Die Erinnerung wird an die Elektronik delegiert

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Ein interessanter Aspekt unseres Menschseins ist der Wunsch, sich an die eigene Geschichte zu erinnern. Auch Tiere haben ein mehr oder weniger ausgeprägtes Erinnerungsvermögen. Aber sie heben keine Andenken auf und dokumentieren keine vergangenen Ereignisse.

Früher waren die Menschen brillant im Weitererzählen. Der Epos wurde oft in Versform formuliert, damit man sich diese Erzählung besser behalten konnte. Dann konnten die Heldentaten der Vorfahren über Generationen weitergereicht werden.

Viele Herrscher ließen sich ihre Erfolge zudem noch in Stein meißeln. Die Trajanssäule in Rom erzählt spiralförmig (23 Windungen) auf 34 Höhenmeter, mit tausenden von Figuren von Kriegen und Siegen der Römer gegen die Daker am fernen Bosporus.

Gemälde und Gesänge sollten der Erinnerung nachhelfen.

Aber das Meiste in all den Dörfern und Gehöften, in den Tälern und auf den Hochebenen, bei den Stämmen und Clans wurde bald wieder vergessen, nachdem es geschehen war. Wie viel Liebeskummer und wie viel Glückseeligkeit, wie viele Krankheiten und wie viele schöne Zufälle sind so einfach verschwunden?

Unsere heutige Zeit hat eine unvorstellbare und radikale Veränderung gebracht. Jeder Freitagabend, jeder Urlaub, jedes auch noch so unbedeutende Lebensereignis ist perfekt, ja fotorealistisch Dokumentiert, oft auch gefilmt und im Originalton abgelegt. Aber auch ohne aktives Beitun wird erinnert: aufgrund von Kreditkarten ist das Kaufverhalten dokumentiert, aufgrund der Google-Sucheingaben sind die persönlichen Interessen festgehalten und das moderne Handy dokumentiert den eigenen Aufenthaltsort auf den Meter genau. Aber ist das wirklich “Erinnerung”? Nicht im Innern.

Man kann sich heute an alles erinnern – aber nur wenn das Ladegerät funktioniert. Nur wen es Strom gibt. Nur wenn der Zugriff auf die Cloud klappt. Nur wenn das Handy nicht aussteigt. Nur wenn die Ortungssateliten im Orbit richtig funktionieren.

Und ansonsten legt sich wieder das Vergessen über das Land. Genau wie früher. Es bleibt das immerwährende Jetzt..

Tipps: Tagebuch schreiben, Skizzen machen, Erinnerungsstücke einkleben, Gedicht über den Urlaub schreiben, Gedicht zu einem Lied vertonen, Erinnerungsfotos ausdrucken und einkleben, Worte finden, Gefühle beschreiben, anderen Erzählen.


Oben: Besorgt / 65cm x 45cm Gouache auf Aquarellpapier / 2005, Nr-05-042
Unten: Alte Bahnweiche in Basel / Schwarzweissfotografie Papierabzug 2004