"Die Ereignisse nicht politisch missbrauchen" - Demokratie als Simulation?

Wer in den 80ern aufgewachsen ist, ist nicht nur mit Kernspaltung groß geworden sondern auch mit einer Spaltung des Bewusstseins durch Regierung und Atomlobby. Unsere Regierung unterstützte die Overkilldrohung gen Osteuropa mittels Atomraketen. Die Phantasien konnten nicht schlimm genug sein, die wir beim "Feind" erregen wollten. Wer uns angreift stirbt als Zweiter, lautete die Botschaft. Und die Funktionäre des Warschauer Paktes taten genauso.
Es gehörte also dazu und war im Interesse aller Regierungen, sich Atomkraft als die schlimmste aller vorstellbaren Zerstörungskräfte vorzustellen. Dazu wurden Videos und Fotos von den zerstörten japanischen Städten und Atomversuchen in Wüsten und über Atollen herumgezeigt.
Wer Atomwaffen herstellen wollte, brauchte dazu Atomkraftwerke und Wiederaufbereitungsanlagen für die Anreicherung. "Zu rein friedlichen Zwecken." Die gleiche Bevölkerung, die sich vom Overkill schockieren lassen sollte, sollte bitte schön ebenso gehorsamst glauben, nein: schlucken:, dass von Atomkraftwerken keine Gefahr ausgehe. Atomphysiker in den Kommunikationsetagen deutscher Kraftwerksbetreiber vertraten die Ansicht, es sei rein ihre Sache, über die Nutzung der Kernenergie zu entscheiden. Wer nicht Physik studiert habe, habe in der Öffentlichkeit den Mund zu halten. "Diffus Angst zu haben", legitimiere einen nicht, Panik zu schüren.
Eine solche Haltung, die Physiker wie Dr. Münch bei RWE und Prof. Knizia bei VEW vertraten, waren geeignet, intelligente Menschen in die Schizophrenie zu treiben: Was denn jetzt? Die Atomenergie, unsere Zerstörungswunderwaffe und friedliche Verheißung des Schlaraffenlandes?
In einer Demokratie hat jeder das Recht, über seine Belange, Dinge von denen er selbst betroffen sein kann, mitzureden und seine Wahlentscheidungen danach zu treffen. Entscheidend ist, ob er von Maßnahmen anderer betroffen ist und nicht, ob er sich via Studium dazu qualifiziert hat, die Maßnahme in aller Tiefe zu beurteilen. Es ist legitim zu sagen: "Atomkraft wollen wir nicht." auch wenn es unterm Strich falsch sein sollte. Und genau so legitim und wichtig ist es, dass Journalisten darüber schreiben, auch wenn sie Prüfung in Kernprozesstechnik abgelegt haben.
Aber wer stellt fest, was falsch und richtig ist? Darüber hatte ich mal eine Diskussion mit dem Gründer des Dortmunder Energiewendekomitees. Ich sagte, wir müssen herausfinden, was falsch und richtig ist und dann objektiv entscheiden. Er sagte: In poltisichen Diskursen gibt es kein objektives Urteil sondern letzten Endes nur Interessen. Und denen ist an der Wahrheit nicht nur nicht gelegen, ihre Positionen verhindern auch die Wahrheitsfindung. Jeder muss sich selbst ein Urteil auf Basis seiner Werte und Erkenntnisse und Informationen bilden. Wer uns Informationen vorenthält, von dem lassen wir uns nicht den Mund verbieten sondern stärken unser Misstrauen gegen ihn.
Heute glaube ich, dass er damit recht hatte. Und ich glaube Reaktorbetreibern kein Wort mehr. Nirgendwo auf der Welt. Weil ihr Interesse am Weiterbetrieb zu groß ist, ist von den Managern der Reaktorbetreiber kein wahres Wort zu erwarten. Jedenfalls, solange es um unbequeme Wahrheiten ginge. Man erinnere sich an Vattenfall an Asse2 und lese bei Wikipedia über TEPCO.
Wenn nun das deutsche Atomforum, die Lobbyorgansisation der deutschen Atomwirtschaft, darauf hinweist, das Fukushima bei uns nicht eintreten könne, weil es bei uns keine Tsunamis gebe, grenzt das an Volksverdummung. Wenn das Atomforum es für zu früh hält, sich ein Urteil zu bilden, weil zu wenig Informationen vorliegen, dann wollen sie die Diskussion nur auf möglichst später verschieben, wenn wir den Moment der erschreckenden Erkenntnis möglichst weit hinter uns gelassen haben.
Wenn es um Regierungs- und Unternehmenskommunikation in Krisen geht, muss man vor allem auf die Dementis achten. Sie sprechen an, was verborgen werden soll. Wenn die japanische Regierung ihre Bevölkerung zur "Ruhe" aufruft und den Evakuierungsradius ums Kraftwerk vor Tokio enden lässt, ist das das letzte Zeichen, sich einen Interkontinentalflug zu besorgen.
Wenn CDU und Atomforum uns auf Twitter (dem erwiesenermaßen wichtigsten Medium des Volkes wenn Gefahr in Verzug ist) davor warnen, die Katastrophe von Japan für politische Zwecke "zu missbrauchen", ist das an Volksverachtung und Durchtriebenheit nur schwer zu überbieten. Es offenbart, dass beide Demokratie nur als steuerbare Simulation verstehen, in der es bitte nie ernst zu werden hat und auch nie ums Eingemachte gehen darf.
Als vermeintliche Islamisten am 11. September ein Flugzeug ins WTC steuerten, konnte der "Missbrauch der Ereignisse für politische Zwecke" gar nicht groß genug sein. Da wurden keine Nebelkerzen gezündet, dass der 11. September "bei uns so nicht passieren könne", etwa weil wir gar kein World Trade Center haben". Nein, da genügte die geringste Ähnlichkeit, das geringste Indiz für massivste Einschränkungen und Ausbauten des Überwachungsstaates.
Daran erkennen wir: Politiker und Lobbyisten verfahren so, wie es ihren Interessen am meisten dient. Das gilt auch für die Laufzeitverlängerungen unserer Altreaktoren, das galt für Asse2.
Dazu kommt: Manager wie Knizia und Münch verstanden ihr Fach immerhin soweit, dass sie bei einem Störfall zumindest fachlich verstanden hätten, was zu tun ist. Ich traue den heutigen Managementstrukturen dieser Unternehmen nicht einmal das zu. Vattenfall war das beste Beispiel: Bei Vorfällen in Brunsbüttel wurde bereits Entwarnung gegeben
Deshalb sind die Altreaktoren abzuschalten!

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