Der englischen Küche haftet ja leider besonders im Ausland immer noch ein recht zweifelhafter Ruf an, warum das so ist, also ich mache da 'mal einen Erklärungsversuch:
Historisch gesehen basierte die Küche auf der Insel auf überlieferten Traditionsrezepten mit dem überall vorhandenen Einfluss der französischen Küche. Hinzu kamen die neuen Zutaten und Rezepte die aus allen Ecken des britischen Empire auf die Insel kamen. Die Produkte waren 'selbstgezogen', und in Sachen Fleisch, Steaks, Sunday Roasts etc waren die Briten die Experten in Europa schlechthin, nicht umsonst werden sie von den Frenchies immer noch liebevoll 'Le Roastbeefs' genannt. In Sachen Fleisch kann man uns hier nix vormachen. Heute sind die 'Welfare Standards' bei der Fleischproduktion auf der Insel viel strenger als z. B. im benachbarten Ausland. Hier wird Fleisch nicht mit Niedertemperatur (gar noch in Plastik eingeschrumpft im Wasserbad - wer hat so etwas Perverses nur erfunden?) gegart, denn hier weiss man man um den korrekten Garzeitpunkt für ein Fleischstück! Da muss man sich nicht mittels Krücke behelfen.
Im 18. Jahrhundert kam dann die Industrielle Revolution, da wurden die Massen mobilisiert, um in den neu entstandenen Fabrikationsanlagen im Norden zu arbeiten. Männer, Frauen und Kinder, alle mussten ran. Die Familien zogen in die Städte, weg von ihren kleinen Nebenerwerbslandwirtschaften. Lebensmittel wurden nicht mehr selbst produziert, sondern gekauft.
Die Emanzipation der Frau schritt im Zuge dieser gesellschaftlichen Umschichtungen rapide voran, das Frauenwahlrecht wurde schon Mitte des 19. Jahrhunderts (mit Einschränkungen) gewährt. Frauen standen im Arbeits- und Gesellschaftsleben 'ihren Mann', da kam das bisschen Haushalt schon 'mal zu kurz.
Die beiden letzten Kriege wurden zwar gewonnen, führten aber dazu, das Lebensmittel noch bis in die 50ger Jahre rationiert werden mussten. Da gab es eine ganze Dekade von nicht verfügbaren oder aber 'Ersatz'-Produkten. Dazu kam noch, dass die Abwesenheit der Männer in den Kriegsjahren eine ganz neue Generation von berufstätigen Müttern hervorbrachte. Frauen übernahmen schon früh wichtige Positionen im Arbeitsleben.
Diese Mütter hatten nun ganz andere Dinge zu tun, als der Familie aufwändige Mehrgänge-Menus zuzubereiten. Gleichzeitig brachte die Nahrungsmittelindustrie immer mehr Produkte hervor, die es der Frau, trotz Berufstätigkeit weiterhin ermöglichte, Ihre Familie zu versorgen. Zuerst kam das Dosenfutter (Baked Beans, Spaghetti Hoops, Corned Beef, die bekannten Vertreter), dazu gesellten sich allerlei pulverisierte Lebensmittel und heutzutage gibt es wohl nirgends in Europa mehr Fertiggerichte als im britischen Supermarkt. Die Auswahl und auch die Qualität sind vielfältig, es ist für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas dabei.
Die im europäischen Vergleich emanzipiertere Stellung der Frau ist denke ich der Schlüssel, dazu warum es mit der Küche hierzulande lange Zeit so schlecht stand. Wir blicken auf eine Tradition von starken Frauen (ok, Königinnen) zurück (Danke Euch: Elisabeth I, Mary, Victoria und Elisabeth II), und auch Maggie Thatcher hat uns schon in den 80gern gezeigt, dass Frau sehrwohl die Geschicke eines Landes lenken kann. Zum Kuchenbacken hatte sie da sicher nicht mehr viel Zeit gehabt.
Also meine Theorie ist: Je mehr Emanzipation und Mitverantwortung der Frau in der Gesellschaft, je schlechter ist es um die Versorgungslage der Familie bestellt - alles geht eben nicht, sonst wären wir ja alle Superwoman!
In Ländern wie Italien, Frankreich und auch Deutschland waren traditionell weniger Frauen berufstätig (und vom Einfluss der Kirche in diesen Ländern wollten wir gar nicht sprechen, ich sage nur: KKK = Kirche, Küche, Kinder!) und hatten daher viel mehr Zeit sich zum Beispiel mit der Handfertigung von Pasta etc zu beschäftigen... aber auch das ist im Umbruch, so bedauert man in Italien. Frauen gehen auch dort vermehrt arbeiten und die Familien verlernen das Kochen....
Und hier setzt nun bei uns auf der Insel der oft so miss-verstandene Jamie Oliver an. Im oben gezeigten Kontext will er uns überzeugen, dass wir eben nicht auf die allseits verfügbaren Fertiggerichte zurückgreifen müssen, sondern dass wir ganz locker in 30 Minuten auch noch ein drei-Gänge-Menu zaubern können. Keine Angst vor den Produkten, kein Fremdeln mit den Rezepten, alles easy - das passt schon!
Und wie sieht es heute wirklich aus? Ich finde: Britain Rocks! Sicher kann man hier immer noch recht mittelmäßig essen, aber das kann einem, da sind wir jetzt mal ehrlich, überall passieren, aber vertut Euch nicht, das Blatt hat sich in den letzten 10 Jahren entscheidend gewendet, das Vakuum in den Familien wird mit immer neuen Kochshows gefüllt, in keinem Land gibt es so viele TV Köche, Kochbuchvorstellungen und immerzu Ideen.
Die Märkte und Geschäfte sind voll von den faszinierendsten Zutaten. Organic ist das Zauberwort. Shows wie 'Come Dine with me' (auch bekannt als 'Das Perfekte Dinner'), 'Masterchef', 'Ready Steady Cook' und reichlich Variationen zu diesen Themen, alle diese Konzepte wurden hier entwickelt. Supper Clubs, Underground Restaurants, you name it, es wurde auf dieser kleinen Insel erfunden. Eins steht fest: In Sachen Kochtrends haben die Briten die Nase heutzutage ganz schön vorn!!!!