Tsipras ist ein europäischer Präzedenzfall. Er ist der erste »Diktator« dieser rufschädigenden Art auf unserem Kontinent. Vorher gab es diesen Typus vor allem in Südamerika, laut Monroe-Doktrin immerhin nicht weniger als der Hinterhof der Vereinigten Staaten. Jetzt also auch hier. Der Linke als Tyrann. Auch auf dieser Ebene schreitet die Amerikanisierung der Verhältnisse voran.
Castro, Allende, Chávez und Morales: Sie alle gelten als Diktatoren, weil sie die Interessen ihrer Völker ernster nahmen, als es alle ihre Vorgänger taten. Es ging und geht ihnen um die Vergesellschaftung von Ressourcen. Und darum, ein gewisses Maß an Menschenwürde zu halten. Alle dürften sie keine Heiligen sein. Aber sie hegten Ansichten, die man durchaus als demokratisch im besten Sinne des Wortes halten konnte. Und alle lagen sie im Clinch mit den mächtigen Wirtschaftsbaronen aus dem Norden des Kontinents. Mit Regierungen von dort, die den Willen dieses »Adels« exekutierten. Erster Schritt immer: Man nennt diese legitim gewählten Leute Diktator. Das macht die Sache leichter. Das alles ähnelt jedenfalls den Vorgängen um Tsipras. Kein Wunder also, dass ihm Fidel Castro zum Oxi gratuliert haben soll. Denn Tsipras ist sein europäisches Spiegelbild.
Andere nennt man hingegen nicht Diktator, obgleich sie eher dorthin tendieren. In Peking regieren lediglich Handelspartner. Guantánamo ist kein Ort aus einer Diktatur. Wer das diktatorisch nennt, der pflegt Antiamerikanismus und zeigt nur, wie wenig Ahnung von Fairness und Freundschaft er hat. Mancher afrikanische Warlord bekommt Waffen geliefert und die Hände geschüttelt. Despoten aus Saudi-Arabien lädt man zu Firmenjubiläen ein. Viktor Orbán ging zwar aus freien Wahlen hervor, sein Antiziganismus gefährdet aber Freiheiten: Schon mal gehört, dass jemand dessen Rücktritt erzwingen will? Nie hat einer diesen Schreckensherrscher aus Budapest von institutionellen Treffen gejagt. Das widerfährt nur linken Finanzministern. Die Hardliner aus Kiew sind unsere Verbündeten. Nicht so wild, dass sie faschistoid auftreten und ein bisschen was von Tyrannei mit sich herumschleppen.
Nein, das Handelspatriziat hat klare Vorstellungen wie sich Diktatoren definieren. Sie sind nicht ruppig, gemein, exklusiv, hetzerisch oder gar kriegerisch. Sie sind Diktatoren, weil sie nicht bereit sind, das Spiel mitzuspielen. Weil sie Ökonomierebellen sind, die den Ausverkauf von Menschen- und Bürgerrechten nicht dulden wollen. Bloß deswegen erklärt man sie dazu. Einerlei, ob die Vorwürfe zutreffen - man hängt es ihnen an. Irgendwer glaubt immer, was er da liest und in den Nachrichten hört. Und wenn das Gerücht erst in der Welt ist, dann ist es gewissermaßen schon ein Stück Wahrheit geworden.
Das Handelspatriziat will die Diktatur des Proletariats nicht dulden. Selbst dann nicht, wenn es gar keine ist, sondern einfach nur ein normaler Schritt zur Autonomie von Völkern. Wenn also die Diktatur des Proletariats nichts weiter ist, als bloß das, was man geheimhin Demokratie nennt. Daher ziehen sie eine Diktatur des Handelspatriziats auf und taufen diese Veranstaltung »ökonomische Vernunft«. Die Schlechten sind die Guten und die Guten (oder sagen wir: die Besseren) sind die Schlechten. Verdrehungen allerorten. So läuft das. Verdrehungen sind systemimmanent. Ohne sie bricht der Laden auseinander.
Ab Ende des Jahres könnte dann auch Pablo Iglesias, Kopf von Podemos, in den Genuss dieser Machenschaft geraten. Ein weiterer Diktator, der in den Startlöchern sitzt.
&button;