Die Dezembertageverschwörung

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Die kleinen braunen Falter, die manchmal in der Küche herumschwirren oder im Kleiderschrank wohnen –  die merken alles! Was ich hier berichte, würde ich selber nicht glauben, hätte mir diese Geschichte nicht eine äußerst vertrauenswürdige Motte, nämlich Rosalinde, erzählt. Hört also den authentischen Bericht der Motte Rosalinde:

«Vor einigen Tagen war ich am herumflattern im Haus und habe einen leckeren Wollpullover zum Fressen gesucht. Da traf ich auf der Bühne unterm Dach, hinter einigen Koffern versteckt, vier Dezembertage beim Kartenspiel. Es war der 7., der 12., der 23. und der 28. Dezember. Das ist nichts ungewöhnliches, denn die Tage, die noch nicht dran sind, müssen sich ja irgendwie die Zeit vertreiben.

Aber diese Dezembertage waren dran, während dem Kartenspiel, eine regelrechte Verschwörung anzuzetteln. Sie waren sauer, dass immer nur am 31. Dezember Feuerwerke gezündet wurden und nie zum Beispiel am 12. Dezember. Da wurde ich nun wirklich neugierig und setzte mich auf einen Balken um die Szene besser beobachten zu können. Die Tage diskutierten hin und her und empörten sich dabei immer mehr, dass die Feiertage so ungerecht verteilt waren, dass immer dieselben Tage das Tolle kriegen und alle anderen gehen leer aus. Zum Beispiel der 24. Dezember – Jahr für Jahr bekommt er das große Fest, und der 23. Dezember, der eigentlich ganz dicht dran ist, geht immer leer aus.

Ich hatte schon gemerkt, dass die beiden berühmten Tage nicht dabei waren. Es waren nur unscheinbare Tage am Kartentisch. Ich war nun sehr gespannt, wie sie das anstellen wollten, dagegen etwas zu unternehmen. Aber als ich dann ihren Plan hörte, wurde es mir doch ein wenig mulmig im Mottenbauch. Da sagte der 7. Dezember: „Ich mache folgendes, wenn ich dran bin, dann gehe ich einfach nicht hin, und der 7. Dezember fällt aus.“ Der 23. Dezember lobte ihn sehr für diese Idee, aber dann brummte der 12. Dezember: „Das nützt doch gar nichts, dann ist der 24. Dezember einfach schneller dran, und das freut den doch nur.“ Es war eine weile still und dann monierte der 28.Dezember: „Ich bin nicht so sicher ob das Jahr weitergeht wenn einer von uns fehlt. Wenn es also nach dem 7. nicht weitergehen würde, kommt zwar der 24. Dezember nicht mehr, aber ich komme auch nicht mehr, denn ich bin als 28. Dezember ja noch später dran.“

So zankten sie hin und her, bis sie beschlossen, den 24. sowie den 31. Dezember zu entführen, sie beide irgendwo in eine Kiste zu sperren, und dann geht einfach einer von ihnen hin. Als sie nun anfingen, ihr Vorhaben im Detail zu planen, wurde ich wirklich unruhig! Ich hatte meinen Wollpullover-Hunger ganz vergessen und wollte nur eines: Hilfe holen. Aber wo? Bei wem? Da kam mir in den Sinn, dass der Bücherwurm dauernd Bücher frisst, und daher sehr klug sein musste. Ich flatterte zum Büchergestell und rief nach ihm, bis er etwas verärgert mit seiner dicken Hornbrille aus einem uralten Buch hervorlugte. Ich flatterte schnell zu ihm hin und berichtete ihm das drohende Unglück.

Der Bücherwurm nahm seine Verantwortung wahr, und kroch eilig über die Bücher hin, dann einer Holzleiste entlang, sodann über den Boden der Bühne und setzte sich schlussendlich auf den Kartentisch zwischen die ergrimmten Dezembertage. „Was habt ihr vor, man hört es schon pfeiffen zwischen den Büchern?!“ Die Dezembertage erschraken etwas, aber bevor sie antworten konnten, fuhr der Bücherwurm fort: “Jeden Tag braucht es, und einige sind ein Fest wegen ihrer Zahl, und andere Fester wechseln sich ab, zum Beispiel der Advent oder Ostern. Und dann gibt es doch für jeden Tag auch ein Fest. Denkt an die vielen Geburtstage, an die Hochzeits- und Jahrestage. Und wie langweilig wäre es, wenn an Weihnachten einfach nochmals der 3.Dezember kommen würde. Genau gleich wie drei Wochen zuvor.“ Und damit ließ der Bücherwurm die vier verdutzten Kartenspieler an ihrem muffligen Tischchen zurück und kroch eilends wieder zu seinen leckeren Büchern zurück.»

Hier schloss Rosalinde ihre Erzählung, rieb ihre hübschen Antennen aneinander und nickte dazu vielsagend. Denn bis heute ist noch nie ein Tag ausgefallen und noch nie einer entführt worden. Und das verdanken wir der aufmerksamen Motte und dem weisen Bücherwurm.