Die ersten Absätze aus "Masken"

Von Petit
Das Verlagsprogramm 2013 liegt in den letzten Zügen und geht bald an die Druckerei raus. Grund genug Euch noch ein bisschen anzuheizen! Hier sind, als kleine Leseprobe, die ersten Absätze der Kurzgeschichten aus der Anthologie "Masken"!
Viel Spaß beim reinlesen ^^
Masken
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Eitelkeit // Marina Clemmensen
Kenneth stellte den Kragen seines aus der Mode geratenen Gehrocks auf.
Nachdem er einen erneuten Blick in den von schwarzen Wolken beherrschten Himmel geworfen hatte, zog er den Kopf so weit zwischen die Schultern wie es ihm möglich war und spurtete aus dem Hauseingang heraus. Der Nachbar von gegenüber, welcher an seinem Fenster stand und sich das Unwetter von seinem behaglichen Heim aus anschaute, winkte grüßend. Kenneth erwiderte den Gruß mit einem sehr knappen Nicken, während er, mit einer Hand seinen Hut festhaltend, über die Straße rannte.
Der dunkle Prinz // Detlef Klewer
Walzerklänge erfüllten den Raum. Susanne … tanzte. Sie verlor sich in der wiegenden Musik, tanzte so leichtfüßig als habe sie in ihrem ganzen Leben nichts anderes getan. Mit geschlossenen Augen schwebte sie fast über den Tanzboden.
Besessen // Luisa Meißner
Grimmig lauschte Bakari auf das Wehklagen der Frauen, das sich überall im Dorf erhob. »Wir müssen etwas unternehmen«, knurrte er, »erst zerfleischt etwas all die Tiere, die wir jagen müssen, um zu überleben, und nun trifft es sogar unsere Stammesmitglieder. Das war jetzt schon das vierte Mal. Niako war noch ein Kind, verflucht!« Wütend trat er einen Kiesel über den ausgedörrten Boden.
Carmesí // Sabrina Železný
Die Nacht war außergewöhnlich warm; der Duft der Orangenblüten lag wie ein schwerer Schleier über der Stadt. Normalerweise liebte Raquel die bedrückende Süße, atmete sie gern in tiefen Zügen ein. Doch in dieser Nacht war es anders als sonst.
Dämonenmaske // Bianka Brack
Brittany sah versonnen auf den Bildschirm vor sich. Soeben machte sie eine Buchung für ein Pärchen fertig, welches in Las Vegas heiraten wollte. Sie schob ihre Brille ein Stück höher. Durch die Gläser wirkten ihre Augen unnatürlich groß. Doch sie benötigte sie, denn ohne war sie fast blind.
Danse Macabre // Corinna Schattauer
In ihrem Traum hörte sie eine Sirene, ohrenbetäubend laut.
Big Ben schlug Mitternacht. Sie stürzte zu Boden.
Dann wachte sie auf.
Die Maske des Gargoyles // Stefanie Bender
Winter 1886
Der Sturm tobt schon seit Stunden. Eisiger Wind fegt an den Schlossmauern entlang und dringt in jede Ritze des alten Mauerwerks. Die sonst so lebhafte Kleinstadt liegt wie ausgestorben zu meinen Füßen. Vereinzelt halten Kutschen an Haustüren, um auch die letzten Passanten in die sicheren vier Wände zu geleiten. Nach und nach erlischt das Licht hinter den Fenstern der Wohnungen. Vielleicht ist es die Angst, die sie veranlasst, die Häuser zu verdunkeln. Menschen haben immer Angst. Ihre Seelen sind zerfressen von Furcht und Zweifel. Ich spüre, dass der Sturm nur der Vorbote eines harten, langen Winters ist und der verhasste Schnee schon bald auf die Erde niederfallen wird.
Eine Harlekinade // Ellen Kaiser
»Narri!«, schallt es über die Menge. Ich rolle mit den Augen und zwinge mir ein »Narro!« hervor. Warum bin ich noch einmal hier? Ganz bestimmt nicht, weil ich Freude daran habe, verkleideten und nicht verkleideten Narren dabei zuzusehen, wie sie Scheiße bauen und sich besaufen.
Joyce // David Michel Rohlmann
Schwermütig erblickte ich die leuchtenden Kristallfenster des Schlosses, das wie eine weiß gepuderte Krone auf dem Gipfel des Berges thronte. Vor dem nächtlichen Horizont hob sich das Gebäude als bloßer Schemen ab und das dichte Schneetreiben erschwerte zusätzlich die Sicht, sodass ich froh hätte sein sollen, es überhaupt gefunden zu haben.
Baikalsee // Kriss Ruhi
Heute stand Jakob in der Redaktionssitzung vor mir. »Ihr neuer Kollege, Tim Schröder«, hieß es und Jakob grinste mich breit an. Er heißt Jakob, nicht Tim. Ich habe meiner Kollegin gesagt, dass mir schlecht sei und bin gegangen. Sofort. Gerannt. Und habe die Wohnungstür dreimal abgeschlossen. Was soll ich jetzt tun?
Der Tempel der Masken // Alexandra Neumeier
Wer wird er heute sein? Mein Blick streift über Metall und Seide, Holz und Stein, Pappmaché, Porzellan und Glas. Die Fackeln an den Wänden bringen Rubine zu feurigem Leben, spiegeln ihre Flammen auf Bronze. Kristalle werfen regenbogenfarbene Prismen auf matte Lederflächen, und die flackernden Schatten erwecken dunkle Augenhöhlen zum Leben.

Verborgene Düsternis // Markus Cremer
Die ärmliche Hütte lag am Rand der ausgedehnten Zuckerrohrfelder. In ihrer alten Heimat hätte die Hütte gerade für sie alleine gereicht. Jetzt teilte sie sich die windschiefe Unterkunft mit ihrem altersschwachen Bruder Danoo, ihrem Sohn Alifaa und seinem Weib Josepha. Ihr Bruder schnitzte an einer Figur, während sie den mageren Eintopf mit Kräutern aus der Gegend würzte. Sie konnte sich noch an die afrikanische Küste erinnern. Der Geschmack von Affenbrot schien vor ewigen Zeiten verblasst zu sein. Damals war sie die hübsche Buwaani gewesen, die Frau, auf deren Geheiß mehrere Dutzend Krieger ausrückten. Jetzt war sie in der Neuen Welt. Angeblich hatte der Präsident die Sklaverei längst abgeschafft, doch der Präsident kam nicht in ihre Gegend.

Die Geister der vergangenen Welt // Marie H. Mittmann
Dutzende Spiegelscherben schmiegten sich wie Schuppen an Violets Gesicht und glühten im Licht der untergehenden Sonne, während sich hinter ihr bereits der Mond über die Dächer erhob. Zwischen den Hütten der Stadt wurden Lampions entzündet; winzige Farbtupfer in einer Welt aus grauem, kaltem Metall. Windlichter brannten an den Rändern der Brücken, die die Gebäude der fliegenden Stadt miteinander verbanden. Aus dem leuchtenden Orange der Wolken tief unten im Abgrund wurde Pink, dann Violett und schließlich tiefstes Blau.
Was bin ich? // Nina Sträter
Zahllose Scheinwerfer tauchten die Studiobühne in gleißendes Licht, sodass es praktisch unmöglich war, die Zuschauer, die zu Hunderten auf den meterhohen Rängen des großen Saales saßen, zu erkennen. Dennoch wirkte Moderator Urs Wollschläger vollkommen souverän und gelassen, als er die Bühne durch einen schwarzen Samtvorhang betrat, zwischen den beiden bunt dekorierten Tischreihen, die darauf aufgebaut waren, hindurchging und sich mit seinem breiten, ungemein gewinnenden Lächeln vor dem für ihn unsichtbaren Publikum verbeugte. Von einer Sekunde auf die nächste wurde dröhnender Applaus hörbar, als habe jemand einen Schalter umgelegt.
Zeit des Übergangs // An Brenach
Feol Diszuk hasste die Zeit des Übergangs. Doch er hasste sie nicht, weil sich die Sonne drei Wochen nicht mehr zeigte und die Nächte lang und dunkel waren. Er hasste sie, weil sie die Zeit der gesellschaftlichen Verpflichtungen, der Maskenbälle und anderer Veranstaltungen war, bei denen er erscheinen musste. Zudem befahl das religiöse Gebot, sämtliche aggressiven Tätigkeiten wie Jagden oder Wettkämpfe, ja sogar die Gedanken daran, einzustellen. Damit war es im Grunde vorgeschrieben, sich wie ein Mensch zu verhalten, der höflich um Entschuldigung bat, wenn ihm jemand auf den Fuß getreten war, was kein anständiger Dämon jemals tun würde.
Zwischen Diesseits und Jenseits // Katarina Kojic
Ich schlafe nicht, ich schlafe nie, sollten Menschen nicht schlafen?
Aurelie Martine stand am Fenster ihrer Einzimmerwohnung. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet, fast so als könnte sie das pulsierende Leben der Metropole ausblenden. Die Lichter der Stadt erhellten den Nachthimmel, kein Stern war zu sehen, nur der Mond leuchtete einsam am schwarzen Firmament.