Ich freue mich darauf, mich selbst in meiner Entwicklung zu beobachten.