Was bedeutet es, in Kinshasa zu leben? Was bedeutet es, in Europa geboren zu sein und sich nicht um afrikanische Belange zu kümmern? Haben Menschen aus Afrika überhaupt die Möglichkeit, sich zu artikulieren, gegen Systeme zu rebellieren, die ihnen ihre Lebensgrundlage nehmen? Ist die heutige Kunstproduktion von kolonialistischem Gehabe freizusprechen?
„Congo Na Chanel“ stellt all diese Fragen, ohne Antworten darauf zu geben, aus dem einfachen Grund, weil es keine einfachen Antworten auf diese Fragen gibt. Die in Wien lebende Performerin Elisabeth Bakambamba Tambwe, geboren in Kinshasa und aufgewachsen in Frankreich, setzte ihre Produktion an den Schluss der Wiener Festwochen – in dem stimmigen Ambiente des Performeums. Und sie bot all das auf, womit sie jede einzelne ihrer Performances ausstattet:
Überraschungsmomente, solche des Unbehagens, Augenblicke voll Humor, solche, die sprachlos machen, andere, die neue Erkenntnisse bringen und Eindrücke, die zum Weiterdenken und Diskutieren anregen.
Eine Reise nach Kinshasa - oder doch Dakar?
Gemeinsam mit Pierre Emanuel Finzi, Evandro Luis Pedroni, Sebastijan Gec und Prince Zeka schuf sie für das Publikum mithilfe eines Videos die Illusion einer Reise in ein Viertel von Kinshasa, in dem es keine befestigten Straßen, keine prunkvollen Häuser, keine Geschäfte gibt. Wer danach Lust bekommt, sich diese Stadt – die sich allerdings später als Dakar, die Hauptstadt von Senegal entpuppte – anzusehen, dem ist nicht wirklich zu helfen. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass sich der niedrige Lebensstandard, mit dem die Menschen dort zurechtkommen müssen, in absehbarer Zeit nicht verändern wird. In das Video wurden, dank einer Green Box im Raum, immer wieder Live-Auftritte der Performerin und ihrer Crew projiziert. Tambwe wäre aber nicht Tambwe, hätte sie ihre Produktion nicht dazu genutzt, diese mit einer geballten Ladung Gesellschaftskritik zu versehen. Dabei stellte sie die Frage, ob man sich denn hier in Europa allmorgendlich guten Gewissens in den Spiegel schauen könne, ohne daran zu denken, dass das eigene Wohlergehen auf Kosten der Völker in Afrika zustande kommt. Den kongolesischen Sänger Prince Zeka konfrontierte sie mit dem Vorwurf, warum er sich denn nicht in seinen Songs zu den politisch unhaltbaren Umständen in seinem Land äußert. Nicht zuletzt machte sie klar, dass der europäische Contemporary-dance-circus längst kolonialistische Formen angenommen hat, mit welchen er sich gute Tänzer aus Afrika holt, um sie nach einem Tourjahr, völlig ihrer Mitte beraubt, gnadenlos wieder auszuspucken und fallenzulassen.Das hässliche Afrika
In ihrem Kostüm, das eine völlig deformierte und hässliche Figur zeigte, ließ Tambwe Assoziationen zu einem Afrika zu, das seine – zumindest soziale – Schönheit längst verloren hat. Drei Leinwandhelden – Superman, Batman und The Flash – waren die gesamte Performance über präsent, beobachteten das Treiben zwischen ihr, dem Publikum, dem Sänger, einem Conférencier und einer Übersetzerin und griffen an jenem Punkt in das Geschehen ein, in dem Tambwe von ihrem Kollegen Prince Zeka schließlich Rebellion einforderte. Besitzergreifend zogen die drei ihre Bahnen so durch die Zusehenden, dass diese an die Ränder der Raumes gedrängt wurden. Körperliche Ausgrenzung und Zurückdrängung, die man am eigenen Leib erfährt, und sei es auch nur während der kurzen Zeit einer Performance, bewirkt mehr als so mancher akademische Diskurs über die Besitznahme öffentlichen Raumes, oder auch eines ganzen Landes durch – die Gestalten machten es deutlich – den Westen. Ob Tambwe damit Multis meinte, vom Westen gesteuerte, politische Einflussnahme oder schlicht die Infiltration des westlichen, neoliberalen Lebensstils bleibt offen. Man darf sich aussuchen, was man mag, oder auch andere Assoziationen damit verbinden. Genauso deutungsoffen war ihr Auftritt, den sie als amorphes Wesen unter einer schwarzen Plastikplane absolvierte. „I love abstract forms in my shows“, erklärte sie an späterer Stelle diese bedrohlich wirkende Szenerie, mit dem Zusatz, dass das Publikum sich dabei denken könne, was es wolle. Dennoch bleiben ihre Settings extrem kontextual und evozieren Gedankengänge, die sich um ihr Hauptthema drehen – die politische, wirtschaftliche und soziale Einflussnahme des Westens auf Afrika. Oder mit weniger Schönsprech ausgestattet: Die Ausbeutung der Länder und Demütigung der verschiedenen Völker Afrikas. Nicht vor hundert oder zweihundert Jahren, sondern heute mehr denn je.Afrika, du Schöne!
Die Schlussverwandlung, durch die sich Elisabeth Tambwe als hübsche Frau in einem weit schwingenden, weißen Rock zeigen durfte, wurde nach wenigen Augenblicken wieder düster eingefärbt. Während sie zu Beginn zögerlich, dann aber immer lustvoller begann, sich im Kreis zu drehen, formierte sich die männliche Bedrohung. Mit ihrer perpetuierten Ansage „I dont want, I don
t want“, während die Superhelden immer näher an sie heranrückten, verstärkte sich ununterbrochen das Gefühl von Erniedrigung, das von den drei Männern ausging. Und tatsächlich endete die Performance damit, dass sie Tambwe mit harrschem „back-back“-Geschrei und körperlicher Nahbedrohung von ihrer Bühne ins Off verdrängten. Das Letzte, was Unterdrücker jeder Couleur brauchen können ist Selbstbestimmung und Freiheit.
„If you want, you can make a selfie with me!“, holte Prince Zeka am Ende der Performance das Publikum wieder zurück ins sorgenfreie Festivaldasein. Es war eine Aufforderung, der viele gerne nachkamen. Wirkte sie doch reinigend, ablenkend und erlösend von einer zuvor bedrohlichen und verwirrenden Situation, die ohne nackten Zeigefinger dennoch einen Berg an Betroffenheit auslöste. Dass die rasch geschossenen Selbstbildnisse auch noch in Jahren einen Erinnerungseffekt auslösen werden, der viel mehr enthält als ein lustiges Grinsen mit einem afrikanischen Sänger, das wird vielen Selfie-isten vielleicht erst viel später bewusst werden und ist zu hoffen. Das Unbewusste siegt oft.