Die fehlende Familienseite

Von Frühlingskindermama @fruehlingsmama
Letztens unterhielt ich mich mit dem Großen über seine Großeltern väterlicherseits. Über den Opa, der schon sehr alt ist und bald sterben wird. Der dann dort begraben wird, wo die Oma, seine Frau, schon liegt. Dann können wir die beiden dort im Wald (in einem Ruheforst) besuchen. Da, wo der große Ameisenhaufen ist und die roten Waldameisen über die Füße laufen, so dass man nie lange stehenbleiben kann. Ein Mal im Jahr, wenn wir im Urlaub an der Ostsee sind, könnten wir den Gedenkbaum im Ruheforst aufsuchen. Dieser Opa ist 90 Jahre alt, lebt im Pflegeheim und ist dement. Im Leben meiner Kinder ist er überhaupt nicht präsent. Im letzten Jahr hat der Große ihn zweimal gesehen und weiß zumindest, wer er ist. Die Kleine sah ihn einmal und hatte verständlicherweise Angst vor ihm. Für sie ist er völlig fern.
Es fühlt sich komisch und traurig an, dass unsere Kinder von Anfang an mit nur einer aktiven Großelternseite aufwachsen. Meine Schwiegermutter starb überraschend und innerhalb weniger Wochen, als unser Großer gerade mal 5 Monate alt war. Mit einem knappen halben Jahr war er auf seiner ersten und bisher einzigen Beerdigung. Zwei Mal hatte die Oma ihn seit seiner Geburt noch gesehen, sie, die all die Jahre so mitgefiebert hat. Das tut mir unendlich leid. Sicherlich hätten wir diametral entgegengesetzte Vorstellungen vom Umgang mit Kindern, aber die habe ich teilweise auch mit Menschen meiner Generation. Sicherlich hätten wir auf vieles, was sie in ihrem gewohnt unerbittlichen Ton kundgetan hätte, gekränkt reagiert, hätten uns geärgert und die Kinder nicht nur aufgrund ihres Alters nicht mit ihnen allein gelassen. Das Verhältnis war nie besonders gut und es gab viele Konfliktpunkte. Aber ich denke trotzdem, dass es schön und wichtig für meine Kinder gewesen wäre, wenn sie auch diese Seite der Familie kennengelernt hätten. Wenn sie eine Auswahl zwischen der Sympathie für den einen oder den anderen Opa gehabt hätten. Wenn diese Oma zu ihnen gesagt hätte: "Dein Papa war als Kind genauso." Wenn sie eine andere Lebenswirklichkeit von Großeltern als die meiner Eltern kennenlernen könnten. Wenn sie ihren Papa in seinem Familienkontext erlebt hätten. Als Sohn seiner Eltern. Das fehlt alles.
Ich weiß, dass ich des öfteren zusammengezuckt wäre und die Stirn gerunzelt hätte, so wie ich es auch bei meinen eigenen Eltern mache. Meine Schwiegereltern waren sehr eigen und in ihrer Themenauswahl recht eindimensional. Bei meinem Schwiegervater gab es nur den Krieg und sein Hobby und meine Schwiegermutter war ähnlich, wenn auch interessierter. Zur Lebenswelt kleiner Kinder hätten da nur wenige Berührungspunkte existiert. Aber es wäre interessant gewesen, ob eine besondere Chemie zwischen einem der Großeltern und einem der Kinder existiert hätte, so wie zwischen dem Großen und meinem Vater, die ein Herz und eine Seele sind, obwohl sie sich nur selten sehen. Es wäre besonders für mich spannend gewesen, mehr Dinge über die Kindheit meines Mannes zu erfahren, um vielleicht die Seiten an den Kindern, die ich nicht einordnen kann, besser zu verstehen. Vielleicht könnten die Kinder ihrerseits auch ihren Papa besser verstehen. Und nicht zuletzt wäre es für ihn schön gewesen, seine Eltern mit seinen beiden Kindern zusammen zu sehen.
Natürlich hätten sie aufgrund ihres Alters und ihrer Gebrechlichkeit keine große Rolle spielen können. Aber es hätte immerhin mehr gegeben als jetzt. Es gibt ein paar Erinnerungsstücke an meine Schwiegermutter, Fotos und einen einzigen Film mit dem Großen als Baby und diesen Großeltern. Das Grab der Oma. Und das Pflegeheimzimmer meines Schwiegervaters. Nichts, was für Kinder greif- und fassbar wäre. Zwar kennen sie es nicht anders und wachsen damit auf. Aber es bleibt das Gefühl, dass etwas fehlt. Da mein Mann keine Geschwister hat, fehlt sozusagen dieser komplette Familienstrang. Es fehlt die Seite, nach der meine Kinder mit Nachnamen heißen. Eine Familiengeschichte, eine Familientradition, ein Familiencharakter. Das ist schade und traurig, aber nicht zu ändern.
Meine Eltern haben dadurch eine privilegierte Stellung inne. Sie sind DIE Oma bzw. DER Opa, ohne Konkurrenz, ohne Druck, sich um die Kinder bemühen zu müssen. Alles, was sie tun und sind, wird für die Kinder das Nonplusultra eines Großelterndaseins sein, weil sie nichts anderes kennen. Sie werden denken, alle Großeltern haben eine ähnlich modern und picobello eingerichtete Wohnung wie meine Eltern. Sie werden denken, alle Großeltern machen Weltreisen. Oder Großeltern fahren Auto, spielen Fangen und puzzeln stundenlang. Bei meinen Schwiegereltern hätte all das nicht zugetroffen, und ich hätte es wichtig gefunden, wenn meine Kinder auch diese Aspekte der Großelternwelt kennengelernt hätten. Es ist nicht zu ändern, aber das Gefühl, dass eine Familienseite fehlt, bleibt.