Von Stefan Sasse
Als Erklärung für den Aufstieg der Piratenpartei wird gerne auch genannt, dass die Piraten so vollkommen anders reden würden als die normalen Politiker. Sie sind noch nicht in geschwurbelten Sätzen und nutzfreien Statements angelangt. Obwohl meine Prognose ist, dass eher die Piraten sich dem Kommunikationsverhalten der Etablierten anpassen werden als umgekehrt, aber ich drücke natürlich die Daumen dafür, dass eine gewisse neue Offenheit Einzug hält und, vor allem, von Öffentlichkeit und Medien auch gouttiert wird. Beispiele dafür, wie die eingefahrenen und ermüdenden Rituale politischer Kommunikation wirklich auf die Nerven gehen, haben wir gerade dieser Tage wieder erlebt. Da wäre zuerst der Röttgen-Rauswurf, auf den die SPD Neuwahlen forderte: "SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Neuwahlen als Konsequenz aus der Entlassung Röttgens. "Es wäre für Deutschland gut, wenn diese Selbstblockade der Bundesregierung endlich durch Neuwahlen beendet würde", sagte er der "Welt am Sonntag"." (Quelle) Was für ein vorhersehbares und völlig überflüssiges Statement! Weder wird irgendjemand gerade Neuwahlen durchführen wollen, auch nicht die SPD, die darauf gar nicht vorbereitet wäre, noch rechtfertigt der Anlass das irgendwie. Es ist das Schießen nach Spatzen mit Kanonen, einfach nur, um mit einem möglichst markigen Statement in jedem Artikel zum Thema erwähnt zu werden. Als Leser dieses Kommunikationsersatzes kann man nur den Kopf schütteln.
So absurd, dass es einfach nur ärgerlich ist, war aber der "Skandal" um Birgit Homburger. Gefragt, wie sie zum anstehenden Finalspiel Bayern vs. Chelsea stehe, sagte sie nur: "Das gucke ich nicht. Ich hasse Bayern München." Bevor wir uns mit dem Statement und dem darauffolgenden Shitstorm auseinandersetzen eines vorweg: es gibt kaum einen Lebensbereich, bei dem die inszenierte Volksnähe der Politik so lächerlich und erbärmlich rüberkommt wie beim Fußball. Ob das nun Schröder war, der verkündete, sein Fußballerlebnis bestehe aus "Brötchen holen und mitfiebern" (ich kenne dieses Statement immer noch) oder Merkel, die mit bemühter Begeisterung 2006 auf der Bühne jubelte. Das soll dann irgendwie natürlich wirken, volksnah eben. Kriegt man dann aber eine echte Reaktion, die nicht nur die (offensichtlich stillschweigend eingeforderte) Begeisterung für den aktuellen Mehrheitsfavoriten ist, ist es auch schlecht. Wer kann sich schon auf diese Nachfragen ein "Fußball interessiert mich nicht" erlauben? Das ist auch beileibe kein deutsches Phänomen. In den USA etwa muss ein Kandidat auch zu den aktuellen Baseball- und Footballspielen etwas zu sagen haben. Aufgesetzt ist so was eigentlich immer.
Und jetzt kommt Homburger und lässt ein genuines Statement raus. Die Reaktionen darauf sind geradezu brillant und überschlagen sich schier. Es ist ein bisschen Fußballvolksgerichtshof dabei. Zwei Zitate:- "Ich bin stinksauer wegen dieses unsportlichen Verhaltens. Das kann nur jemand sagen, der von Sport und Fußball überhaupt nichts versteht. Wer so etwas sagt, disqualifiziert sich selbst." (der bayrische Wirtschaftsminister Martin Zeil),- "So einen dummen Spruch kann nur ein Vollpfosten bringen. Frau Homburger fehlt offenbar jegliches Zeug zu einer deutschen Spitzenpolitikerin. Sie ist als stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende nicht länger tragbar und sollte sofort zurücktreten, anstatt uns das Finale dahoam zu vermiesen. Homburger hat ohne Nachdenken Millionen bayerische Fußballfans in ganz Deutschland beleidigt. Platzverweis und Sperre für Birgit Homburger! Mit diesem hirnverbrannten Satz hat sie sich für lange Zeit ins Abseits geschossen." (der parl. Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion in Bayern, Tobias Thalhammer)
Verrat! Cleverer war übrigens Joachim Gauck, der "im Stadion Daumen drücken" will. Auch Claudia Roth ist "natürlich für die Bayern", denn hier spielt ja eine deutsche Mannschaft gegen den Engländer, und auch in Zeiten von Globalisierung und europäischer Integration muss das Herz halt national schlagen. Dieses nach-dem-Mund reden und die völlig überdrehten Reaktionen auf Homburgers Moment der Wahrheit lassen mich nur kopfschüttelnd zurück. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dem Wähler sei wichtig, welche Fußballmannschaft Birgit Homburger mag, oder Claudia Roth? Macht es jemanden als Spitzenpolitiker untauglich, wenn er keine Lust auf Fußball hat, oder auch nur auf einen speziellen Verein? Wäre das nicht viel natürlicher und volksnäher als die inszenierte Begeisterung für ein Mainstream-Event? Ich bin wahrscheinlich zu naiv. Aber diese Kommunikationskultur ist reif für den Mülleimer.