Langfristige Phänomene in ihrer historischen Perspektive betrachten ist unverzichtbar. Dieser hervorragende Film tut genau das. Die Ursachen der derzeitigen fatalen Weltlage werden sauber analysiert, Zusammenhänge hergestellt und Zukunftsaussichten beschrieben.
Auszüge (Uhupardo-Kommentare kursiv)
Wenn wir auf die vergangenen zwei Jahrtausende zurück blicken, dann sehen wir, dass es in 1.800 dieser 2.000 Jahre konstant zwei überragende Wirtschaftsräume gab: China und Indien. Erst vor 200 Jahren übernahmen Europa und später die USA die Führung. Weltgeschichtlich betrachtet sind diese 200 Jahre eine historische Anomalität. Und wie alle Anomalitäten wird auch diese ein natürliches Ende finden.
Vom 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert lebten wir in einer einzigartigen Situation, in der wir, der Westen, die anderen mit einem Gefühl der Überlegenheit betrachteten. China, als Erbe der grossen Kaiserreiche, ist dabei, seinen Platz in der Geschichte wieder einzunehmen.
Globale Probleme verlangen globale Lösungen. Es gibt keinen anderen Weg, die Probleme dieser Welt zu lösen. Früher, als es 192 einzelne Länder gab, war es, als seien wir in 192 einzelnen Booten unterwegs. Da brauchte es Regeln, damit die Boote nicht zusammenstiessen. Das war die alte Ordnung. Heute, durch die Globalisierung, ist die Welt geschrumpft und wir sitzen alle im selben Boot. Das heisst, wir leben nicht mehr auf 192 Booten sondern in 192 Kabinen auf demselben Boot.
In den vergangenen 30 Jahren haben die Globalisierer der gesamten Menschheit die selbe deregulierte utraliberale Marktwirtschaft aufgezwungen – und die anderen waren eben Globalisierte. Man hat uns das Blaue vom Himmel versprochen und immer wieder erzählt, durch die Globalisierung würden alle glücklich.
Alles begann Ende der 70er-Jahre, als die britische Premierministerin Margaret Thatcher eine radikal-liberale Politik einführte, die von den Thesen des Ökonomen Friedrich Hayek inspiriert war. Die Vorstellung, die Marktwirtschaft sei etwas Naturgegebenes, ist alt. Ihre aktuelle dereglementierte Form hingegen ist neu. Die Ultraliberalen reduzierten den Einfluss des Staates und vergassen dabei, dass der Wohlstand der drei Nachkriegsjahrzehnte einer von den jeweiligen Regierungen gesteuerten Wirtschaftspolitik geschuldet war.
Gleich nach ihrer Wahl im Mai 1979 setzt Thatcher eine ganze Reihe von ultraliberalen Reformen durch. Gefolgt von Ronald Reagan, den Milton Friedman berät, der Gründer der Chicagoer Schule, der den Lehren Friedrich Hayeks nahe steht.
Ronald Reagan betet das Credo dieser neuen quasi-Religion vor: “Der Staat ist nicht die Lösung unseres Problems, der Staat ist das Problem.” – Das Bündnis Thatcher-Reagan wird die Welt verändern. Ihre Politik öffnet die Schleusen eines Stroms, der in die globalisierte Wirtschaft mündet und die Finanzwelt begeistert. Sie erlebt bis 2007 eine beispiellose Entwicklung und wähnt sich in einem Schlaraffenland des Geldes.
Die Botschaft des Liberalismus wandert vom einen zum anderen. Ein einziger Slogan “Es gibt keine Alternative zum deregulierten Markt” fegt durch die Hirne wie ein ideologischer Reisigbesen. Die Wunderformel lautet: Um zu modernisieren, muss man dereglementieren, privatisieren, Gesetzestexte und Arbeitsrecht entstauben. Dann wird das Geld der Reichen am Ende auch bei den Bedürftigen ankommen. Als wäre die Effizienz des deregulierten Marktes ein Naturgesetz und keine Ideologie.
Diese Losung wird zum Mantra der Wahlkämpfe, weltweit, mit der Monotonie einer Gebetsmühle. Rund um den Globus werden die Staaten gedrängt, ihre Wirtschaft zu dereglementieren. Wer zögert oder widerstrebt, gilt als wirklichkeitsfremd.
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Nach Gorbatschovs Scheitern und dem Ende der UdSSR, richtet sich auf den Trümmern des Kommunismus der wilde Kapitalismus ein: Komplette Freiheit für Unternehmen, Privatisierungen, der freie Markt regelt alles. Von da an denken die Europäer, sie hätten gewonnen. Die Geschichte sei zu Ende. Sie hätten ein globales Dorf errichtet voll fernsehender Verbraucher mit gleichen Empfindungen, gleichen Reaktionen und gleichen Verhaltensmustern. Der Ultraliberalismus triumphiert. Der Markt befreit sich von seinen Fesseln. Der Bürger ist nur noch ein Verbraucher, auf der Suche nach dem nächsten Schnäppchen.
Mehr, immer mehr, noch mehr konsumieren. Es ist ein Rausch. Da taucht einer auf, der als wahrer Zauberer gilt: Alan Greespan, der neue Vorsitzende der US-Notenbank. Er wird 1987 von Ronald Reagan ernannt und von allen nachfolgenden Präsidenten bestätigt. Er ist ein Jünger Milton Friedmans und wie jener der Ansicht, man dürfe die Märkte nicht einengen: “Eine Kontrolle des Handels mit Derivaten (Klick!), wenn er privat von Spezialisten abgewickelt wird, ist unnötig. Eine Kontrolle, die keinem Zweck dient, hindert die Märkte daran, den Lebensstandard zu erhöhen. Wer sich für ein Kontroll-Regime entscheidet, sollte wissen, dass kein System unangemessene oder illegale Handlungen komplett ausschliessen kann.”
Alle waren zu diesem Zeitpunkt des kollektiven Optimismus sicher: Die liberale Demokratie ist das beste aller Systeme. Sie hat definitiv gewonnen! Die Geschichte ist an ihrem Ende angekommen. Der Westten hat den Kalten Krieg gewonnen und ist nun bestimmt, die Menschheit zu führen. Was für eine vermessene Haltung!
Zu diesem Zeitpunkt wurde der Euro eingeführt. Die Einführung einer Einheitswährung war damals für die Europäer ein Riesenschritt in monetärer Hinsicht. Aber nicht nur. Es war auch ein Schritt in einem historischen Abenteuer: Der Errichtung eines neuen Europas, einer Art moralischer Supermacht, die mit ihrem ganzen Gewicht auf das Weltgeschehen Einfluss nehmen würde.
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Zeitgleich mit dem Durchmarsch der Ultraliberalen revolutionieren die neuen Technologien die Kommunikation und versprechen dem Einzelnen eine Art “Allgegenwart”. Ganz so wie das Kino Hollywoods, die Traumfrabrik des 20. Jahrhunderts, den american-way-of-life verbreitet hat, machen Vereinheitlichung und Beschleunigung aus den vielen Ländern unserer Welt eine grosse Informationsgesellschaft.
Die Abkopplung der Finanzwirtschaft von der sogenannten Realwirtschaft vollzieht sich in atemberaubenden Tempo. Das Ergebnis: Eine Finanzsphäre ohne jeden Bezug zu den Notwendigkeiten von Wirtschaft und Produktion – die sogenannte Casino-Wirtschaft.
Ob nun rechts oder links, die globale Marktwirtschaft ermöglicht Spekulationen, die mehr mit einer Lotterie zu tun haben als mit den Realitäten der Wirtschaft. Wobei einer natürlich mehr gewinnt als andere. Aber mit der Zauberformel “win-win” wird jeder Vorbehalt hinweg gefegt. Da war viel Illusion im Spiel, um nicht zu sagen Lüge – und das sollte man bald zu spüren bekommen.
In den USA eröffnet Wal-Mart, das grösste Unternehmen der Welt, das Rennen um den niedrigsten Preis. Jeder gewinnt, allen voran die Verbraucher, heisst es. Nur beinhaltet der Sturz der Preise auch Auslagerung der Produktion nach China, Entindustrialisierung der Vereinigten Staaten. Am Ende haben die Niedrigstpreise einen Teil der westlichen Industrie ruiniert.
In den späten 70er-Jahren kehrt sich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit um. Das Kapital gewinnt, und die Gewinne der Aktionäre steigen ins Unermessliche, während das Einkommen der anderen, der Durchschnittslohn der amerikanischen Verbraucher, stagniert. Weil nun aber die Verbraucher der USA keine Kaufkraft mehr haben und die amerikanische, aber auch die Weltwirtschaft ins Stocken gerät, müssen eben alle Regeln, alle Vorsichtsmassnahmen über Bord. So beginnt das Rennen in die Verschuldung, das bis zur Krise 2007/2008 andauern wird.
Und so wird mit Erfolg alles dafür getan, auch die ärmsten Amerikaner davon zu überzeugen, auch ein Haus auf Kredit zu kaufen. Während jener zügellosen Jahre des Wachstums auf Kredit, wurden alle, die sagten “das kann nicht so weitergehen, das ist zu riskant”, als Spielverderber abgetan.
Provisionsabhängige Agenten vermitteln Bankkredite an insolvente Amerikaner, die damit ein Haus kaufen. Als Deckung des Kredits dient eine Hypothek auf das Haus. Dabei wird vorausgesetzt, dass, in einer spekulativen Wirtschaft, der Wert des Hauses steigt. Und die Hauskäufer glauben guten Gewissens, dass sie ihren Kredit zurückzahlen können.
Um diese gefährlich unbezahlbaren Aussenstände möglichst weit zu splitten, werden die Schulden in komplexen Finanzprodukte verbrieft, also endlos weiter geschickt. Gleichzeitig schliessen die Banker Versicherungen ab, um sich vor dem Ausfall ihrer eigenen Schöpfungen zu schützen. Manche gehen sogar soweit, gegen ihre eigenen Produkte und ihre Versicherer zu spekulieren – und werden immer reicher, selbst wenn der Wert ihrer Papiere ins Bodenlose stürzt.
Das absolut Erstaunliche bei diesem Phänomen: Die Regeln, die selbst die Bankiers der Lombardei im 13. Jahrhundert kannten, wonach eine Bank nicht beliebig viel verleihen darf, sondern nur entsprechend den Eigenmitteln, die sie im Depot hat, all diese Regeln wurden beiseite gefegt.
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Alles hat ein Ende! Im Juli 2007 brechen drei Hedge-Fonds der amerikanischen Investment-Bank Bear Stearns zusammen. Am 19. Juli 2008 werden die Manager von Bear Stearns festgenommen. Ein isoliertes Ereignis heisst es, das die Märkte insgesamt nicht gefährden kann. Am 15. September 2008 übernimmt die amerikanische Regierung das trudelnde Bankhaus Merryl Lynch. Lehman Brothers dagegen werden fallen gelassen. Das geflügelte Wort “Too big to fail” hat sich zum ersten Mal nicht bestätigt. Die US-Regierung hatte schon so viele Gift-Papiere übernehmen müssen, dass klar wurde, dass man nicht in allen Fällen so würde reagieren können.
Weil die giftigen Papiere, ausgehend von den USA, längst im Tresor praktisch jeder Bank angekommen waren, ganz egal wo auf der Welt, war die Entwicklung vorgezeichnet.
Die Folge: Panik im weltweiten Finanzsystem und eine immer weiter um sich greifende Vertrauenskrise. “Viele Leute glauben, die Krise begann mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008, aber das war nur eine Folge, nicht die Ursache. Es war ein Meilenstein des Zusammenbruchs, aber nicht das grosse Ereignis.”
Mit der Pleite von Lehman Brothers beginnt die Kettenreaktion. Der US-Staat pumpt 700 Milliarden Dollar in die Finanzmärkte, um das System zu retten. Die toxischen Papiere wandern aus den Depots der Privatbanken in öffentlichen Besitz. Trotzdem weitet sich der Flächenbrand aus: Vom Finanzsektor auf die Gesamtwirtschaft, von den USA nach Europa, trifft Gesellschaft und Politik gleichermassen.
Danach kommen die wichtigsten Regierungen zwischen 2008 und 2009 eilig und mehrmals zusammen, pumpen unter Zeitdruck viele Milliarden öffentlicher Gelder in die Banken, um der Katastrophe zu entgehen. Gigantische Konjunkturprogramme! Das treibt die Staatsschulden in die Höhe. Banken müssen ihr Eigenkapital erhöhen. Steuerflucht soll schärfer verfolgt werden.
Der Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern der Deregulierung spitzt sich zu!
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Und da fängt es nun an, wirklich pervers zu werden. Diejenigen, die an dem gesamten Schlamassel die Hauptschuld tragen, die ultraliberalen Deregulierer, sind nicht nur weit davon entfernt, ihren Fehler einzusehen und verschämt in der intellektuellen Höhle zu versinken, aus der sie nie wirklich entkommen sind. Ganz im Gegenteil bestehen zum Beispiel solche unsäglichen Formationen wie die Splitterpartei FDP oder die neu gegründete “Partei der Vernunft”, die ihrem eigenen Namen Hohn lacht, auf mehr und noch mehr Deregulierung und verschärftem Kannibalenkapitalismus.
Sie nennen es “Freiheit” und meinen doch nur die Freiheit der “Märkte”, das Recht des Stärkeren. Rücksichtslosigkeit als politisches Konzept, zerstörerische Deregulierung als heilsbringende Ideologie. Aus gehabtem Schaden rein gar nichts gelernt, nicht einmal ansatzweise irgendetwas begriffen.
Es gibt keine “Euro-Krise”, schon lange keine “Schuldenkrise”! Nicht einmal eine “Krise” gibt es, denn das wäre ein Phänomen, das vom Normalzustand abweicht und vorübergeht. Das aktuelle Desaster allerdings wird bleiben, weil es ein sehr deutlich definierbarer Webfehler des Systems ist. Aus der privaten Verschuldung von Casino-Zockern wurde durch ultraliberale Deregulierungswut eine nicht mehr zu bewältigende öffentliche Verschuldung – in den USA, und davon ausgehend in Europa.
Das ist der Hintergrund, warum es Griechenland so schlecht geht und Portugal, Zypern und Spanien. Und ja, auch Deutschland, wenn die missliche Lage nicht ständig durch scheinheilige Botschaften und falsche Zahlen maskiert würde. Jetzt soll (muss – unverzichtbar) die öffentliche Verschuldung mit Gewalt gesenkt werden, indem die Bevölkerungen ganzer Länder verarmt werden: “Strukturreformen” nennt man das – und meint Lohnsenkungen, Kürzungen und Streichungen öffentlicher Leistungen in allen Bereichen.
Nirgendwo haben die Menschen, zumindest nicht die breite Masse, “über ihre Verhältnisse gelebt”, wie man ihnen immer wieder einreden will! Wilde gewissenlose Zocker haben das allein verursacht, aktiv unterstützt und legalisiert von ultraliberalen Deregulierern, die bis zum heutigen Tage lauthals beweisen, dass ihnen die nötige Intelligenz für Analyse und die Fähigkeit fehlen, aus gehabtem Schaden Lehren zu ziehen.
Immer mehr insolvente Menschen begehren jetzt auf, verstehen, dass sie Opfer sind. Ausserdem säuft nun überall die Realwirtschaft logischerweise ab, weil die Menschen kein Geld mehr haben und die Nachfrage im Keller ist. – Und die Banken? Machen immer so weiter, leihen sich billiges Geld bei der Zentralbank und machen blendende Geschäfte, indem sie verschuldeten Ländern Geld leihen. Niemand setzt diesen fatalen Kreislauf ausser Kraft, niemand legt den “Finanzmärkten” den lang überfälligen Maulkorb an. Immer noch, und jetzt sogar wieder verstärkt, werden Luftpapiere (Derivate) verkauft.
Die zerstörerische Energie der Deregulierer muss ausgebremst und eliminiert werden. Sofort! Oder wir werden die Karre innerhalb kürzester Zeit vor die Wand fahren. Wenn Kapitalismus überhaupt funktionieren kann – woran durchaus jeder Zweifel angemeldet werden muss! – dann nur in einem gesellschaftspolitisch definierten klaren Konzept, innerhalb klarer Regeln, die strikt durchgesetzt werden müssen. Wenn lobbygestützte Politiker dazu nicht in der Lage sind, werden wir es selbst tun müssen. Um jeden Preis!
Einer hat es immerhin schon begriffen. Alan Greenspan, die Gallionsfigur der ultaliberalen Deregulierer: “Jeder braucht eine Ideologie, sonst kann er nicht leben. Ich bin deswegen so geschockt, weil ich 40 Jahre lang der Meinung war, meine würde funktionieren.”