Was die Kirche zum verantwortlichen Leben der Sexualität in der unauflöslichen Ehe sagt, ist kein Ideal. Ideale sind letztlich unerreichbar und lebensfern, sie sind somit Illusionen. Die Kirche gibt folglich mit der christlichen Ehe kein Ideal vor, sondern bietet eine Wirklichkeit an, die mit Leben erfüllt werden kann. Wer die christliche Lehre als Ideal abtut, macht es sich zu leicht. Das kirchliche “Du sollst” drückt nicht nur aus, dass wir es offensichtlich nicht immer tun, sonst wäre diese Aufforderung nicht notwendig. Sie ist auch überzeugt, dass wir dazu in der Lage sind. Alle. Nicht nur ein kleiner auserlesener Kreis von Superkatholiken. Ich freue mich, dass Kardinal Schönborn in die Diskussionen der letzten Tage dieses Argument eingebracht hat, das mir so wichtig ist. Bei der Chrisammesse hatte er laut Erzdiözese Wien folgendes gesagt, Hervorhebungen von mir:
Für Kardinal Schönborn folgt ein zweiter, entscheidender Punkt: “Sind wir selber, die Hirten, das heißt: Ist jeder einzelne von uns davon überzeugt, dass diese biblische Sicht die wahre Sicht ist, nicht ein fernes abstraktes Ideal, sondern etwas Großes, Lebensbejahendes, Lebensspendendes?” Der Wiener Erzbischof weiter: “Wenn wir selber das alles für Illusion halten, können wir auch nicht anderen helfen, zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen”. Dem Wiener Erzbischof helfe hier “immer eine jüdisch-rabbinische Tradition”. Sie besagt: “Als Gott die Welt erschaffen wollte, brauchte er einen Plan”. Die Tora sei dieser Plan gewesen. Die Freude an der Tora, das Übereinstimmen mit dem Schöpfungsplan mache das Leben “stimmig, glücklich, wenn auch nicht unbedingt bequemer”, so der Erzbischof.
Es sei “nicht altmodische Engstirnigkeit, wenn die Kirche lehre, dass die Sexualität ihren echten Platz im geborgenen und verbindlichen Raum der unauflöslichen Ehe habe”, so Kardinal Schönborn, der dazu die Fragen stellte: “Glauben wir das selber? Mit Herz und Verstand? Nicht als ein abstraktes Ideal, sondern als lebbare und vielfach gelebte Wirklichkeit!”. An dieser Stelle komme, so der Erzbischof, “sofort das statistische Argument: Wie viele Jugendliche leben wirklich nach dem kirchlichen Ideal enthaltsam bis zur Ehe? Wie viele Wiederverheiratete leben ‘als Bruder und Schwester’? Wie viele Gleichgeschlechtliche Lebende schaffen es, ihre Beziehung als keusche Freundschaft zu leben?”
Dazu machte Kardinal Schönborn zwei Bemerkungen: “Erstens – es gibt sie!”, und “es macht einen Unterschied, ob man im Versuch, nach Gottes Ordnung zu leben, scheitert – oder ob man daran scheitert, ohne es je versucht zu haben”.
“Viele”, so der Kardinal, “leben nicht nach dem Masterplan, weil es ihnen nie als echte Möglichkeit gezeigt, gelehrt und vorgelebt wurde. Oder weil sie es wohl gewollt, aber nicht geschafft haben. Oder weil sie ehrlich geglaubt haben, dass sie im einen oder anderen Punkt dem Masterplan Gottes auf ihrem Weg einfach nicht folgen können”.