Der Verlust der Fachkompetenzen in den Hauptverwaltungen der großen Energieversorger begann mit der sogenannten Liberalisierung der Energiemärkte. Diese war für die Manager der Startschuss, ihre Ingenieursabteilungen zu entmachten um das Regiment allmählich an die Controller und Buchhalter zu übergeben. Die oberflächliche Begründung hieß Ende der neunziger Jahre: "Die haben unsere Kraftwerke überdimensioniert und die Netze vergoldet. Das können wir uns künftig nicht mehr leisten."
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Ein Körnchen Wahrheit war da dran. Die Zuverlässigkeit der deutschen Stromversorgung war viel höher als man sie brauchte. Wir kannten höchstens sehr kurzzeitige Versorgungsunterbrechungen im Sekundenbereich, wenn überhaupt. Nur zu erkennen am Blinken der Radiowecker. Inzwischen hat die Zuverlässigkeit abgenommen. Im gleichen Maße hat die Sensibilität vieler Stromkunden zugenommen. Rechenzentren von Banken, Telekommunikation und Industriebetrieben brauchen heute unterbrechungsfreie Stromversorgungen in Form separater Batterien.
Die "vergoldeten" Netze hatten aber noch einen anderen Nutzen: Sie machten die Netze robust gegen Störungen wie Oberschwingungen, Überspannungen (durch Schaltvorgänge) und Kurzschlüsse. Diese Störungen, hervorgerufen durch Schaltnetzteile, Motoranläufe und -abschaltungen, Klimaanlagen, Röntgengeräte in Arztpraxen, verkürzen die Lebensdauer elektronischer Geräte. Denn auch bei denen wurde gespart: Wo früher ein klobiger Trafo das Gerät schützte, haben wir heute Billigschaltnetzteile deren Kondensatoren jedes mal einen "auf den Deckel" bekommen, wenn irgendwo im Haus die Klimaanlage oder Motoren geschaltet werden.
Das Verständnis der Manager in Energieversorgungsunternehmen für die Funktionsweise von Netzen und Kraftwerken hat erschreckend abgenommen. Die Betriebswirte haben die aufgebaute gute Substanz als ein Naturgesetz angesehen und sie nach Kräften ausgequetscht. Wartungsintervalle wurden verlängert, Investitionen gestrichen. Im Ergebnis haben wir nicht nur veraltete Netze. Die Netzstruktur hat auch nicht mitgehalten mit der Veränderung der Erzeugungsstrukturen. Alte Kraftwerke stehen in der Nähe von Verbrauchsschwerpunkten oder - wie bei der Braunkohle - der Lagerstätten der Primärenergieträger. Windparks hingegen stehen da, wo am meisten Wind weht, künftig vor allem an und vor der Küste. Das alles wissen die Netzplaner schon lange. Aber ihre Manager haben die Hände auf dem Geld. Zwar stehen die großen Energieversorger die Scheinliberalisierungen vor allem zum Ausbau ihrer Gebietsmonopole nutzen können. Sie haben auch die Preise erhöht wie in Zeiten einer Hyperinflation. Aber sie haben nichts investiert.
Wozu das führt, kennen wir inzwischen von der Deutschen Bahn. Dort funktionieren Züge und Schienennetze immer weniger. Spricht man die Manager auf ihre Versäumnisse an, machen sie ihre Zulieferer für die schlechte Qualität verantwortlich. Doch in Wahrheit liegt es vor allem an der fatalen Kombination von Inkompetenz und Geiz.
Und weil die Finanzer das inzwischen verstehen, machen sie einen weiteren Schritt: Nein, sie heuern keine neue Fachkompetenz an, um ihre Versäumnisse nachzuholen. Stattdessen verkaufen sie die Restsubstanzen. Eon beschloss 2008, sein Netz zu verkaufen. RWE hat nun ebenfalls verkündet, sein Hochspannungsnetz (RWE amprion) verkaufen zu wollen. Mit AXA Privat Equity und einem Fonds der Deutschen Bank haben bereits zwei Finanzinvestoren Interesse angekündigt (Quelle: WSJ). Damit wäre dann auch RWE aus dem Geschäft mit Substanz, Betrieb und Knowhow ausgestiegen. RWE wäre feindlich übernommen. Von den eigenen Buchhaltern verscherbelt an Heuschrecken. Das wird dem Industriestandort Deutschland schaden. Dazu braucht man nicht viel Phantasie.
Wozu die schleichende Inkompetenz führen kann, hat neulich Vattenfall eindrucksvoll bewiesen. Nachdem das Management seinen Pannenreaktor Krümmel seit 2007 nicht mehr in den Begriff bekam, wollte man vor kurzem eine neue Kraftwerksleiterin ernennen. Doch die fiel bei der Eignungsprüfung durch die Atomaufsicht durch (WELT).
Die von der Atomaufsicht nicht akzeptierte Bewerberin soll laut "Lübecker Nachrichten" bei einer praktischen Abschlussprüfung durchgefallen sein. Die 56-Jährige habe bei einer Simulation den Reaktor in 30 bis 60 Minuten in einen sicheren Zustand bringen sollen, dies aber angeblich in zwei Stunden nicht geschafft.
Da kann einem Angst und Bange werden. Nicht unbedingt die Kraftwerke selbst entpuppen sich als untragbares Risiko. Sondern die Managementstrukturen und -philosophien der Kraftwerksbetreiber.
Vattenfall kämpft ja auch in Schweden mit Störfällen in seinen Kernkraftwerken. Das spricht nicht unbedingt gegen die schwedische Technik oder Techniker. Sondern gegen die langfristig wirkenden Heuschreckenmentalitäten in volkswirtschaftlich wichtigen Infrastrukturunternehmen.
Vattenfall Deutschland hat nun einen Schlussstrich gezogen. Es will den Betrieb seiner Kraftwerke Brunsbüttel und Krümmel an Eon übergeben. Das ist ein einmaliger Vorgang: Der Vorstand eines Energieversorgungsunternehmens räumt die eigene Inkompetenz ein, seine Pannenreaktoren in einen genehmigungsfähigen Zustand zu bringen und anschließend zu betreiben.
Die Atomenergie in Deutschland ist unsicher. Nicht, weil es den technischen Konstrukteuren und Betreibern an Kompetenz fehlt, sondern deren Managern.
Damit ist die Liberalisierung des deutschen Strommarktes eigentlich vollständig gescheitert: Sie hat die Nachteile von Monopolismus und Kapitalismus in der schlechtest möglichen Variante kombiniert: Nach der Verstärkung der Gebietsmonopole durch gegenseitige Übernahmen und Fusionen haben deren Manager die darauf folgenden Jahre damit verbracht, die vorhandenen Substanzen auszuquetschen, die Preise zu erhöhen und die eigenen Knowhowträger, die wertschöpfenden Abteilungen, wegzuekeln. Das einzige, was in dieser Zeit gewachsen ist, ist durch die immer neue Ausgründung und Umorganisation von Tochterunternehmen und Bereichen, die Anzahl der Vorstände. Und deren Bezüge.