Ich habe erwartet und wurde auch von vielen Seiten darauf vorbereitet, dass die ersten Wochen schwierig und anstrengend werden und es mindestens bis zu den Herbstferien, oft sogar bis zum Ende des ersten Halbjahres, dauern würde, bis sich das eingeschulte Kind und alle Familienmitglieder an die Veränderungen, die neuen Anforderungen, den anderen Rhythmus gewöhnt hätten. Ich habe wahlweise mit völliger Überforderung und Überreizung, mit Aggressionen, mit Wut, mit Verzweiflung, mit Unlust und Boykott oder auch mit Apathie gerechnet und mich auf eine lange, anstrengende Zeit des Tröstens, Ausgleichens und Aufmunterns eingestellt. Ich hatte Angst davor, wieder der Puffer für viele negative Emotionen des Großen zu werden, wie schon so oft. Und ich hatte natürlich auch befürchtet, dass er meine Angst und Skepsis spüren würde.
Nichts davon ist eingetreten. Ich kann es selbst bis heute nicht glauben und erwartete täglich ein Platzen der Bombe, ein Ausrasten, ein Verweigern oder Zusammenbrechen von ihm. Ich erwartete ein Auf und Ab der Emotionen und Stimmungen, Müdigkeit und Erschöpfung, Verwirrung, Überforderung, Frust und Tränen. Dass es anders gekommen ist, finde ich unglaublich toll. Er ist da so pflegeleicht durchgegangen, dass wir, abgesehen vom organisatorischen Kram, fast nichts von der Veränderung gemerkt haben. Überhaupt, schon der Begriff "pflegeleicht" in Zusammenhang mit einer Umstellung im Leben des Großen liest sich fast unglaublich.
Ich glaube weiterhin, dass einen großen Anteil daran das Verbleiben in seinem gewohnten Umfeld inklusive vertrauter Freunde und anderer Kinder hatte. Das macht für Charaktere wie ihn unheimlich viel aus und ich bin froh, dass ich das als eines der ausschlaggebenden Kriterien für die Anmeldung auf der normalen Einzugsgrundschule herangezogen habe. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie verlassen und einsam er sich allein auf einer fremden Schule, in einer völlig neuen Umgebung gefühlt hätte. Er ist nicht der offene Typ, der schnell neue Kontakte knüpft und auf andere zugeht. Hier an seiner Schule geben ihm die Kinder, die er kennt (und das sind nur einige wenige unter 600 Schülern) Halt und er konnte dadurch auch schon ein paar neue Freunde finden. Das ist für mich schön zu sehen.
Er hält mit seinem neuen Wissen, seinen erlernten Kenntnissen und neuen Abläufen ziemlich hinter dem Berg und sprudelt nicht automatisch alles heraus, was er am Tag gelernt und erlebt hat. Manche Fragen über den Schulalltag, die ich ihm so stelle, kann er gar nicht beantworten. Ich denke, sein Gehirn schützt sich vor zuviel Input, indem es alles ausblendet, was nicht direkt "lebensnotwendig" im Schulleben für ihn ist. Das ist okay, ich kenne das selbst auch. Er ist aber ganz stolz, wenn wir seine Aufgabenblätter, bei denen er meist volle Punktzahl erreicht, aus seiner Postmappe rausholen und anschauen. Das Lesen und Schreiben lernen schreitet ganz langsam voran, aber auch das finde ich völlig in Ordnung, ich bin da komischerweise gar nicht so ungeduldig wie sonst. Seine Lehrerin wird es ihm schon beibringen. Bis jetzt gibt es keine Probleme oder Sorgen. Ich würde mir wünschen, dass die Klasse öfter und länger nachmittags rausgeht, aber das ist eben erzieherabhängig. Noch wichtiger ist mir, dass darauf geachtet wird, dass die Hausaufgaben im Hort erledigt werden, und das ist glücklicherweise der Fall. Denn dann kann ich beruhigt nachmittags mit den Kindern genau wie bisher auf den Spielplatz oder in den Park gehen.
In den 6 Wochen seit seiner Einschulung hat er die ersten beiden Milchzähne verloren. Er ist mit einem Nasenbeinbruch gestartet und kann mittlerweile wieder alles regulär mitmachen. Er geht allein (oder mit anderen Kindern) das letzte Stück des Weges bis hoch in seinen Klassenraum, hat aber keine Ambitionen, die darüber hinaus reichen. Er erledigt seine Aufgaben wunderbar, macht aber nichts Zusätzliches. Ich sehe, was ich schon länger wahrnehme, nämlich dass er kaum Ehrgeiz hat, sich selbst etwas Neues beizubringen oder etwas zu machen, was über die Anforderungen hinausgeht. Selbst im Rechnen, was ihm liegt, versucht er nicht selbstständig voranzukommen. Aber solange er die Anforderungen erfüllt, sich Mühe gibt und nicht unwillig dabei ist, bin ich auch zufrieden. Spezielle Interessen und damit eine intrinsische Motivation kommen vielleicht im Laufe der Zeit. In den letzten Wochen ging es vor allem darum, diese große Umstellung so reibungslos wie möglich zu gestalten.
In der ersten Ferienwoche wird er 2 Tage in den Ferienhort gehen, an den restlichen Tagen ist er anderweitig verplant. Und am nächsten Freitag fliegen wir für eine Woche in den Urlaub, da die Kita in der 2. Ferienwoche ebenfalls geschlossen ist. Juhu, wir freuen uns. Und dann beginnt der nächste Abschnitt unseres Schulkindes!