Die deutsche Exportdampfwalze

Neues Deutschland,  14.04.2015
Die Bundesrepublik lässt sich ihr Wachstum vom Ausland bezahlen

Es geht aufwärts in Europa, erwarten zumindest die Konjunkturauguren. Neben dem niedrigen Ölpreis, der die Binnennachfrage im europäischen Währungsraum etwas belebt, sorgt vor allem der schwache Euro für die wirtschaftliche Belebung auf dem krisengeplagten Kontinent. Der durch die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank beförderte Sturzflug des Euro, der gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner binnen Jahresfrist im Schnitt um 15 Prozent abwertete, ließ in Wechselwirkung mit der knallharten Austeritätspolitik Berlins die Exportüberschüsse der Eurozone regelrecht explodieren. Im vergangenen Jahr betrug das europäische Außenhandelsplus 194,8 Milliarden Euro (nach 152,3 Milliarden im Jahr 2013), womit es den Überschuss der eigentlichen »Werkstatt der Welt«, Chinas, um rund 50 Prozent übertraf.
Damit verfolgt die Eurozone ganz klar eine neomerkantilistische Beggar-thy-neighbour-Strategie, bei der die Außenhandelsüberschüsse, die als wichtigster Konjunkturmotor fungieren, auf Wachstumsraub und/oder Schuldenexport in diejenigen Wirtschaftsräume basieren, die entsprechende Defizite verzeichnen. Die Eurozone sei nur dazu fähig, »Wachstum von anderen zu stehlen«, kommentierte das Wirtschaftsnachrichtenportal »Zero Hedge« diese Entwicklung. Es gebe keine nennenswerten binnenkonjunkturellen Impulse in der Eurozone, da Investitionen und Beschäftigungsquote unter denen in den USA und Japan lägen. Diese Strategie, so »Zero Hedge«, sei aber nicht nachhaltig, da die betroffenen Volkswirtschaften mit Gegenmaßnahmen reagieren werden. Somit droht ein beschleunigter Abwertungswettlauf, ein »Währungskrieg« zwischen den westlichen Partnern.

Eine bittere Wahrheit lautet, dass der Löwenanteil des EU-Handelsüberschusses auf die BRD entfällt. Zwar hat das deutsche Spardiktat den Krisenstaaten Europas nicht nur einen massiven Verelendungsschub, sondern ab 2014 auch leicht positive Leistungsbilanzen beschert, doch fallen diese gegenüber dem 220 Milliarden Euro Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands (dies entsprach rund 7,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes) kaum ins Gewicht.

Dabei vollzog die deutsche Exportdampfwalze nach Ausbruch der Eurokrise eine geografische Neuausrichtung: Der Anteil der Eurostaaten an den bundesrepublikanischen Ausfuhren sank von 44,7 Prozent 2005 auf 36,6 Prozent 2014, sodass sie inzwischen denen ins außereuropäische Ausland hinterherhinken. An erster Stelle sind in diesem Zusammenhang die USA zu nennen, deren Handelsdefizit mit der BRD von 59,9 Milliarden 2012 auf 73,7 Milliarden im vergangenen Jahr stieg.

»Agenda 2010 für alle« – dieser Devise scheint die europäische Wirtschaftspolitik Berlins zu folgen, die eine brutale Austeritätspolitik mit aggressiver Exportausrichtung koppelt. Die Bundesregierung hat sich vermittels ihres drakonischen Sparregimes tatsächlich ein Europa nach deutschem Ebenbild geschaffen – es verfolgt dieselbe neomerkantilistische Wirtschaftsstrategie gegenüber anderen Ländern und Währungsräumen, wie sie zuvor die Bundesrepublik gegenüber der Eurozone praktizierte.


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