Die Erinnerung steht am Beginn

Am 24. Oktober startete das Festival Wien Modern in die Saison 2013. Nach einer ausführlichen Einführungsrede des Musikhistorikers Jürg Stenzl, in welcher er hauptsächlich die Musik Berlioz und Nonos gegenüberstellte, standen insgesamt drei Konzerte auf dem Programm. Das RSO, treuer Begleiter des Festivals unter Cornelius Meister, spielte zum Auftakt „The Gliding of the Eagle in the Skies“ von Peter Eötvös, dem in diesem Jahr der Festivalschwerpunkt gewidmet ist.

Die Erinnerung steht am Beginn

RSO bestritt das Eröffnungskonzert von Wien Modern im Konzerthaus (Foto: Markus Sepperer)

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RSO bestritt das Eröffnungskonzert von Wien Modern im Konzerthaus (Foto: Markus Sepperer)

Die Erinnerung steht am Beginn

RSO bestritt das Eröffnungskonzert von Wien Modern im Konzerthaus (Foto: Markus Sepperer)

Die Erinnerung steht am Beginn

RSO bestritt das Eröffnungskonzert von Wien Modern im Konzerthaus (Foto: Markus Sepperer)

Die Erinnerung steht am Beginn

RSO bestritt das Eröffnungskonzert von Wien Modern im Konzerthaus (Foto: Markus Sepperer)


Dabei erklang ein facettenreiches, in sich unglaublich buntes Stück, das eine Auftragsarbeit des baskischen Nationalorchesters Euskadiko Orkestra war. Als Erklärung zur Entstehungsgeschichte schreibt Eötvös über die Bilder, die er nach dem Kennenlernen der baskischen Musik hatte: „Als ich diese Musik hörte, sah ich ein Bild vor meinem inneren Auge: einen Adler, hoch am Himmel gleitend, bewegungslos, mit weit gespannten Schwingen. Ich sah den blick des Adlers, hörte das Rauschen der Flügel im Wind, spürte den endlosen Raum und das Gefühl vollkommener Freiheit.“ Und tatsächlich wird durch das rasche Schlagen der Finger auf Sitztrommeln unmittelbar der rhythmische und kraftvolle Flügelschlag eines Raubvogels hörbar, der sich durch das gesamte Stück zieht. Stark von Percussionsinstrumenten durchtränkt, blitzen verfremdete Melodien in unterschiedlichen Instrumentengruppen durch, um immer wieder dem Flügelschlagen hörbaren Raum zu lassen. Obwohl es sich um ein nicht allzu langes Stück hält, schafft der Komponist zuweilen eine beinahe symphonische Satzdichte, die er aber kontrastierend Unisono-Teilen entgegensetzt. Ein kleiner, gänzlich unerwarteter Pfeifenauftakt beendet das Werk, das in großen Teilen von einer dunklen Stimmung getragen ist.

Danach stand Salvatore Sciarrino mit „Giorno velato presso il lago nero“ für Violine und Orchester auf dem Programm. Er hätte sich nicht wirklich entscheiden können, konstatiert der Komponist in seiner Werkbeschreibung. Um aber einen Eindruck zu geben, was tatsächlich zu hören war, muss man die Erklärungslatte viel tiefer hängen. Von einzelnen stimmlosen Instrumenten, denen die Solovioline voran stand, war lange Zeit nicht viel mehr als ein leises Seufzen und Kratzen, ein Schnuppern und Quietschen zu hören, bis sich die minimale Geräuschkulisse zu einer hörbaren ausweitete. Ganz wie im zuvor gespielten Werk dominierte auch hier eine dunkle Grundstimmung. Kleine Tonfolgen ergeben schließlich eine Melodie, hinter der sich das Orchester zusammenballt. Im Schlussteil greift Sciarriono noch einmal auf das Phänomen der hörbaren Stimmlosigkeit zurück und verwendet auf- und abbrausenden Wind als musikalisches Stilmittel. Die Erklärung im Programmheft „seine Musik zeichnet sich dadurch aus, dass sie zu einer anderen Art des Hörens … veranlasst“ – trifft auch in diesem Werk ganz zu.

Der letzte Programmpunkt des Eröffnungsabends war Luigi Nonos „Il canto sospeso“ für Sopran- Alt- und Tenorsolo, gemischtem Chor und Orchester gewidmet. Dass es in diesem Jahr zur Aufführung gelangt, ist mehr als sinnvoll, müssen wir doch das Gedenken an die Pogromnacht begehen, die vor 75 Jahren stattfand. So steht auch bei Wien Modern in diesem Jahr die Erinnerung am Beginn der Veranstaltungen. Das Stück baut auf Texten von Menschen auf, die unter den Nationalsozialisten ermordet wurden und zuvor noch an ihre Familie Nachrichten schreiben konnten. Dem Orchesterwerk liegt eine ausgeklügelte Kompositionstechnik mit einer mathematischen Logik zugrunde, aber auch ohne diese zu bemühen, ist es ein beeindruckendes Werk. Scharfe Dissonanzen, in einem Satz eine nervöse Grundstimmung, einzelne Stimmen, die fast hoffnungslos gegen den großen Orchesterapparat gestellt werden, bestimmen das Geschehen. Den größten Eindruck hinterlässt jedoch die Tatsache, dass Nono dem Grauen hier ein einfaches Rezept entgegensetzt und das unmenschliche Geschehen ganz unaufgeregt und ruhig in Töne umsetzt. Die gefasst wirkenden letzten Nachrichten tauchen in kleinen Melodien so unprätentiös auf, dass man, würde man den Hintergrund nicht kennen, nicht wahrnehmen würde, dass es sich um die letzten Worte von Menschen auf dieser Erde handelt. Gerade diese Unaufgeregtheit ist ein adäquates Mittel, um den Schrecken dieser Zeit, der ja gerade auf einer perfiden Logik und Logistik baute, beschreiben zu können. Eine überlange Stille erfüllte den Saal nach dem Ende – adäquater hätte das Publikum seine Achtung vor diesem Werk nicht ausdrücken können.

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