Die dubiosen Weltherrscher

Die dubiosen Weltherrscher

Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Es ist ein Grundrecht, und die Ratingagenturen machen davon reichlich Gebrauch. Sie sagen, was sie von Wertpapieren halten und wie sie die Bonität eines Staates einschätzen. Sie können damit Milliarden generieren – oder eben den Ruin beschleunigen. Alles ohne Risiko, denn haften müssen sie für ihre Empfehlungen bisher nicht.

In der Finanzkrise ab 2007 spielten sie eine unrühmliche Rolle. Die nahm ihren Anfang in einer US-Immobilienkrise. Fast jeder Bürger bekam einen Kredit, denn die Risiken wurden in separate Wertpapiere ausgelagert und verkauft. «Es wurden Kredite von schwachen Schuldnern gebündelt, in der Hoffnung, das Risiko eines Ausfalls verringern zu können. Der Gedanke war: Vielleicht fällt ein Kredit aus, aber nicht alle», erklärt Oliver Holtemöller, Professor für Volkswirtschaftslehre beim Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. Die Ratingagenturen bewerteten viele dieser eigentlich hoch riskanten Anleihen als harmlos und investitionswürdig: Die Bestnote AAA wurde reihenweise vergeben. «Dann sind aber die Immobilienpreise US-weit gesunken und zeitgleich die Zinsen gestiegen», so Holtemöller. Die Schuldner kamen mit den Ratenzahlungen ins Stocken – und die Top-Wertpapiere mit den faulen Krediten waren plötzlich nichts mehr wert.

Gewinn mit Bewertungen umstrittener Wertpapiere

Ratingagenturen sind überdies selbst gewinnorientierte Unternehmen. Und die Hand, die einen füttert, die beißt man nicht. Vor der Immobilienkrise verdienten sich die drei Ratingagenturen eine goldene Nase: Zwischen 2000 und 2007 verdoppelten Fitch und Standard & Poor’s ihren Gewinn, Moody’s vervierfachte ihn sogar. Und womit? Der Dokumentarfilm Inside Job gibt darauf Antworten. Hedgefonds-Manager Bill Ackmann erklärt darin: «Die Ratingagenturen werden von den Investmentbanken dafür bezahlt, Ratingberichte herauszugeben.»

Mit den Ratings werden Wertpapiere bewertet, die die Investmentbanken anbieten. «Und je mehr AAA-Ratings die Ratingagenturen den Wertpapieren geben, desto mehr verdienen sie.» Moody’s etwa generierte, kurz bevor die Immobilienblase platzte, mit der Bewertung von Risiko-Wertpapieren für Investmentbanken ein Fünftel des Gesamtgewinns. Auch die Bewertungen mit AAA stiegen zwischen 2000 und 2006 um das Sechsfache.

In der Finanzkrise ab 2007, als die Ausfälle der Immobilienkredite immer dramatischer wurden, wurden innerhalb weniger Tage Hunderte Wertpapiere von der Bestnote auf das mittlerweile vielzitierte Ramschniveau herabgestuft, die Investmentbank Lehman Brothers wurde noch wenige Tage vor dem Zusammenbruch mit AA bewertet – es war der Super-Gau der Ratingagenturen. «Bei der Weltfinanzkrise hatten wir tatsächlich eine extreme Fehleinschätzung von Risiken. Die Ratingagenturen haben damals das Risiko unterschätzt, das mit verbrieften Krediten verbunden ist», so Wirtschaftsexperte Holtemöller.

Erste Ermittlungen gegen Ratingagenturen

Die drei Ratingagenturen mussten sich einem Untersuchungsausschuss im US-Kongress stellen. Sie beharrten dort darauf, nur ihre Meinung abzugeben. «Kreditratings sind keine Empfehlung für eine Investition», sagte Moody’s-Chef Raymond McDaniel damals. Die Bewertungen seien nur Hilfsmittel – und beileibe keine Kaufempfehlung. Nun allerdings droht Ungemach: Erstmals hat ein US-Gericht entschieden, dass die Bewertungen von Ratingagenturen nicht unter das Recht der freien Meinungsäußerung fallen. Das könnte eine Klagewelle lostreten.

Vor allem sollen einzelne Analysten in der Immobilienkrise vor der Katastrophe gewarnt haben. Als Kronzeuge trat im Untersuchungsausschuss Eric Kolchinsky auf, Ex-Chef der Abteilung Riskante Wertpapiere bei Moody’s. Er will seine Chefs vor möglichen Risiken gewarnt haben – und sei suspendiert worden. Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung sieht aber keine Belege für eine Verschwörungstheorie: «Keine Ratingagentur hat ein Interesse daran, sich schmieren zu lassen. Langfristig macht es einfach keinen Sinn, ein falsches Rating abzugeben. Dann wäre der Ruf der Ratingagentur ruiniert», sagt er. Niemand würde anschließend den Bewertungen noch Glauben schenken.

Eurokrise: Experte sieht Schuld bei Staaten – nicht bei Ratingagenturen

Nun stehen die Staatsanleihen der Euroländer unter Beschuss. Griechenland, Italien, Portugal oder Ungarn fallen und fallen von einst geachteten Anlageländern auf Ramschniveau. Merkel, Sarkozy und ihre Kollegen in der Europäischen Union reagieren hastig, da wird ein Schuldenschirm nach dem anderen gespannt, ein Euro-Rettungsfonds gehebelt und um Euro-Bonds gestritten. Denn wenn die Bewertung sinkt, haben die Länder größere Probleme an Kredite zu kommen und müssen mehr Zinsen zahlen – es ist eine Spirale.

Wirtschaftsprofessor Holtemöller warnt dennoch davor, das Verhalten der Ratingagenturen in Finanz- und Eurokrise miteinander zu vergleichen. «In der Eurokrise werden die Ratingagenturen als Bote für die Nachricht – Misswirtschaft und hohe Verschuldung in einzelnen Ländern – bestraft.» Natürlich könne darüber spekuliert werden, ob beim Timing der Berichte der Ratingagenturen Hintergedanken eine Rolle spielen. «Aber es geht vor allem um das Fehlverhalten der Staaten. Sie sind selbst schuld.»

Trinidad und Tobago hat das gleiche Ranking wie Italien

Doch die Staaten zürnen nun zurück. Die USA wollen Standard & Poor’s an die Gurgel, nachdem die den Vereinigten Staaten die Bestnote entzogen haben. Und die EU? Scheint ähnlich hilflos. Zwar wurden in der Eurozone bereits 2009 und 2010 Rechtsvorschriften erlassen, doch gebracht hat es wenig, musste die EU-Kommission nun feststellen. «Wir dürfen nicht zulassen, dass Ratings das Schwanken der Märkte noch verstärken», wettert Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Er will die Macht der Ratingagenturen begrenzen – und sie für ihre Meinungen stärker haftbar machen. Wirtschaftsexperte Holtemöller kann sich dagegen nicht vorstellen, wie eine Haftpflicht funktionieren soll. «Ein Rating gibt ja immer nur eine Wahrscheinlichkeit an. Ein falsches Rating kann ja nur bei handwerklichen Fehlern nachgewiesen werden.»

Zudem, so lautet die Kritik der Regierungen, seien die konkreten Kriterien unklar, nach denen bewertet wird. Warum etwa hat Trinidad und Tobago das gleiche Ranking wie Italien, ein A? Warum ist Portugal gleichauf mit Kolumbien? Wirtschaftsexperte Holtemöller: «Transparenz ist schwierig, denn Gewichtungsschemata und die Expertise sind das Geschäftsmodell der Ratingagenturen.»

Trotzdem verlassen sich viele auf die Bewertungen. «Der kleine Anleger ist nicht in der Lage, Kredit- und Anlagerisiken zu beurteilen», so Holtemöller. «Es muss die Freiheit geschaffen werden, mit eigenen Urteilen auch von den Agenturen abzuweichen», ergänzt etwa Michael Bräuninger vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI). Letztlich liege es aber an den Staaten selbst, den Bewertungen der Agenturen weniger Gewicht zu geben. Bedenklich sei vor allem, «dass dem Urteil der Ratingagenturen in der öffentlichen Regulierung eine so große Rolle zugewiesen wird», sagt Wirtschaftsexperte Holtemöller.

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Ratingagenturen – Die dubiosen Weltherrscher

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