Die FDJ-Sekretäre der Freiheit

Die FDJ-Sekretäre der FreiheitRecht hat sie natürlich, die Dame, die sich Thea Dorn nennt und in der "Zeit" gerade so Erstaunliches zum Besten gibt: "Ernüchtert stellt man fest, dass auch die Demokratie den Opportunismus, das Duckmäusertum befördert", schreibt die in Offenbach geborene Krimi-Autorin und Moralphilosophin. Ernüchtert? Stellt man fest? Dass auch die Demokratie? Guten Morgen, Frau Dorn, möchte man rufen, auch ausgeschlafen?
Anno 2010, zwei ebenso lange wie zunehmend langweiliger werdende Jahrzehnte nach dem Zusammenschluss zweier schwer unterschiedlicher deutscher Geschäftsmodelle unter einem deutschen Dach ist die Grundähnlichkeit menschlicher Verhaltensweisen unter allen gesellschaftlichen Bedingungen in Offenbach angekommen - und offenbar auch in Philosophenkreisen. Noch eine späte Erkenntnis der Sarrazin-Debatte, wenigstens für "Zeit"-Leser im tiefen Osten: Hier hatte der letzte Hilfseinschaler Mitte 1991 begriffen, dass
Demokratie Opportunismus und Duckmäusertum nicht sonderlich schlechter befördert als das Sozialismus und Arbeiter- und Bauernmacht vermocht hatten.
Thea Dorn, die eigentlich mal Christiane Scherer hieß und zwischendurch auch mal Fernsehen und Theater und Krimis mit Namen wie "Die Hirnkönigin" machte, brauchte Sarrazin, um zu dieser Erkenntnis vorzustoßen. Nun gut, dafür ist ihre für die Maßstäbe der an allen geraden und ungeraden Wochentagen lieber überkorrekten "Zeit" geradezu brutalstmögliche Erwägung "Tribunal der Gutmeinenden" ihrer Zeit in allen anderen Punkten voraus. "Die Kommentatoren machen es sich zu einfach, wenn sie hinter der Zustimmung, die Sarrazin erfährt, den alten deutschen Mob wittern", ketzert die meist kunstvoll kreischhaarfarbene Philosophin, die hinter der Unterstützung der Massen für den Ex-Bundesbanker "die Sehnsucht nach aufrechten Streitern, nach kernigen, unangepassten Figuren, die sagen, was sie meinen" wittert.
Typen wie Ghandi, die ihre Sache durchzogen und im Gegenwind lächelten: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann folgen sie dir alle.“ Dorn, selbst eine funkelnde Figur, die sich schon mal in Schlachterschürze und mit Blutbeil in der Hand fotografieren lässt, vermisst solches Personal. "Wir haben eine ostdeutsche Kanzlerin, einen Außenminister, der soeben seinen Lebensgefährten geheiratet hat, einen jugendlichen Gesundheitsminister vietnamesischer Herkunft, einen Bundespräsidenten mit »Patchworkfamilie«: Noch nie war das Personal, das unseren politisch-öffentlichen Diskurs bestimmt, »bunter« als heute", analysiert sie. Und staunt: "Noch nie wirkte es so farblos, gehemmt und uniform." Die einst gesellschaftlich Marginalisierten seien im Zentrum der Macht angekommen. Dort aber agierten sie, "als wollten sie sich und uns permanent beweisen, dass sie vor allen Dingen eins sind: nichts Besonderes, biederer Durchschnitt, ganz normal."
Politik sei ein seelenloses, technokratisches Geschäft geworden. Und "je weniger unsere Politiker die Leute emotional erreichen, desto menschelnder wird ihr Ton." Der Beifall, den Thilo Sarrazin erhält, sei nun in erster Linie "ein Aufschrei derjenigen, die den verlogenen Kuschelsound nicht mehr ertragen". Das Rezept der politische Klasse dagegen aber seien nun einfach "noch höheren Dosen ebenjenes Lullefix, gegen das der Störenfried zu Felde zieht." Dorn, als Polemikerin begnadet, fragt relativ frontal: "Was, außer dem herzerhebenden Gefühl, ein guter Mensch zu sein, wird gewonnen, wenn der offizielle Diskurs darauf besteht, uns das höchst komplexe Gesamtphänomen Einwanderung pauschal als »Bereicherung« zu verkaufen?"
Nichts natürlich, denn Euphemismus eigne sich noch weniger als Polemik, eine täglich unübersichtlicher werdende Wirklichkeit in den Griff zu bekommen. "Dennoch genießt der Euphemist uneingeschränkt den Schutz der Meinungsfreiheit, fasst Thea Dorn zusammen, "der Polemiker hingegen riskiert ein Verfahren wegen Volksverhetzung." Die Folge liege auf der Hand: "Ein humanistisch gebildeter Berserker wie Franz Josef Strauß würde es heute allenfalls zum Bezirksbürgermeister von München-Maxvorstadt bringen. Politiker, an denen man sich stoßen, reiben kann, die man tief liebt oder aus ganzer Seele hasst, sind von der Bühne verschwunden. Das heutige politische Personal lädt sein Wahlvolk dazu ein, sich mit ihm möglichst kollisionsfrei zu arrangieren.
Das ist nun die Stelle, wo die umtriebige "Humanistin" (Dorn über Dorn) ernüchtert feststellt, wie das ist mit der Demokratie und dem Opportunismus, mit dem Duckmäusertum im Kapitalismus, mit den FDJ-Sekretären der Freiheit und den SED-Funktionären, die selbst nicht einmal wissen, dass sie welche sind. Das bisschen Fortschritt, schreibt sie: "Dem Abweichler droht hier weder Gefängnis noch Folter, noch Tod. Sondern der Karriereknick."
Die komplette Ermutigung


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