Die ersten Schwierigkeiten

Die ersten Schwierigkeiten

Foto copyright by Jürgen Jotzo / pixelio.de

Mit dem Taxi fuhren wir gemeinsam zu mir nach Hause. Ganz vorsichtig und so leise wie möglich öffnete ich die Wohnungstüre. Kein Mucks war zu hören. Ich legte meinen Zeigefinger auf den Mund und deutete Dreju an, ganz leise ins Wohnzimmer zu gehen. Auf Zehenspitzen bewegten wir uns durch die Wohnung. Ich holte Dreju noch etwas zu trinken aus der Küche und sah gleichzeitig nach den Kindern. Beide schliefen tief und fest.
Leise schloss ich die Wohnzimmertüre. Wir waren allein. Und waren es doch nicht. Das Wissen, dass meine Kinder in den Räumen nebenan schliefen, hemmte uns. Verlegen schauten wir uns an - dann mussten wir beide gleichzeitig ob der ungewohnten Situation lachen. Das war gut, so kam eine gewisse Lockerheit wieder zurück. Dreju kam lächelnd auf mich zu, nahm mich in den Arm und begann mich zu küssen...
Irgendwann lag ich glücklich und entspannt in seinem Arm und schlief ein.
"Guten Mor..." und ein darauffolgendes, langgezogenes "Ooooooh!" weckte mich am nächsten Morgen. Verschlafen rieb ich mir die Augen. An der Türe stand Marco mit weit aufgerissenen Augen, sein Mund war vor Erstaunen leicht geöffnet und er schaute von Dreju, der noch selig schlief, zu mir und wieder zurück. "Guten Morgen Marco" sagte ich leise und wollte noch hinzufügen:"Hast Du gut geschlafen?" Doch ich kam nicht mehr dazu. Marco machte auf dem Absatz kehrt, rannte in das Zimmer seiner Schwester und rief dabei laut: "Bianca! Das glaubst Du nicht...!"
Na super!  Das war genau das, was ich eigentlich meinen Kindern immer ersparen wollte. Dass sie unvorbereitet mit einem fremden Mann in meinem Bett konfrontiert wurden. Doch nun war es zu spät! In Windeseile hüpfte ich aus dem Bett, folgte Marco in Biancas Zimmer und schloss die Türe.
"Guten Morgen Ihr zwei!" sagte ich und nahm beide in den Arm. "Wie Ihr bereits bemerkt habt, hat Dreju heute nacht bei uns übernachtet. Das wird er vielleicht ab jetzt öfters tun." Marco und Bianca schauten mich mit großen Augen an. Beide waren sprachlos, beide schauten mich nur an und sagten kein Wort. Endlich fing Bianca an zu sprechen und bemerkte: "Das war ja abzusehen!"  Glücklich sah sie dabei allerdings nicht aus. Marco sagte nach wie vor nichts, er war mit der Situation einfach nur überfordert.
Ich konnte meine Kinder verstehen. Die letzten 9 Jahre hatten wir in unserer trauten Dreisamkeit gelebt, wir waren eine Einheit gewesen. Niemand hatte bis dato unser gemeinsames Leben in einer Ein-Eltern-Familie gestört - bis auf das Intermezzo mit Italo, als er aus Italien zurück kehrte. Doch nun - auf einmal - war das anders. Ein für die Kinder noch fremder Mann war in unserer Wohnung. Bianca fühlte sich mit ihren 13 Jahren dadurch gehemmt. Sie konnte sich nicht mehr so frei in unserem Zuhause bewegen, sie wollte z.B. nicht im Pyjama von Dreju gesehen werden. Auch bemerkte ich, dass ihre Gedanken weiter gingen. Ich war mit meinen damals 33 Jahren für sie eine alte Frau. Dass ich ein Sexualleben haben könnte, das war für sie bis dahin unvorstellbar. Sie begann gerade erst, sich für Jungs zu interessieren. Da kommt plötzlich ihre Mutter mit einem Freund an...
Marco hingegen - so glaube ich zumindest - fand das Ganze unter anderem.nicht so toll, weil mein Bett nun nicht mehr zu jeder Tages- und Nachtzeit für ihn und seine Schwester zum Kuscheln zugänglich war, so wie wir es bis jetzt immer gehandhabt hatten -  da lag ja nun bereits jemand anderes drin. Die Kinder hatten wirklich mit der neuen Situation zu kämpfen. Ich versuchte, die Spannung heraus zu nehmen und sagte:"Ich mach uns allen jetzt gleich mal ein tolles Frühstück. Was haltet Ihr davon?"  Mittlerweile schauten beide nur noch verlegen auf den Boden und nuschelten leise ein "Ok!"
Ich verließ Biancas Zimmer und schaute nach Dreju. Er war aufgewacht, als ich das Bett verließ und hatte die ganze Situation mitbekommen. Auch er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Als ich ins Zimmer kam, da war er gerade dabei, sich in Windeseile anzuziehen.
"Guten Morgen Cheri" sagte ich und schmiegte mich zärtlich an ihn. Er erwiderte liebevoll und kurz meine Begrüßung. Dann meinte er:"Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe. Ich will Deine Kinder nicht stören. Sie brauchen Dich jetzt."
"Bleib doch noch zum Frühstück, wir könnten doch alle gemeinsam frühstücken und ihr könntet Euch dabei wieder ein Stückchen weiter kennen lernen."
"Ein anderes Mal. Beloti, ich fühle mich gerade auch nicht wohl in meiner Haut. Ich fühle mich wie ein Eindringling, ich möchte jetzt gehen."
Traurig schaute ich ihn an. Ich verstand auch ihn. Ich fragte mich, wie ich mich an seiner Stelle fühlen würde und bemerkte, dass diese Situation auch für ihn nicht gerade angenehm war.
So kam es, dass Dreju ungefrühstückt am frühen Morgen nach Hause ging. Er verabschiedete sich kurz und relativ knapp mit einem "Au revoir mes enfants" in Richtung Kinder, nahm mich in den Arm und verabschiedete sich zärtlich von mir, dann war er weg.
Mit einem unangenehmen Gefühl blieb ich mit den Kindern zurück. So hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt. Wie gerne hätte ich mit den Kindern und Dreju gemeinsam gefrühstückt, doch die Befremdlichkeiten auf Seiten der Kinder und auch bei Dreju waren einfach noch zu groß.
Bedrückt schlichen Bianca und Marco durch die Wohnung und sprachen kaum. Am Frühstückstisch war ebenfalls Schweigen angesagt. Ich versuchte einen Smalltalk, doch beide gingen nicht darauf ein. Was sollte ich ihnen sagen? Ich wusste es einfach nicht, auch ich fühlte mich nun überfordert und beschloss, nichts weiter zu diesem Thema zu sagen. Ich hoffte, dass die Kinder auf mich zukommen würden, wenn sie darüber sprechen wollten.
Im Nachhinein betrachtet haben die Kinder und ich eigentlich nie so richtig über die veränderte Familiensituation gesprochen. Mit der Zeit gewöhnten sie sich an Dreju's Anwesenheit. Unter der Woche blieb Dreju fast nie bis zum nächsten Morgen, er ging meist gegen 5 Uhr, also noch bevor die Kinder aufstanden. Nur am Wochenende blieb er bis zum nächsten Morgen.
Die nächsten 3 Wochen kamen sich die Kinder und er kaum näher, Dreju ging ihnen aus dem Weg, wo immer er konnte. Er beteuerte oft, dass er Bianca und Marco mochte. Ich fragte ihn auch des Öfteren, ob er nicht einmal etwas mit mir und den Kindern unternehmen wolle. "Das ist noch zu früh", meinte er dann meist, für mich klang das wie eine Ausrede.
In den ersten Wochen kamen wir über ein oder zwei gemeinsame Spielenachmittage zu viert nicht hinaus. Das war zwar immer ganz nett, das Eis zwischen meinen Kindern und Dreju konnten diese Nachmittage jedoch nicht brechen.
Neben seinem Verhältnis zu meinen Kindern gab es da noch etwas, das mich beschäftigte.
Bis jetzt hatten wir uns immer nur bei mir getroffen. Noch nie hatte er Anstalten gemacht, mich auch einmal zu sich nach Hause einzuladen. Wie gerne hätte ich gesehen, wie  und wo er lebte. Das sagte ich ihm auch. Doch Dreju hatte immer eine andere Ausrede, wenn die Sprache darauf kam. Aufdringlich wollte ich auch nicht sein und so beschloss ich, eine Zeit lang nicht weiter danach zu fragen.
Irgendwann würde ich sein Zuhause zu sehen bekommen, da war ich mir sicher. Dass dies nie der Fall sein würde, damit rechnete ich zu keiner Zeit.


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