Die Eurokrise schafft Anreize für britische Erpresser

Von Nu
Großbritannien gehört zur Europäischen Union. Allerdings eher halbherzig. Eine treibende Kraft war das alte Empire nie. Die EU war gut, wenn man unter dem Strich durch die Mitgliedschaft verdiente. Allerdings gibt es dort auch durchaus weitsichtige Europäer, denen bewusst ist und war, dass Britannien nicht mehr die Welt regiert und damit auch nicht mehr von der Ausbeutung von Kolonien leben kann und deswegen auf eine enge europäische Zusammenarbeit angewiesen ist. Besonders zerrissen ist die Partei der Tories, der Konservativen, die zu allem Überfluss auch noch zur Zeit zusammen mit den Liberalen die Regierung stellen.
Ministerpräsident David Cameron versucht zur Zeit eher den Flügel der Europa-Gegner zu bedienen. Seine markigen Sprüche und die seiner Minister sollen das Volk von den eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ablenken. Dass dieser Schuss aber auch gut einmal nach hinten losgehen kann, muss er dieser Tage erleben. Hinterbänkler seiner Partei sammeln zur Zeit Stimmen für einen Antrag auf eine Volksabstimmung für einen Austritt aus der EU. Sie sind mit ihrem Anliegen besser vorangekommen als Cameron lieb war. Diese hoffnungsvollen britischen Superpatrioten möchten eine Volksabstimmung haben, ob 1) Großbritannien zu den bisherigen Bedingung EU-Mitglied bleiben solle oder 2) aus der EU austreten solle oder 3) dass die Mitgliedsbedingungen neu verhandelt werden sollen, um eine neue Beziehung basierend auf Wirtschaft und Zusammenarbeit aufzubauen. Am 27. Oktober soll der Antrag, der bereits von 46 Abgeordneten gezeichnet wurde,  im Unterhaus diskutiert werden. Cameron pocht jetzt bei einer Abstimmung auf die Fraktionsdisziplin und zwar dahingehend, dass der Antrag abgelehnt wird.
Die Organisatoren dieses Antrags scheinen nicht so richtig wissen, was eigentlich passieren würde, wenn sie Erfolg hätten. Rafael Behr schreibt dazu im “New Statesman”: “Eine der Illusionen der Tory-Euroskeptiker ist der Glaube, dass Britannien eine starke Verhandlungsposition durch die Drohung eines Austritts haben werde. Die Mitgliedsländer würden Angst davor haben, eine reiche Nation aus ihrem Club zu verlieren. Deshalb würden die Länder der europäischen Union kuschen und die Forderungen der Briten erfüllen. Was an dieser Haltung falsch ist, ist, dass aus der europäischen Perspektive die Zeiten vorbei sind, wo man auf britische Forderungen eingeht. Insbesondere Deutschland hat die Nase voll von Großbritannien, das sich wie ein mürrischer Teenager verhält, indem es übellaunig diplomatische Türen zuschlägt”.
Cameron hatte sich bereits in Oppositionszeiten einen Fehlgriff geleistet, als er seine Tories im Europaparlament aus der Fraktion der europäischen Volkspartei löste. Die Partei der deutschen Kanzlerin, die auch zu dieser Fraktion gehört, hatte dieses Verhalten wenig erfreut zur Kenntnis genommen. Es war zu klar ersichtlich, dass dies ein billiges Manöver war, um die Euroskeptiker in der eigenen Partei zu Diensten zu sein.
Seit er an der Regierung ist, unternimmt Cameron immer mal wieder eine Charme-Offensive, um zu zeigen, dass er ein reifer Europäer ist. Dazu gehört allerdings mehr als ein unstetes Herumlavieren. Seine missliche Situation, in die er sich selbst manövriert hat, beschreibt Rafael Behr so: “In Wirklichkeit gibt es nichts, was Cameron gesagt haben könnte, was die Tory-Euroskeptiker besänftigen können. Ihre Agenda und die der Regierung sind inkompatibel. Der Premierminister will, dass die Eurokrise durch Diplomatie und ohne große Notwendigkeit für eine Überarbeitung der EU-Verträge gelöst wird. Die Skeptiker wollen die Krise noch anheizen, damit letztendlich eine große Neuverhandlung unvermeidlich wird. Es gibt allerdings eine Übereinstimmung zwischen den Tory-Führern und den Hinterbänklern in der Form, dass die EU schuld ist, wenn die britische Wirtschaft zu einem vollständigen Halt kommt.”
Gestern kam es auf dem EU-Gipfel in Brüssel zu einer Konfrontation zwischen Frankreichs Staatspräsident Sarkozy und Cameron, bei der Sarkozy ihm genervt gesagt haben soll: "Du hast eine gute Gelegenheit verpasst, das Maul zu halten. Wir haben eure Kritisiererei und Belehrungen satt. Ihr sagt, ihr hasst den Euro und nun wollt ihr euch in unsere Besprechungen einmischen."
Cameron weiß zu gut, dass Großbritannien in einer globalisierten Welt wirtschaftlich und politisch nichts mehr zu sagen haben hätte, wenn es auf sich allein gestellt sein würde. Nur, wie sage er es den Hinterbänklern in der eigenen Partei, die er und die anderen Regierungsmitglieder allzu oft im Glauben gelassen hat, dass da etwas möglich wäre?
Informationsquelle:
Grown-up European or hero to the backbenchers? Cameron can’t be both – New Statesman