Auf den Weg zurück zur Erde.
Der Papst gab vor einigen Wochen einer Jesuiten-Zeitschrift das erste große Interview seines Pontifikats. Was da durchschimmerte war ein "linker Katholizismus", der von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie gelernt hat. Die Medien haben den Inhalt dieses Interviews doch nur weitestgehend oberflächlich erfasst. Franz geht es nicht lediglich um Schwule und um in der Kirche benachteiligte Frauen, sondern um eine General-Verweltlichung der Kirche. Er fordert eine Annäherung an die moderne Welt wie sie ist. Eine Einbeziehung ihrer Erscheinungen. Dazu gehört unter anderem auch, sich der Problematik des Kapitalismus zuzuwenden. Dass der zunehmend Menschen in einen globalen Discount-Markt verfrachtet, muss von der Theologie zur Kenntnis genommen und kirchlich aufgegriffen werden.Die letzten Pontifikate waren von einer Transzendierung der katholischen Vorstellungen geprägt. In der sollte es unter anderem keine Homosexuellen und nur wenig Frauen geben. Über Ausbeutung wurde möglichst wenig gesprochen. Das alles waren ja nur Sorgen der Welt. Die Kirche stand darüber. Dass es gleichgeschlechtliche Liebe gibt, kreidete man einer irren Welt an. Frauen, die kirchliche Ämter anstrebten, tat man als Modesünde ab. Franz wirbt dafür, die Welt so anzunehmen wie sie ist. Back to the rootes, das heißt auf katholisch: Zurück zur Erde - und die Vielfalt anerkennen, tolerieren, einbinden.
Die politische Linke warf der katholischen Kirche gerne vor, dass sie zu viel in ihrem Ideal stöbere, sich in ihrer Abgehobenheit nicht mehr um das kümmere, was den Menschen und den Gläubigen wichtig erschien, was ihnen Sorgen bereitete. An der Realität richtete sie sich gar nicht mehr aus. Dieselbe Linke warf (und wirft) der als Marionette der neoliberalen Agenda fungierenden Politik das glatte Gegenteil dessen vor. Sie vermesse die Wirklichkeit nur an Finanzierbarkeiten und Sachzwängen, sei völlig realpolitisiert. Rückgrat um Ideale zu erhalten und zu pflegen habe sie nicht. Sie verwässere die Ideale der Demokratie zugunsten eines Marktes, der gegenteilige Vorstellungen von der Welt habe.
Insofern könnte die Politik von der katholischen Kirche unter dem amtierenden Papst lernen. Die plant ja nicht weniger als einen „realpolitisch konzeptionierten Idealismus“. Ein an Idealen geknüpftes Heranschieben an die Realität. So ein Konzept würde unserer politischen Kultur auch nicht schaden. Wenn man so will, ist die katholische Kirche im Begriff, ihren Extremismus aufzugeben. Sie installiert (zunächst nur theoretisch) einen Dualismus, der den Materialismus hienieden einbindet und dabei den Idealismus weiterhin hochhält. Eine Politik, die diesen Dualismus plante, würde sich von den Spin-Doctors des Neoliberalismus emanzipieren. Die im Fatalismus der Märkte gefangene Menschheit würde wieder zu einer Gattung werden, die ihr Dasein nach wenigstens etwas freieren Willen gestalten könnte.
Man darf nur hoffen, dass die katholische Kirche bei ihrer „Entdeckung der Welt“ nicht in jenen Strudel der Beliebigkeit abdriftet, in den die evangelische Kirche teilweise geraten ist. Neulich sagte mir eine evangelische Pfarrerin, dass ihre Kirche weltbezogener sei. Denn sie theologisiere so: Eine Ehe sei besser als zwei, zwei besser als drei und immer so weiter. Das sei gesunde Pragmatik. Mir ging da jegliches Ideal ab. Das klang hedonistisch und Partnerschaft war da nicht mehr als ein austauschbares Sonderangebot. Kann man nicht ein Ideal, ein Vollkommenheitsmuster hervorheben und das etwaige Scheitern daran als menschliche Normalität trotzdem einkalkulieren?
Wie beliebig die evangelische Kirche in ihrer Weltlichkeit doch ist, zeigte sich zur Zeit, da Schröder die Agenda 2010 durchrang und Bischof Huber diesen pragmatischen Reformgeist lobte. Damals empfahl er der EKD auch, sich betriebswirtschaftlich vernünftiger zu organisieren. So sollte man in Rom eine weltlichere Ausrichtung natürlich nicht verstehen.
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