„This is not a curtain“ hört man den Vorhang mit Lautsprecherstimme sagen. Und bald darauf erklärt die Computerstimme weiter, dass er nichts weiter als ein langer, breiter, schwarzer und schwerer Stoff sei. „Ceci n’est pas une pipe“ beschriftete vor mehr als 80 Jahren schon René Magritte eines seiner bekanntesten Werke, das den Titel „Der Verrat der Bilder trägt“ und eröffnete damit die Diskussion über die Wirklichkeit eines Abbildes. Michel Foucault hat sich gerade dieses Kunstwerkes angenommen und über das Paradoxon zwischen Wahrnehmung und Realität geschrieben.
Dieser Querverweis zur bildenden Kunst wird nicht der einzige bleiben, der in der Bühnenperformance „I’m not here says the void“ von Julian Hetzel zu sehen sein wird. Das ist weiter nicht wirklich verwunderlich, studierte Hetzel doch Bildende Kunst in Weimar. Sein Arbeitsstil ist geprägt von einer Interdisziplinarität zwischen den Genres des Theaters, der Bildenden Kunst, Performances und allen erdenklichen Mischformen. Der Künstler lebt sowohl in Leipzig, als auch in Amsterdam, was wohl einen zusätzlichen Schub an Kreativinput bedeutet.
Auf der Bühne des brut müht sich ein junger Mann auf seinen Knien rutschend, um den Platz vor dem Vorhang mit einer schwarzen Plastikplane zu bedecken. Er macht es ruhig, ohne zeitlichen Druck, ohne Worte. Dann verschwindet er liegend hinter dem „Stoff“ und zieht dabei das große Plastikteil mit sich, bis es ganz aus dem Blickfeld verschwunden ist.
Als er später wieder vor den Vorhang tritt und ihn langsam zur Seite schiebt, meldet dieser sich abermals mit seiner artifiziellen Stimme und protestiert heftig, um sich schließlich dem Unvermeidlichen doch zu ergeben und zu verstummen. Der Blick ist nun frei auf ein einfaches Sofa, so wie es in jedem Möbelhaus zu Tausenden unter dem Label „Junges Wohnen“ verkauft wird. Sein Bezug, oder vielmehr Nicht-Bezug ist aus dem gleichen Stoff gemacht wie der Anzug des Mannes und eines zweiten, der bereits auf diesem Sofa sitzt. Er tut dies, als ob er auf etwas warten würde. Wie im Vorzimmer einer Arztpraxis oder einer Institution. Manches Mal sieht er dabei ins Publikum und spiegelt dessen Erwartungshaltung. Hinter ihm, an der Rückwand, ist eine elektronische Tafel zu sehen, auf der unterschiedlich färbige Lämpchen leuchten. Die Szene dauert eine Ewigkeit. Man meint schon, ungestört ein kleines Nickerchen machen zu können, ohne etwas zu verpassen, als der Sitzende schließlich die schwarze Plane dazu benützt, um sie über sich zu ziehen und darunter zu verschwinden.
Schließlich rücken doch beide Männer wieder ins Zentrum des Geschehens und setzen sich nun vereint auf die Couch. Das Spiel mit dem Nicht-Spiel beginnt von Neuem, dieses Mal vom Publikum schon mit leisem Gelächter quittiert. Schließlich weiß man, dass ja noch etwas kommen muss. Und tatsächlich tritt die schwarze Bauplane nun wieder in den Mittelpunkt des Geschehens. Wird über den einen Körper drapiert, so, dass man meint, eine Skulptur vor sich zu haben, die sich, wie schon zuvor, in ihrer Körperlichkeit wieder komplett auflöst. Das Spiel mit der Nicht-Präsenz in der gleichzeitigen, objektiven Anwesenheit funktioniert. Die Grenzziehung zwischen Aktion und Objekt verschwimmt permanent.
Das Thema des sich Unsichtbarmachens wiederholt sich an diesem Abend noch einmal in drastischer Version. Zuvor jedoch erlebt das Publikum noch eine Lachmuskel fordernde Performance, bei welcher die beiden Männer nur mit ihren Händen, ohne Werkzeuge, das Sofa zerstören. Was zuerst nur als Nesteln an einer Armlehne beginnt, wächst sich zu einer veritablen Destruktionchoreografie aus, die sich in ihrer Intensität nach dem Widerstand der zu zerstörenden Materialien richtet. Parallel dazu wird das Geschehen von einer beeindruckenden elektronischen Musik unterstützt, die sogar stimmungshebend wirkt. Das anfänglich noch positive-witzige Gefühl, das mit der Szene evoziert wurde, kippt von einer aus Langeweile initiierten Tat hin zu einer hasserfüllten, die eine ganz persönliche und zugleich auch globale Konsumkritik beinhaltet. Während einer der beiden noch dabei ist, jegliches Bruchstück in seine kleinsten Bestandteile zu zerlegen, baut der andere drei ephemere Skulpturen aus Teilen der schwarzen Bauplane. Sie hängen schließlich wie die Abwesenheitsnotiz von Gespenstern an Haken aufgezogen über dem Boden. Es ist Julian Hetzel selbst und Michele Rizzo, die sich auf der Bühne befinden. Letzterer zeichnet auch für die Choreografie verantwortlich.
Das anschließende Verschwinden der beiden Männer unter den schwarzen Plastikbahnen des Bühnenbodens, bei welchem ihre Konturen dennoch schwach erkennbar bleiben, ist zwar verblüffend, aber auch eine logische, dramaturgische Konsequenz. Mit dem lautlosen, unheimlichen Auftritt von schwebenden, schwarzen Bauplanenmonstern gelingt der Inszenierung noch ein zusätzlicher Qualitätsschub. Die technische Umsetzbarkeit dieser Illusionismusnummer steht für die meisten Menschen aus dem Publikum wohl im Vordergrund, was daran zu erkennen war, dass die Bühne nach Ende des Stückes beinahe gestürmt wurde, um die unbekannten Flugobjekte genauer in Augenschein nehmen zu können.
Hetzels Arbeit changiert zwischen verschiedenen Wahrnehmungsphänomenen und eröffnet eine ganze Reihe von Interpretationsansätzen. Diese reichen von der schon erwähnten Konsumkritik über die neue und immer stärkere Verschränkung der unterschiedlichsten Kunstgattungen bis hin zur Frage, welche Inhalte denn im Theater transportiert werden können.
Eine von Katalin Erdödi, Kuratorin des Festivals „Imagetanz 2015, Festival für Choreografie, Performance und unheimliche Körper“, thematisch klug eingekaufte Produktion, die für frenetischen Applaus sorgte.