“Scheitert der Euro, dann scheitert Europa” - die grossartige Idee eines vereinten Kontinents mit gemeinsamen Wurzeln ist auf die jämmerliche Idee einer gescheiterten Währung reduziert worden. So weit, so schlecht. Doch das ist längst nicht alles. Sechs Jahre Krise haben ausgereicht, die Gehirne der westlichen Geisteselite zu waschen und Demokratie generell als falschen Weg anzusehen, weil die Gesellschaftsform nicht mehr zur Wirtschaft passt.
Schon im vergangenen Juli waren wir darauf eingegangen, warum “Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomen, die Dümmsten der Klasse” sind. Das war jedoch noch harmlos gegenüber den Vorträgen, die Nobelpreisträger inzwischen halten. Beispiel Michael Spence, Wirtschafts-Nobelpreis 2001: Wenn man so viel Wachstum erzeugen wolle wie China, brauche es eine “Führung mit Ausdauer”, sagt er. So eine Erfolgsgeschichte lasse sich am besten “in einem wohlwollend autoritären System umsetzen, weil Demokratien einen zu kurzen Zeithorizont haben”. Wer auf welche Art dafür sorgt, dass es statt einem bösen einen wohlwollenden Diktator gibt – denn nichts anderes ist gemeint -, erklärt er nicht.
Auf der Jahrestagung des Instituts für Neues Ökonomisches Denken im Hongkonger Hotel International fallen noch ganz andere Sätze. Der Think-Tank, finanziert von der Hedgefonds-Legende George Soros, hat es sich inzwischen auf die Fahne geschrieben, die Demokratie frontal anzugehen und sie ganz öffentlich und unverblümt dem Wirtschaftsdiktat zu opfern. Daniel A. Bell ist Kanadier und lehrt politische Philosophie an der Pekinger Elite-Universität Tsinghua: “Ich glaube nicht länger daran, dass Demokratie in der Form ‘Eine Person – eine Stimme’ der beste Weg ist, um ein politisches System zu organisieren.” – Wahlen hält er nur noch “auf der lokalen Ebene für sinnvoll, weil da falsche Entscheidungen nicht so sehr ins Gewicht fallen.” Stattdessen möchte er für eine “Auslese der politischen Führungselite nach intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Standards” sorgen. Dieses System sieht er in der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zwar nicht perfekt, aber doch in Ansätzen verwirklicht.
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit kommen im Vortrag nicht vor, genau wie bei James Heckman. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger des Jahres 2000 und nebenbei auch noch Jura-Professor hat sein gesamtes Berufsleben an der legendären Wirtschaftsfakultät der Universität von Chicago verbracht, wo der liberale Kapitalismus mit all seinem globalen Sendungsbewusstsein miterfunden wurde. Und jetzt prägt er Sätze wie: “Ein Teil des chinesischen Erfolgs besteht wahrscheinlich darin, dass die Führung dort nie einer bestimmten ökonomischen Theorie gefolgt ist – sondern einfach nur ihrer Nase.” – Immer der Nase des Diktators nach, will er sagen, ohne auf störende Einflüsse des Stimmviehs Rücksicht nehmen zu müssen.
Demokratie ist nicht mehr wirtschaftsdienlich. China als neues Vorbild.
Man kann, wenn man will, minimales Verständnis dafür zeigen, dass Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomen das chinesische System bis zu einem gewissen Grad aufsaugen müssen und nicht mehr für des Teufels Grossmutter halten dürfen, wenn sie in dessen Einflussbereich arbeiten, doch wo ist sie denn plötzlich hin die Doktrin, die noch vor ein paar Jahren dafür plädierte, Demokratie und Marktwirtschaft als Allheilmittel notfalls mit Waffengewalt zu exportieren, um die Völker glücklich zu machen? Natürlich wächst Chinas Wirtschaft, während Europa vor sich hin dümpelt, doch deswegen den Kotau vor der Ideologie einer Diktatur und die Obsoleszenz der Demokratie?
Ist denn nicht längst bewiesen, dass den Bürgern eines Landes immaterielle Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und demokratische Teilhabe erst mit höherem Wohlstandsniveau wichtig werden (können), dass technische und wirtschaftliche Innovationen von einer freien Gesellschaft viel besser zu leisten sind? – Wenn das aber so ist, warum dann der schamlose Frontalangriff gegen die demokratische Idee durch solche Nobelpreisträger für Wirtschaft? Wo ist ihr noch vor zehn Jahren manifestierter unerschütterlicher Glaube an die perfekte Mischung zwischen Demokratie und Marktwirtschaft geblieben?
Die Erklärung ist simpel: Sie sind noch nie für Demokratie eingetreten und haben sie nur so lange akzeptiert, wie sie dem neoliberalen Gedankenansatz nicht spürbar im Wege stand. Als Geld verdienen ungestört funktionierte in dem System, das als Demokratie galt – ob es wirklich eine war oder ist, würde eine lange und intensive Diskussion erfordern! -, wollte man dieses angeblich perfekte Geschäftsmodell anderen sogar mit Gewalt aufdrücken. Jetzt, da die Wachstumsreligion im Westen Risse bekommen hat, kann oder muss man offensichtlich auf alle demokratischen Bestrebungen verzichten, denn Wirtschaft allein ist die Maxime. Dann eben “wohlwollende Diktatoren”, Hauptsache die Kasse stimmt.
Im Grunde darf man sich getrost freuen über solche Vorträge, so inhuman sie auch sind! Endlich beweisen die neoliberalen Drecksäcke Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomen, worum es ihnen wirklich geht: Markt und Wirtschaft sollen brutal und absolut kompromisslos eine ungefährdete Spitzenstellung einnehmen. Wirtschaftsleistung pro Kopf, Rendite und Konsum sind die Götzen, denen gefälligst alles zu opfern ist. Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Mitbestimmung – alles, was diese Religion stört, kann ersatzlos weg. Damit auch die über Jahrzehnte gefeierte Doktrin der angeblichen Demokratie. Klartext klärt den Nebel und wischt alle Zweifel hinweg darüber, worum es hier wirklich geht und immer ging. Das sollte endlich auch denen zu denken geben, die immer noch daran glauben, der Führungselite ginge es um eine bessere Gesellschaft.
Nicht etwa technische Fehler der Verantwortlichen, geboren aus politischer Unfähigkeit, sind es, die uns derzeit bedrohen, sondern eine glasklare und wohl durchdachte Strategie derjenigen, die gar kein Interesse daran haben, dass Sie von Ihrer Arbeit auch leben können, dass sich Leistung wieder lohnen soll … und wie alle diese hohlen Parolen lauten. Die Dümmsten der Klasse haben in sechs Jahren Krise den Glauben daran verloren – und sagen es endlich! -, dass freie, selbstbestimmte Menschen und eine immer bessere Demokratie auch nur theoretisch dazu dienen können, ihre Taschen weiterhin bis zum Rand zu füllen. Deswegen kann das angeblich demokratische System jetzt ersatzlos weg zugunsten “wohlwollender Diktatoren” und damit moderner Sklaverei immer kompromissloserer Ausprägung.
Sie haben es längst gemerkt: Die Dümmsten der Klasse sind gar nicht dumm. Sie wissen genau, was sie wollen und setzen es skrupellos um. Nur zulassen dürfen wir es keinesfalls, was eine entschlossene und handlungsbereite Zivilgesellschaft voraussetzt, denn sonst …!
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