Die erste der neun Thesen zu Content und Dialog vom BVDW

Content und DialogKritische Überlegungen aus Sicht der PRGegenstand meiner bescheidenen Überlegungen soll einzig die erste der “9 Thesen zu Content & Dialog” vom BVDW sein. Online hier zu finden.
“Content nimmt durch digitale Kommunikation eine neue Rolle ein. Der passive Zuschauer, Hörer und Leser von einst wird in einer vernetzten Welt zunehmend zum aktiven Nutzer und sucht sich seine eigenen Informations- und Kommunikationsplattformen. Rein werbliche Inhalte (Content) verlieren in Social Media im gleichen Maße an Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit. Dadurch steigen die Anforderungen an die digitale Kommunikation auf ein neues, höheres Level. Die Chancen ebenso. Wenn Content es schafft, Dialoge zu erzeugen und zu nutzen sowie emotionale und rationale Mehrwerte zu transportieren, fungiert digitale Kommunikation als Bindeglied zwischen Mensch, Marke und Technik. Content wird zum kritischen Erfolgsfaktor für Social Media.”

Doch diese erste These wird allgemeinhin nur in der Kurzform zitiert, was in meinen Augen Probleme mitbringt. Die Kurzform wird vermutlich anders verstanden als die Langfassung. Ich betrachte im Folgenden also die Kurzform, wie sie beispielsweise im “Social Media Compass 2013/2014” des BVDW mehrfach gebraucht wird.

“Wenn Content es schafft, Dialoge zu erzeugen und zu nutzen sowie emotionale und rationale Mehrwerte zu transportieren, fungiert digitale Kommunikation als Bindeglied zwischen Mensch, Marke und Technik. Content wird zum kritischen Erfolgsfaktor für Social Media.”
Content wird zum Subjekt des Satzes. Inhaltlich setzt der Satz eine Mischung aus Wirkungs- und Kommunikationsmodell voraus. Als ich las, dass etwas “transportiert” wird, musste ich laut aufschreien. Das ist doch das längst überholte Kommunikationsmodell von Shannon & Weaver - oder halt ein moderneres Derivat davon!? Aber hier ein Sender, dort ein Empfänger - das geht überhaupt nicht mehr. Dieses Container-Modell ist genau das, mit dem das Anschreien der Kunden begründet wurde und teils noch heute wird. Das ist der Werber mit Megafon. Der Kunde hat nach kürzester Zeit einen Tinnitus. Dieses Modell wird nicht umsonst auch “Kanonenmodell” genannt. Dieses Modell besagt genau das Gegenteil von dem, was der BVDW anstrebt. Das weiß man aus der Langfassung. Von daher ist das Gewollte auf diesem Wege nicht erreichbar.

Dieses Modell ist veraltet - erst recht, wenn man vom Empfänger her denken will. Oder muss. Auf keinen Fall wird etwas hier auf den Weg geschickt, das dort genauso ankommt. Dann muss man mit des Kunden Verstehensprozessen beginnen, also Hermeneutik, dann beginnt man beim Vorverständnis, oder mit einem konstruktivistischen Modell, das erkennen als Konstruieren von Welten betrachtet. Und nein, es muss nicht immer gleich Merten sein. Dessen Ansatz übersieht, wie Wirklichkeit perturbiert, also stört, und somit Konstruktionen wieder in Frage stellt. Das kann in der Wirtschaft und Politik arg hinderlich sein, wenn dem Kunden oder Wähler nur wünschenswerte Wirklichkeiten verkauft werden, die durch Fakten gestört werden. Ein strenger Konstruktivist würde hingegen Anlässe für den Käufer oder Wähler schaffen, damit dieser seine Erkenntnisse selbst zusammenstellen kann. Wer also nicht ganz so ins Extreme gehen will, mag lieber einem dynamissch-transaktionellem Modell nahe stehen, also einem Nutzenmodell (“uses and gratifications”). Dieser Ansatz bewegt sich zwischen Kommunikations- und Wirkungsforschung beziehungsweise vereint beide. Ähnliches versucht die Kurzfassung auch, scheitert aber am Kanonenmodell. Es darf nicht mehr in Sender-Empfänger gedacht werden, weil das nicht mehr funktioniert und aus heutiger Sicht eher verwundern muss, dass es jemals funktioniert hat.

Oder nochmal, aber anders.

Methodisch möchte ich mich erneut dieser Kurzform der ersten These annähern, indem ich die Laswell-Formel verwende. Vorteil: Diese kennt jeder Kommunikator - oder sollte sie kennen - und er weiß, was mit ihr gemeint ist. Von dieser gemeinsamen Verstehensbasis nähere ich mich erneut dem Problem an, das es nun mit dieser Kurzform gibt.Zur Erinnerung - die Lasswell-Formel lautet: Who says what in which channel to whom with what effect. Die Kurzform schiebt nun das “say what” vor an den Beginn des Satzes. Das “who” fällt ganz fort. Und damit genau das, wie Content in der Welt ist: geschaffen, kuratiert und/oder geteilt. Ich behaupte nicht, dass es dem BVDW unbekannt ist, im Gegenteil, aber diese Kurzform verführt dazu, in Content inhärent eine Wunderwirksamkeit zu unterstellen, indem Content das Subjekt des Satzes wird. Die Kurzform beginnt mit einer Einschränkung “wenn Content es schafft” - also zugegeben: Content kann das nur, wenn diese Bedingungen erfüllt sind. Aber “Content schafft” das eben! Das Gemachte, Kuratierte und/oder Geteilte vermag das alles von selbst, so scheint es - was falsch ist.  Nach dem “says what” folgt also das “with what effect” in einem irreführenden Sinn. Zum Schluss widmet sich die Kurzform “in which channel” - der digitalen Kommunikation. Im Gegensatz zur Langfassung der ersten These wird nicht ganz klar, wie digitale Kommunikation und Content zusammengehören. Es scheint so, als wären sie gleichzusetzen, aber zwingend ist es nicht. Sie stehen in einer wenn-dann-Beziehung zueinander. Ah, if-then-else denkt sofort jeder, der mal ansatzweise etwas von Programmierung gehört hat. Aber es fehlt das Anderenfalls. Es wird einzig eine Einschränkung für Content genannt, die Folgen für die digitale Kommunikation hat. In der Langfassung erfahren wir wenigstens, dass die digitale Kommunikation neuen Anforderungen ausgesetzt ist, die aber neue Chancen bieten. Auch ein bisschen dünn - bei genauem Hinsehen - aber etwas mehr als die Kurzform bietet.Das Fazit der Kurzfassung: “Content wird zum kritischen Erfolgsfaktor für Social Media.” Schön, dann wissen wir wenigstens, warum wir uns mit Content beschäftigen sollten. Zumindest als Statement, denn hergeleitet ist es nicht, was allerdings auch nicht die Aufgabe einer These ist.Das Anliegen des BVDW ist unterstützenswert. Doch wer weiterhin in seinem Denken den Kunden mit Kanonen beschießt, kommt zu keiner kundenzentrierten Sicht, die direkt bei den Entscheidungs- und Verstehensprozessen des Kunden ansetzt, wenn wir mit ihm - oder noch besser - er mit uns in Kontakt tritt. Die vielzitierte Kurzfassung ist ja nur ein Teil der Langfassung. Folglich wird ein genauer Leser die gleichen Probleme ebenso bei der langen Version haben, auch wenn beim überfliegenden Lesen diese klarer erscheint.

Content und Dialog

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